'Die Diplomatin' - Seiten 001 - 076

  • Wiedermal habe ich mich vor dem Interesse an der LR bekunden nicht besonders intensiv mit dem Buch befasst, und nun bin ich überrascht, denn das Buch ist anders als erwartet, bisher positiv überrascht.


    Fred ist für mich eine Frau, die die entscheidenden Stufen im Leben verpasst hat. Sie ist eine Karrierefrau, hat alles darauf ausgerichtet, zwar nicht verbissen und rücksichtslos, aber trotzdem. an einer Stelle denkt sie auch mit Wehmut und einem gewissen Bedauern an die verpassten typischen Jugendaktivitäten.

    So, wie ich sie bisher kennengelernt habe, fehlt ihr der Biss für eine solche Karriere, die Abgebrühtheit. Sie will diese Laufbahn, aber immer schwingt in ihr eine Unsicherheit, eine Sorge zu versagen.

    Und sie steht allein da, inzwischen ohne Mann und ohne Kinder. Ich glaube, dass sie sich dieser Lücke bewusst ist, sie aber diese Gedanken nicht zulassen kann. Eine Szene, in der diese Sehnsucht deutlicher nicht sein kann, ist der Abend, an dem ihr Fahrer ihr ein Abendessen macht und dann geht.


    Die schief gelaufene Entführung wird wohl einen Strich unter ihr Diplomatenleben in Montevideo ziehen. Immerhin sieht man im Buch, dass es zu einem Ortswechsel kommt.

    Wie selten in einem Buch wünsche ich einer Figur einen emotionalen Wechsel und einen Menschen an ihrer Seite.

  • So ich habe heute nachmittag mit dem Hörbuch angefangen und was ich bisher gehört habe gefällt mir ausgesprochen gut. :) Ich bin noch nicht fertig mit dem Abschnitt, aber ich schreibe schon mal ein paar Gedanken dazu.


    Für mich ist es das erste Buch der Autorin und ich hatte mich auch vorher nicht groß mit dem Inhalt davon beschäftigt. Ich bin aber jetzt auch sehr angetan davon. Vor allem der Stil der Autorin gefällt mir total gut. Alles wir so leicht ironisch und mit einer Priese trockenem Humor erzählt. Es sind viele Sätze dabei, dir mir gut gefallen, und die ich mir in einem Buch wahrscheinlich angemerkt hätte. Bei dem Hörbuch möchte ich am liebsten immer wieder kurz zurückspulen und mir die Sätze noch mal anhören, aber dann komme ich ja nie weiter.:grin



    Und sie steht allein da, inzwischen ohne Mann und ohne Kinder. Ich glaube, dass sie sich dieser Lücke bewusst ist, sie aber diese Gedanken nicht zulassen kann.

    Das sehe ich genauso. Ich mag Fred als Person, sie ist mir sehr sympathisch. Aber sie macht auf mich auch immer wieder einen sehr einsamen und verlorenen Eindruck. Ich habe auch das Gefühl, ihr fehlt jemand im Leben. Sie sitzt so ganz verloren in diesem fernen Land auf dem Posten und versucht stark zu sein und alles richtig zu machen. Aber es fehlt jemand an ihrer Seite Und sie versucht dieses Fehlen mit ihrer Ironie zu kaschieren.


    Ich hätte eine Bitte: Bei dem Hörbuch werden die Kapitel nicht mitgesprochen. Könnte mir vielleicht nur jemand ganz kurz schreiben, mit was dieser Abschnitt endet? Vielen Dank:wave

  • Ich bin aber jetzt auch sehr angetan davon. Vor allem der Stil der Autorin gefällt mir total gut. Alles wir so leicht ironisch und mit einer Priese trockenem Humor erzählt. Es sind viele Sätze dabei, dir mir gut gefallen, ...

    :writeMir gefällt das Buch bislang auch sehr gut! Sehr schön und vor allem in einem ganz eigenen Ton erzählt mit wunderbaren Sätzen (jetzt hätte ich einen gesucht, aber natürlich spontan keinen gefunden). Aber ihr werdet wissen, was ich meine!


    Bei Fred gebe ich euch auf alle Fälle recht: sie ist einsam und wirkt auch etwas verloren. Obwohl sie das natürlich nie gestehen würde! Sie will sehr taff wirken und erst im Laufe des Abschnitts offenbaren sich nebenbei ganze Abgründe, wie angeschlagen sie durch die Zeit in Bagdad tatsächlich ist. Und dann diese so dramatisch verlaufende Entführung. Sie hat schon auch Pech.


    Ich bin sehr gespannt, in welche Richtung sich das Buch entwickelt. Bislang habe ich da nämlich nicht mal ansatzweise eine Idee. Aber genau das mag ich! :thumbup:


    Rouge Das Kapitel endet mit einem zusammengebrochenen Reporter auf der Einheitsfeier. Das merkst du, denn dann geht es zwei Jahre später an anderem Ort weiter.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich kann gerade nicht so toll zitieren, weil ich am Handy bin.


    Lese-rina  
    Ich gebe dir Recht. Auch ich denke, dass da in Bagdad mehr passiert sein muss. Sie hat wohl schon einige Hiebe eingesteckt, mehr als sie eingesteht. Vielleicht schüttet sie sich deshalb so ab, auch vor Gefühlen. Manchmal wirkt sie sehr nüchtern, aber auch sehr verletzlich.


    Rouge

    Für mich ist es auch das erste Buch von Lucy Fricke. Ich mag ihre Art zu schreiben bisher, und ich habe mir auch viele Sätze markiert.:)

  • Auch ich habe von der Autorin bisher nichts gelesen und lasse mich gerade von diesem Buch überraschen.


    Ja, ich nehme Fred ebenfalls als verloren, als einsam wahr. Ihr Leben wäre für mich absolut nichts. Neuanfänge an Orten, wo man nicht dazu gehört, wo die Kultur und der Alltag einem fremd sind, immer eingeschlossen in einer Blase mit anderen, denen es ähnlich geht und die in der Fremde deutscher sind, als sie es zuhause je sein könnten. Aber sie sagt ja auch, dass sie ihre Heimat erst aus der Ferne lieben kann. Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben wollte, wäre es wahrscheinlich wurzellos.


    Das Ende des Abschnittes fand ich ziemlich abrupt. Da bricht ein Journalist (? - ich hatte die Worte Die Woche auf seiner Karte so interpretiert) vor ihren Füßen zusammen, offensichtlich ein anaphylaktischer Schock - und man erfährt nicht, wie es ausgeht.

  • Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben wollte, wäre es wahrscheinlich wurzellos.

    wurzellos ist eine gute Beschreibung für Fred. Ich hatte auch nach so einem Wort gesucht, aber wurzellos passt perfekt für sie.

    da bricht ein Journalist (? - ich hatte die Worte Die Woche auf seiner Karte so interpretiert)

    Ja genau, es ist ein Journalist.



    und man erfährt nicht, wie es ausgeht.

    warte noch ein bisschen, das erfährt man dann im nächsten Abschnitt ;)

  • Ich habe von Lucy Fricke Ausschnitte aus "Die Töchter" gehört und wollte es immer lesen. Wie so oft, ist nie was draus geworden und ich glaube, das wird sich jetzt ändern.


    Ganz am Anfang habe ich mir Gedanken über den Unterschied zwischen Flaggen und Fahnen gemacht. Den kannte ich bisher nicht. :grin Kein Wunder, dass es nicht gefahnt, sondern geflaggt heißt.


    Fred ist in dieser Laufbahn (womöglich auch in vielen anderen) auch deshalb eine Außenseiterin, weil sie ein Aufsteigerkind ist. Sie ist aus der eigenen sozialen Welt "die Treppe hochgefallen". Da würde man sich in vielen Berufen unwohl fühlen, glaube ich.


    Ich kenne keinen Menschen aus dem Diplomaten Milieu, wohl aber Leute, die beruflich immer wieder von einem Ort in der Welt zum anderen versetzt werden.

    Das ist vermutlich mit Familie genauso schwer, wie ohne. Irgend jemandes Interessen bleiben immer außen vor. Und eine Familie, die das ganze Jahr getrennt ist, weil Frau und Kinder (die sind es ja meist) die Herumreiserei leid sind, hat es auch nicht leicht.


    Ich bin noch mittendrin im ersten Leseabschnitt und bin gespannt, was da noch alles passiert.

  • Fred ist in dieser Laufbahn (womöglich auch in vielen anderen) auch deshalb eine Außenseiterin, weil sie ein Aufsteigerkind ist. Sie ist aus der eigenen sozialen Welt "die Treppe hochgefallen". Da würde man sich in vielen Berufen unwohl fühlen, glaube ich.

    Da sprichst du einen interessanten Aspekt an. So könnte sich erklären, warum man immer das Gefühl hat, dass sie es besonders gut machen muss. Und ihre Mutter ist ihr auch kein Anker, weil sie aus einer ganz anderen Welt kommt.

  • Ja, ich nehme Fred ebenfalls als verloren, als einsam wahr. Ihr Leben wäre für mich absolut nichts. Neuanfänge an Orten, wo man nicht dazu gehört, wo die Kultur und der Alltag einem fremd sind, immer eingeschlossen in einer Blase mit anderen, denen es ähnlich geht und die in der Fremde deutscher sind, als sie es zuhause je sein könnten. Aber sie sagt ja auch, dass sie ihre Heimat erst aus der Ferne lieben kann. Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben wollte, wäre es wahrscheinlich wurzellos.

    Vielleicht ist dieses Überbetonen von Traditionen aus der Heimat auch so ein Schutzmechanismus, ein Glorifizieren von Dingen und Zeiten, die vermeintlich so viel besser waren.

    Das ist so etwas wie das Verklärung von Kindheitserinnerungen, das man zuweilen erlebt.

  • Ich kenne keinen Menschen aus dem Diplomaten Milieu, wohl aber Leute, die beruflich immer wieder von einem Ort in der Welt zum anderen versetzt werden.

    Ich kenne tatsächlich auch eine Familie, bei der der Mann alle 3-6 Monate beruflich in einem anderen Land der Welt ist. Seine Frau und das kleine Kind reisen immer mit. Es ist ein ehemaliger Arbeitskollege und guter Bekannter von meinem Mann. Und es ist tatsächlich schwierig, auf länger Zeit mit ihnen in Kontakt zu bleiben, auch wenn man es versucht. Wahrscheinlich wird man bei so einem Job automatisch ein wenig einsamer bzw. hat nicht so viele echte Freunde oder soziale Kontakte, wie wenn man doch ein richtiges Zuhause hat.

  • Wahrscheinlich wird man bei so einem Job automatisch ein wenig einsamer bzw. hat nicht so viele echte Freunde oder soziale Kontakte, wie wenn man doch ein richtiges Zuhause hat.

    Ich denke auch, dass die Betonung hier auf "echte Freunde" liegt, denn wirkliche Freundschaft braucht Pflege. Da gebe ich dir Recht.

  • Dies ist das zweite Buch, das ich von Lucy Frick lese. "Töchter" kann ich euch nur empfehlen, das habe ich sehr gerne gelesen.

    Besonders gefällt mir der Humor, der auch hier gleich zu Beginn durch jede Zeile durchblitzt.

    Am Ende dieses Abschnittes bin ich mir sicher, dass ich nie und nimmer eine Diplomatin sein wollte. Wenn es "gut" läuft, also entspannt in dem entsprechenden Land, dann ist man dafür da, die Bratwürste etc. für die Feste auszusuchen. Dann ist der Chauffeur die Person, die einem am nächsten steht. Wenn es schlecht läuft, siehe Entführung, dann trägt man für alles die Verantwortung und kann alles eigentlich nur falsch machen. Ein Eiertanz. Richtig krass muss dieser Job sein, wenn wirklich diplomatisches Fingerspitzengefühl gefordert ist, z.B. in Diktaturen. Ich bin gespannt, wohin uns Freds Weg noch führt.

    Fred gefällt mir übrigens sehr (:grin ich muss übrigens immer an @mazians LKW denken).

    Ich mag ja ambivalente Charaktere in Büchern sehr. Irgendwie blitzt immer wieder durch, dass sie sich ein Leben mit Mann und Kind auch hätte vorstellen können. Man kann nur ahnen, was sie in Bagdad alles erlebt hat. Ich hätte ihr eine ruhige Zeit zum Erholen in Montevideo gegönnt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Clare das können wir dann mal gemeinsam lesen, die Töchter, meine ich. :)


    Den ersten Leseabschnitt habe ich durch und er hat mir richtig gut gefallen. Lucy Fricke schafft es, in wenigen Sätzen das Wesentliche einer Situation zu beschreiben.

    Der kurze Aufenthalt in der Hütte ist da für mich ein gutes Beispiel. Natürlich beschreibt sie die aktuelle Lage, die tote junge Frau.

    Und dann ist da der eine Satz: "Der Urlaub einer Jugend, die ich verpasst hatte". (Kapitel 14, Seite 66)

    Sie konnte so eine Jugend gar nicht haben. Als Kind einer alleinerziehenden Mutter musste sie sicherlich auf spektakuläre Urlaube verzichten.

  • "Töchter" kann ich uneingeschränkt empfehlen, auch wenn der Roman stellenweise sehr traurig ist.