LebensZeichen

  • Er saß einsam am Strand und blickte in den langsam dunkler werdenden Abendhimmel. Neben ihm stand eine fast leere Flasche Korn. Die Sonne tauchte gerade ins Meer ein. Es sah aus, als ob das Meer an dieser Stelle glühte. Ein grandioser Anblick, doch er hatte kein Auge für dieses Spektakel. Dumpf starrte er vor sich hin, völlig in trübe Gedanken versunken. Wann hatte das Unglück begonnen? Er wußte es nicht.


    Als Kind war er ein durchschnittlicher Schüler gewesen. Alles an ihm war irgendwie Durchschnitt: das Aussehen, die Noten. Nur seine Beliebtheit nicht: die war unterdurchschnittlich. Woran das lag, konnte er sich nie erklären. Er war doch immer nett zu den anderen gewesen. Doch keiner wollte mit ihm spielen und wenn er nach der Schule nicht schnell genug auf der belebten Hauptstraße war, passten ihn Tönni und seine Spießgesellen vorher auf dem kleinen Fußweg hinter der Schule ab und verdroschen ihn kräftig.


    Zuhause war es nicht viel besser. Sein Vater war so gut wie nie zuhause gewesen und wenn, dann ließ er lieber den Gürtel sprechen, als sich mit ihm auseinander zu setzen. Wenn er an seine Mutter dachte, hatte er stets das müde Gesicht einer abgearbeiteten Frau vor sich. Seine Eltern stellten keine großen Forderungen an ihn, hatten aber auch keine Erwartungen und so hangelte er sich durch die Hauptschule, ohne dabei große Meisterleistungen zu vollbringen.


    Freundinnen hatte er nur wenige, und die meisten davon machten nach nicht allzu langer Zeit Schluß mit ihm, weil er ihnen zu langweilig war. Die einzige Ausnahme war die dicke Hilde gewesen – aber die war bei den anderen noch unbeliebter als er.


    Er ergriff seine vermutlich einzige Chance, zu einer Frau zu kommen, dankbar mit beiden Händen und heiratete Hilde. Große Sprünge konnten sie nicht machen, er mit seinem Arbeitergehalt und sie als Verkäuferin. Das bißchen Geld, das sie verdienten, reichte zum Leben – aber nicht für Urlaube oder ein Auto. Dennoch führte ihr ritueller Samstag-abend-nach-der-Sportschau-Sex im Laufe der Jahre zu drei Kindern, die so ganz anders als ihre Eltern waren: adrett anzusehen und im Kopf ganz helle. Für seine drei Racker gab er alles und verzichtete auf vieles. Sie sollten es einmal besser haben als er.


    Tag und Nacht malochte er für sie, um ihnen eine bessere Schulbildung und einen besseren Start ins Leben zu ermöglichen als Hilde und er ihn hatten. So arbeitete er sich auf und kam überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Wenn überhaupt, dann fand er seinen inneren Frieden nur noch, wenn er ordentlich getankt hatte. Dann erschien ihm sein Leben ein klein wenig freundlicher, das sonst nur aus Arbeit zu bestehen schien.


    *


    Hilde bemerkte lange nichts von seiner Trinkerei. Zu sehr war sie mit den Kindern, dem Haushalt und einer Fortbildung beschäftigt. Sie bestand ihre Weiterbildung und mußte nun endlich nicht mehr so hart arbeiten. Ja, sie hatte noch mehr Glück und fand eine andere, besser bezahlte Arbeit. Endlich ging es ihr gut und das machte sich auch an ihrem Gewicht bemerkbar. Fast wie von selbst fielen die Kilos von ihr ab. Endlich war aus ihr eine attraktive, begehrenswerte Frau geworden. Nur Heinz schien das nicht zu bemerken.


    Er war kaum zu Hause und wenn er doch endlich spät nach der Arbeit heimkam, roch er nach Qualm und Alkohol. Morgens bemerkte sie manchmal das Zittern in seinen Händen. Wenn er jedoch aus dem Bad zurückkam, hatte er sich wieder im Griff. Dort entdeckte sie auch die erste versteckte Flasche, auf die noch viele weitere folgen sollten – an den unmöglichsten Orten.


    Sie stellte ihn zur Rede. Sie wartete ab. Sie bot ihm ihre Hilfe an. Sie redete, weinte, flüsterte, schrie und fluchte... alles ohne Erfolg. Der Alkohol hatte ihn inzwischen zu sehr im Griff. Er konnte nicht mehr so einfach aufhören.


    Irgendwann hatte sie die Koffer gepackt und war gegangen. Mit SEINEN Kindern einfach so gegangen. Sie lehnte jeden Besuch und jedes Treffen mit den Kindern ab, solange er so viel trank. Aber er schaffte es einfach nicht, aufzuhören. Die Sucht war stärker als er, sogar stärker noch als seine Liebe zu den Kindern.


    *


    Als er in der Arbeit zum wiederholten Male ausfiel, bekam er auch hier die rote Karte gezeigt. Er verlor sein letztes bißchen Halt und trank noch mehr... sein ganzes Geld setzte er nun in Schnaps und Bier um. Nach ein paar Monaten hatte der Vermieter seiner schmutzigen kleinen Einzimmer-Wohnung ebenfalls die Nase voll von ihm und setzte ihn vor die Türe.


    Seitdem lebte er auf der Straße. Mal schlief er in Hauseingängen, mal auf Parkbänken. Irgendwie erbettelte er sich immer das Geld für seinen Fusel zusammen.


    Heute aber war etwas passiert.


    Er saß an seinem Stammplatz in der Fußgängerzone und bettelte die Passanten an, als plötzlich seine Tochter mit ihren Freundinnen vorbei schlenderte. Er rief ihren Namen... doch sie drehte sich weg und tat so, als würde sie ihn nicht kennen. Ihre Freundinnen machten abfällige Bemerkungen über den dreckigen Penner auf der Straße - und seine Tochter tat es ihnen gleich. Seine geliebte Tochter, sein eigen Fleisch und Blut!


    In ihm zerbrach etwas. Er stand auf, nahm seine Flasche und lief los. Er lief und lief und blieb nur stehen, um zu trinken. Die heißen Tränen, die über sein Gesicht rannen, bemerkte er erst gar nicht.


    Er lief bis zum Strand und ließ sich dort in den Sand fallen. Sein Körper wurde von unkontrollierten Schluchzern durchschüttelt. Er weinte, bis keine Tränen mehr kamen. Dann setzte er sich hin und blickte aufs Meer. Sein Kopf war vollkommen leer... und sein Herz war es auch.


    Er nahm noch einen letzten tiefen Schluck aus der Flasche und lief mit leicht torkelnden Schritten aufs Meer zu. Seine Schritte hinterließen schlurfende Spuren. Doch spätestens mit Einsetzen der Flut waren auch diese ausgelöscht... so wie er.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

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  • Ganz nett - nur ein bißchen zu rührselig........... :-(

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ganz nett - nur ein bißchen zu rührselig........... :-(


    Hm, Batcat scheint keine "deutsche Frau" zu sein, denn die sind ja (wie wir laut dem Ratgeber wissen, der Dir so gut gefällt, Voltaire) alles andere als rührselig. :-)


    Gruss,


    Doc



  • Also lieber Doc, dann für dich nochmal in Reinschrift:
    Ich habe nichts gegen Batcat, wieso auch - ich kenne sie ja gar nicht, ich finde lediglich die Geschichte etwas rührselig.
    Und ob Batcat eine "deutsche" Frau ist, weiß ich natürlich auch nicht.


    Aus deiner Bemerkung entnehme ich aber, dass man hier total unter Beobachtung steht........... :lache :lache :lache :lache :lache

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire Ich habe nichts gegen Batcat


    Das beruhigt mich ungemein. :-)


    Zitat

    ich finde lediglich die Geschichte etwas rührselig.


    Manchmal muß das halt sein.


    Zitat

    Und ob Batcat eine "deutsche" Frau ist, weiß ich natürlich auch nicht.


    Auf jeden Fall bin ich eine Flederkatze. Soviel steht mal fest.


    Zitat

    Aus deiner Bemerkung entnehme ich aber, dass man hier total unter Beobachtung steht........... :lache


    Eulen sind nun mal wachsame Beobachter. :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)