Booker Prize 2023
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Morgen wird die Shortlist bekannt gegeben. Hat jemand Tipps oder Favoriten?
Chetna Maroo "Western Lane": Kein schlechtes Buch. Ein eher schmales, sehr unaufdringliches und schmales Buch. Es handelt von einem Mädchen, das den Tod seiner Mutter durch obsessives Squash-Spielen verarbeitet. Obwohl der Roman sicherlich gut geschrieben ist, fand ich, dass er ein wenig zu nach einem bestimmten Schema geschrieben ist. Der Squash-Court wird hier zu sehr zu einer konstruierten Metapher in einer ebenso konstruierte kleine Novelle.
Martin MacInnes "In Ascension": Angeblich literarische Science Fiction, aber weder ist dieser Roman besonders literarisch (schwache Figurenzeichnung, Figuren ohne Entwicklung, typische SF-Exposition in Dialogen usw.), noch bietet er gute Science Fiction (der Roman bringt nichts Neues, was nicht schon von hunderten anderen SF-Romanen gemacht wurde). Er könnte höchstens Fans von Filmen wie "Interstellar" und "Gravity" gefalle. Für alle die Pathos mögen. Bei der Nominierung muss es sich wohl um ein Missverständnis handeln. Ich habe ihn abgebrochen (DNF).
Sarah Bernsteins "Study for Obedience": Auch ein eher schmales Buch, aber eines mit mehr Substanz. Es ist auch ein wenig sperrig. Die Erzählerin zieht zu ihrem Bruder, der sich gerade von seiner Frau getrennt hat, in eine ländliche Gegend irgendwo im Ausland. Sie spricht nicht die Sprache der Einwohner, und als merkwürdige Dinge passieren, macht man sie dafür verantwortlich. Ein Roman über Nicht-Kommunikation und das Gefühl des Nicht-Ankommens. Und wie der Titel schon verrät, über Gehorsamkeit, Frauenrollen und einem sehr absonderlichen Bruder/Schwester-Verhältnis. In einer sehr langweiligen Longlist wenigstens ein Buch, das ein wenig anders ist.
Meine Tipps für die Shortlist:
- Paul Murray - The Bee Sting
- Sarah Bernstein - Study for Obedience
- Paul Harding - This Other Eden
- Jonathan Escoffery - If I Survive You
- Ayobami Adebayo - A Spell of Good Things
- Sebastian Barry - God's Old Time
ASIN/ISBN: 178378993X -
Immerhin 4 Treffer (und zwei bereits gelesene Bücher). Die Shortlist ist die folgende:
- Paul Murray - The Bee Sting
- Sarah Bernstein - Study for Obedience
- Paul Harding - This Other Eden
- Jonathan Escoffery - If I Survive You
- Paul Lynch - Prophet Song
- Chetna Maroo - Western Lane
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So, heute Abend wird der Booker Prize verliehen. Livestream gibt es hier.
Dieses Jahr wird der Preis erst relativ spät nach Bekanntgabe der Shortlist vergeben. So hat es sich irgendwie ergeben, dass ich fünf der nominierten Bücher gelesen habe (alle außer The Bee Sting). Fun Fact: Die letzten beiden Booker-Preise (regulär und international) habe ich jeweils nur einen Roman der Shortlist vor der Preisvergabe gelesen, und beide Male war es der Sieger (Shehan Karunatilaka's "Seven Moons of Maali Almeida" und Georgi Gospodinov's "Time Shelter" - Deutsch: "Zeitzuflucht"). Es wäre lustig, und auch nicht unwahrscheinlich, wenn es dieses Mal genau umgekehrt ausgehen würde, weil "The Bee Sting" durchaus so etwas wie ein "Fan Favourite" ist.
Meine Reihenfolge:
1. Sarah Bernstein Study for Obedience
2. Paul Lynch Prophet Song
3. Jonathan Escoffery If I Survive You
4. Chetna Maroo Western Lane
5. Paul Harding This Other Eden
Mit This Other Eden konnte ich wenig anfangen. Das Buch hat eigentlich alle Zutaten: ein wichtiges Thema (die Geschichte von Malaga Island) und einen gewissen literarischen Anspruch, aber die Art wie Paul Harding schreibt sagt mir so überhaupt nicht zu. Etwas gemein ausgedrückt: das ist für mich zu bemüht. Die poetische Schreibe, die oft gelobt wird, für mich zu gewollt und affektiert. Für mich persönlich nur die Simulation guter Literatur.
Alle anderen Bücher fand ich gut bis sehr gut, und für jeden Autor oder jede Autorin würde ich mich freuen. Chetna Maroo bleibt ganz still und unauffällig, hat aber seitdem ich den Roman gelesen habe, ein wenig gewonnen.
If I Survive You ist passagenweise vielleicht sogar mein Lieblingsbuch. Die Geschichte einer dominikanischen Einwandererfamilie in den USA. Kleine Einschränkung, weil es eigentlich ein Kurzgeschichtenband und kein Roman ist, und für mich ist das Gesamtkonzept nicht ganz stimmig, aber das ist ein sehr kleiner Einwand.
Paul Lynch schuf einen sehr starken dystopischen Roman aus einer sehr privaten Perspektive einer Mutter, die ihre Familie durch diese zunehmend eskalierende Situation navigieren muss. Eine kleine Einschränkung, weil ich den starken Bezug zu Syrien für einen taktischen Fehler des Autors halte (wenn ich über Syrien lesen will, dann lese ich ein syrisches Buch), aber die Dystopie funktioniert auch, gerade aktuell, sehr gut im europäischen Kontext (zunehmender Rechtsruck in verschiedenen Ländern).
Ja, und Study for Obedience von Sarah Bernstein das einzige Masterclass-Level-Buch auf der Liste. Sehr ungewöhnlich und speziell. Ich kann den Roman kaum beschreiben und das ist was ihn auszeichnet. Diese wunderbare persönliche Sicht einer Außenseiterin in einer fremden Kultur. Wie eigentlich alle Romane ein spannender Beitrag über das Thema Immigration. Das Thema zieht sich durch die gesamte Liste.
Was "glaube ich", was gewinnt.
Ohne witzig sein zu wollen, ich glaube eine der Pauls wird gewinnen. Mein Bauchgefühl sagt mir Paul Murray. Paul Lynch würde ich gut finden. Und Paul Harding befürchte ich (der "Blurb" der Jurysprecherin ist auf dem Cover des Buches abgedruckt). Harding wäre für mich bitter, alles andere okay. Ein Dark Horse Winner wie Sarah Bernstein wäre großartig, aber auch Außenseitern wie Escoffery und Maroo würde ich es irgendwie gönnen.
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