Evamaria Engel - Die deutsche Stadt im Mittelalter
ASIN/ISBN: 3491961351 |
Zum Buch:
Viele historische Romane spielen in mittelalterlichen Städten, der Grund liegt auf der Hand: Die Stadt war im Mittelalter ein Kumulationspunkt gesellschaftlicher Entwicklung und Innovation. Erst hier entfalteten sich erste Bestrebungen nach bürgerlicher Mitbestimmung, Teilhabe an Entscheidungen und Behauptung von Freiheiten in einer von Klerus und Adel dominierten Welt. Die selbstbewusst einherschreitenden Helden und Heldinnen aus den Romanen, die ihre bürgerlichen Berufe mit Stolz ausüben und mitreden wollen, wären ohne das Aufkommen der Städte reine Märchenfiguren geblieben.
"Stadtluft macht frei", war ein Slogan, der einem mittelalterlichen Rechtsbrauch entsprang. (s.a. Sachsenspiegel, Mühlhauser Rechtsbuch, Schwabenspiegel, etc.)
Der Leibeigene, dem es gelang, ein Jahr und einen Tag in einer Stadt zu verbringen, ohne von seinem Leibherrn zurückgefordert zu werden, war "frei" im Sinne eines Erwerbs städtischem Bleiberechts.
Eine wirkliche Sicherheit, oder gar "magische" Formel war das allerdings nicht. Realiter einigten sich viele Grundherrn mit wirtschaftlich von ihnen abhängigen Städten über eine "klammheimliche" Rückführung entlaufener Leibeigener. Auch Zahlungen wurden dafür geleistet, manchmal sogar Pauschalen.
Man erkennt, die Städte waren, um Unabhängigkeit zu erlangen, dazu gezwungen, ökonomisch erfolgreich zu sein, eine sich selbst antreibende Kraft, welche die enorme Dynamik der Stadtgründungen ab dem 11. Jahrhundert miterklärt.
So entstand aus dem zuerst recht unzulänglichen Brauch der Leibeigenenbefreiung mit der Zeit solides Recht, ein Bürgerrecht, einhergehend mit der Prosperität und Selbstverwaltung der Städte.
"Geldhandel macht frei" - wäre also das etwas provokative Pendant dazu.
In der Tat bleibt die Frage, ob der Adel sich mit seinen im Hochmittelalter fast inflationär zunehmenden Stadtgründungen auf längere Sicht nicht einen " Bärendienst" erwiesen hat. Es liegt auf der Hand, daß die wirtschaftlich schnell zu Macht gekommenen städtischen Gebilde bestrebt waren, die Kontrolle durch den Adel abzulegen, indem sie den adeligen Grundherrn, durch die aufkommende Geldwirtschaft oft in ökonomische Schieflage geraten, ein Privilieg nach dem anderen einfach abkaufen konnten.
Zu den Stadtgründungen im Mittelalter gehörte also zunächst der Vorsatz der Grundherren, eine wirtschaftliche Aufwertung der eigenen Ländereien vorzunehmen, indem sie Märkte schafften, d.h. Bauern und Handwerker zu städtischen Bürgern machten.
Dazu wurden dörfliche Siedlungsgemeinschaften in günstiger Lage mit Markt- und Stadtrechten ausgestattet.
Damit einher gingen Zoll- Münz- und Warenverkehrsprivilegien, Stapelrechte und die zumindest niedere Gerichtsbarkeit.
Die wirtschaftlich erfolgreichsten unter den Städten wurden durch den Geldhandel bald in die Lage versetzt, bislang noch verweigerte Rechte aus eigener Kraft zu erwirken. Ein Prozess, der einmal in Gang gesetzt, kaum noch reversibel war, wie Adel und Klerus ab dem Spätmittelalter zu spüren bekamen.
Die Rechts- und Geldautonomie führte somit ab dem Hochmittelalter auch zum Ausbau städtischer Selbstverwaltung mit Stadtrat und Bürgervertretungen, die aus Handwerkern und Kaufleuten bestanden. Zwischen beiden Gruppen entwickelte sich ein starkes Spannungsfeld, da sich im Zuge der Geldwirtschaft, die die Naturalwirtschaft verdrängte, die innerstädtischen Macht zunächst einseitig in Richtung der Kaufmannschaft (Patriziat, Gilden) entwickelte.
Erst mit der Organisation der Handwerkerschaft ( Zunftwesen) änderte sich das teilweise.
Dem Dualismus Adel - Bürgerschaft gesellte sich also zubehmend der von Kaufleuten - Handwerkern hinzu. Eine Stadt im Mittelalter war ein kompliziertes Gefüge aus alten und neuen Privilegien, Deputaten, Zins- und Handelsrechten und Gerichtsbarkeiten.
Dieses Gefüge führte zur Aufgabenteilung und Streitkultur, Stadtteil - Identitäten, Rechtsausgleich und Schlichtungswesen.
Alles das, was eine Stadt ausmacht, führte zur Bildung der deutschen Länder, wie wir sie noch heute vorfinden, besiedelt mit kleinen und großen Gemeinden, die letzteren haben ihren Weg von der karolingischen 'civitas' bis zur modernen Großstadt genommen.
Bewertung:
Das vorliegende Buch hat eine wichtige Lücke geschlossen auf dem Weg der historischen Bewertung der Prozesse der Stadtgründungen im Mittelalter. Evamaria Engel war die führende Forscherin in diesem Bereich, kein anderes Fachbuch untersucht eine vergleichbare Zahl von Gründungen und Gründungsurkunden.
Dennoch versteht sich dieses Buch als eine Einführung in das Thema, für Studierende der Geschichtswissenschaft und für alle Interessierte Laien.
Evamaria Engel ist es gelungen, in souveräner Beherrschung der kaum noch überschaubaren Flut von Einzelpublikationen und Stadtgründungsdokumenten, ein lebendiges, spannend geschriebenes und vor allem "lesbares" Buch zu verfassen. Es ist ein wissenschaftliches Buch, aber kein Handbuch nur für das Seminar. Wissenschaftlich in dem Sinn, als das vorher noch keine solche verknüpfende Systematik vorlag, Frau Engel hat den "roten Faden" nachgewiesen in der Zivilisationsgeschichte der Stadtentwicklung.
Topologie und Recht - machen die mittelalterliche Stadt aus, das war hier zu beweisen.
Den Historikern (m/w/d) ist ja zu ihrem Leidwesen der Blick auf das 'Grosse Ganze' meist verwehrt, ihre Arbeit findet zumeist im Detail, bildlich "mit der Lupe" gesehen, ihren Ausdruck, also in der Untersuchung von Einzelphänomenen, die Geamtdeutung ist selten ihre Aufgabe.
Um so erfrischender ist es, wenn eine wirklich überzeugende Gesamtdarstellung gelingt, eine sozusagen kybernetische Sicht auf ein historisches Gebiet. Die Autorin verdient dafür 5 von 5 möglichen Sternen.
Evamaria Engel (geb.1934 in Greifswald), promovierte als Assistentin bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zum Thema "Lehnsherrn und Lehnsbürger" an der Humboldt - Universität Berlin.
Später hatte sie die wissenschaftliche Leitung des Mittelalterressorts der Akademie und arbeitete in ihren letzten Berufsjahren an den "constitutiones" bei der Monumenta Germaniae Historika.