Margaret Kennedy, Das Fest

  • ASIN/ISBN: 3895610798

    Verlagsinformation:


    Sommer 1947. Das an den Klippen Cornwalls malerisch gelegene Hotel Pendizack wird durch einen Felssturz verschüttet, und alle, die sich im Haus befanden, liegen unter den Trümmern begraben. Nur diejenigen, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks zu einem Fest am Strand versammelt haben, sind verschont geblieben. Kann das Zufall sein?

    Eine Woche zuvor ist das heruntergekommene Herrenhaus, das die verarmten Pendizacks zum Hotel umfunktioniert haben, um die Ausbildung ihrer Söhne zu finanzieren, noch fast ohne Gäste. Nach und nach treffen Urlauber ein, unterschiedlichste Menschen, die sich ein einziges Badezimmer teilen müssen: die fünfköpfige Familie Gifford mit ihren besonderen Ansprüchen, die kapriziöse Schriftstellerin Anne Lechene und ihr Chauffeur, der furchteinflößende Geistliche Mr Wraxton mit seiner Tochter Evangeline. Ein jeder von ihnen, wie auch die Pendizacks, das lebenskluge Dienstmädchen Nancibel und die anderen Bediensteten, schlägt sich mit geheimen Sorgen herum und hat etwas zu verbergen. Vor der herrlichen Kulisse des offenen Meers bahnen sich Freundschaften, Romanzen, Fehden, Feindschaften an. Alles gipfelt in der Feier am Strand – und in der Frage, wer daran teilgenommen hat, um wie durch ein Wunder der Tragödie zu entgehen.


    Mein Lese-Eindruck:


    Der Roman (erschienen 1950) beginnt mit einem Paukenschlag: Ein Pfarrer soll eine Leichenrede entwerfen für die sieben Opfer eines Felssturzes.


    Was war passiert? Schauplatz des Geschehens ist das Haus Pendizack, an der Steilküste Cornwalls gelegen, direkt am Meer, am Fuß einer mächtigen Klippe. Dieses Haus wird von den verarmten Eigentümern, der Familie Siddal, zu einem behelfsmäßigen Hotel umfunktioniert. Und nun kommen Gäste unterschiedlichster Art. Sie bringen ihre eigenen Probleme und Geheimnisse mit und treten nun untereinander in Interaktion. Die Spannung des Romans rekrutiert sich also nicht aus dem ungewissen Ende, sondern daraus, dass der Leser rätselt, wer die sieben Opfer sind.


    Die Autorin lässt sich einen ausgesprochen originellen erzählerischen Kunstgriff einfallen. Sie verbindet nämlich die kirchliche Lehre der sieben Todsünden mit diesen sieben Opfern, sodass für den Leser das Rätselraten beginnt: Zu welcher Person passt welche Todsünde? Gehört diese Person also zu den Opfern? Ändert sie ihr Verhalten bzw. Denken und gehört damit zu den Überlebenden? Oder eher nicht?

    Zugleich bindet die Autorin die alttestamentarische Geschichte von Lot in ihren Roman ein, der als einzig Gerechter mit seinen Töchtern dem Gottesgericht über die sündige Stadt Sodom entging. Und dem Leser bleibt es nun überlassen, daraus seine Schlüsse zu ziehen.


    Das hört sich nach schwerer Kost an. Dem ist aber nicht so. Die Autorin bietet dieses Thema nämlich in einer wunderbar leichtfüßigen Sprache an, durchmengt mit Wortwitz und dem, was man als britischen Humor bezeichnet. Die Komposition des Romans sorgt für zusätzliche Leichtigkeit, weil Briefe, Tagebucheinträge und innere Monologe die Handlung abwechslungsreich gestalten und zugleich dafür sorgen, dass dem Leser mehrere Perspektiven vorgeführt werden. Damit führt die Autorin ihre Figuren dicht an den Leser heran und nutzt die Möglichkeiten, das Innenleben der Figur zu vermitteln. So gelingt es ihr, trotz der Fülle an handelnden Figuren jeder Person klare Umrisse zu verleihen, und der Leser sieht sich in der Lage, die Frage der sieben Todsünden präziser zu bedenken. Und sich ein bisschen wie Gott am Jüngsten Gericht vorzukommen.


    Einige Szenen (z. B. ein schneller Wortwechsel, bei dem die Dialogpartner aneinander vorbeireden) erinnern an Slapsticks, das mag Geschmackssache sein. Bei anderen wiederum bedient sich die Autorin recht souverän filmischer Mittel, wenn sie z. B. Dialoge parallel montiert. Auch die schnelle Abfolge der Szenen führt dazu, dass der Roman leicht, spritzig und sehr unterhaltsam wirkt.


    Und im Hintergrund steht immer die Zeitgeschichte: das England der Nachkriegszeit, das Kriegsgeschehen rund um London, die Flucht, Verarmung und die Rationierung von Lebensmitteln.


    Meine Lieblingsfigur war Mr. Siddal, der Eigentümer des Hotels Pendizack. Zugegeben: Eigentlich ist er das, was man eine verkrachte Existenz nennt, und ein fauler Strick ist er auch, weil er es seiner Frau überlässt, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Aber er ist ein Philosoph! Nicht nur, weil er Seneca zitiert. Er ist ein scharfer und intelligenter Beobachter der Menschen um ihn herum und erkennt die Bürde, mit der sie belastet sind. Zudem beobachtet er die Geschehnisse aus einer gewissen inneren Distanz und bringt das Beobachtete kurz und bündig auf den Punkt.


    Das Ende hat mich etwas enttäuscht. Da bleiben einige Erzählfäden in der Luft hängen, und die Rückführung auf den Prolog hätte ich mir deutlicher gewünscht.


    Trotzdem: ein spritziger Roman, der souverän verschiedene Erzähltechniken kombiniert und in seiner Lebendigkeit und Frische großen Lesespaß bereitet.


    9/10 Pkt.