Mein Name ist Nobody

  • Wie der Westernheld kam ich eines Tages aus dem Nirgendwo. Doch über mich dreht niemand einen Film, keine Lieder singen meine Geschichte, in Romanen hinterlasse ich nur die Abdrücke meiner Finger. Mein Name ist Nobody.


    Ich bin unsichtbar. Ich gehöre zu denen, die die Straßen füllen, das Bild beleben, die Menge ausmachen, in deren Mitte dir eine Einzige auffällt. Die bin ich nicht, diese Einzige. Ich bin eine von vielen. Ich bin die, die dir den Platz im Bus oder der U-Bahn wegnimmt, die dich mit ihrem Gepäck anrempelt. Und nur dann falle ich dir auf, für einen Augenblick. Ich trinke zuviel, ich esse das Falsche, ich bin zu laut und bin nicht zu hören.


    Aus der Abgeschiedenheit der Provinz zog ich in die Einsamkeit der Stadt. Ich bin in der Menge, die den Frauenschwof zu dem macht, was er ist. Ich fülle die Vernissage, die Lesung, die Party. Du siehst mich und nimmst mich gleichzeitig nicht wahr. Du schaust dich suchend um, deine Augen gleiten über mich, aber sie schweifen rastlos weiter, während mein Blick in atemloser Hast dem deinen nacheilt und dich doch nicht erreicht.


    Ich entspreche keinem der üblichen Schönheitsideale. Ich bin nicht mehr jung, meine grauen Haare werden täglich mehr. Ich kleide mich mit mehr Rücksicht auf meine Bequemlichkeit als auf meinen Wunsch wahrgenommen zu werden. Mein Lächeln ist harmlos; unbeschwert, dass meine Zähne schief stehen. Ich bin nicht die, auf die du gewartet hast. Ich bin nicht die, die du suchst. Du siehst mich nicht, wenn du die bist, die ich suche.


    Mich gibt es tausendfach. Wie alle bin ich einzig. Und aus uns vielen Farbtupfern macht dein Auge, das schon soviel gesehen hat, ein großes Grau. Dein Blick gleitet über mich, an mir vorbei auf seiner Suche. Das ist kein Vorwurf. Auch meine Augen würden nicht lange auf mir verweilen, und wenn, dann nur, weil sie, müde geworden, nach innen blicken, meinen Geist begleiten, der im Geschauten einen Ruhepunkt sucht.


    Ich kenne das. Ich kenne dich. Du schaust so lange ins Nichts, bis ich, entzückt, endlich Aufmerksamkeit geweckt zu haben, eine Geste mache, die dich aus der Träumerei erneut zur Jagd ruft. Ich bin nicht die Beute. Ich bin der Wald.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Liebe Blaustrumpf,
    Danke! :anbet


    Mit diesem Text kann ich mich größtenteils identifizieren und mich stören die Ich-Anfänge überhaupt nicht, im Gegenteil: sie unterstreichen die Selbstironie, die diesem Seelenerguß zur Grundlage dient.

  • Ja, blaustrumpf, das ist keine Geschichte mehr, das ist "Ich". Mich stören die vielen Ich-Anfänge in diesem Fall auch nicht, denn endlich einmal kommt die zu Wort, die in der Menge nicht wahrgenommen wird. Ich gönne ihr - dir - die vielen Ichs und wünsche ihr - dir - jederzeit genügend Lautstärke und Originaliät um wahrgenommen zu werden.


    Lieben Gruß


    polli, klein und unscheinbar

  • Hallo, Doc, Zefira, Wilma und polli


    Danke für eure Beschäftigung mit dem "Nobody".


    Ja, Doc, du hast Recht: Der Rhythmus ruckelt. Das ist - schrecklich, so etwas zuzugeben - ohne Absicht passiert. Aber im Nachhinein betrachtet, gefällt es mir, dass Text nicht so ganz stolperfrei ist. Es ist übrigens auch einer, den ich vor einer Lesung richtig üben muss.


    Und auch Zefira muss ich zustimmen (obwohl es mich natürlich freut, dass Wilma und polli sich nicht an den vielen "Ichs" stoßen). Mich stören sie auch, nicht zuletzt, weil ich noch gelernt habe, dass es unelegant sei, einen Satz mit "Ich" zu beginnen. Doch wenn ich diese Ich-Betontheit herausnehme, dann verändert sich meiner Meinung nach die Person, die da monologisiert. Ihre Egozentrik könnte ein plausibler Grund sein, warum es nicht klappt, dass auch sie endlich einmal in ein Beuteschema passt. Dass sie damit nicht gut umgehen könnte, deutet sie ja selbst an: "Du siehst mich nicht, wenn du die bist, die ich suche."


    Nein, der Text ist sicher keiner aus der Schublade: "Selber-Schuld". Aber ich möchte einfach nicht die ganze Last des Vorbeischauens beim Gegenüber lassen. Es muss Gründe geben, warum es nicht klappt. Die vielen "Ichs" sind vielleicht ein zu dichter Wald, als in ihm gejagt werden könnte. Und da wird es dann schwierig: Wenn die Person niemand anderes hat, bleibt ihr nur das Ich.


    Meiomei. Nachdenken über eigene Texte. Wo soll das alles nur enden!
    :lache


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Meiomei. Nachdenken über eigene Texte. Wo soll das alles nur enden!


    vielleicht in die bestseller-liste?????


    mir gefällt der text auch so wie er ist.


    alles liebe


    gerda

  • blaustrumpf : Ich habe einen Gegenentwurf zu deiner Nobody:


    Jedes Mal wenn ich durch eine Tür komme, sehen mich die Menschen an, sie starren und flüstern und manchmal kichern sie und machen Witze. Oft sehe leicht beschämt auf den Boden, damit sie mir nicht in die Augen blicken. Ich setze mich in eine Ecke, ich mag nicht im Mittelpunkt stehen. Auf dem Weg dorthin wandern die Blicke der anderen auf meinem Rücken auf und ab, ich kann sie spüren, und ich kann das Tuscheln immer noch hören. Aber dort in der Ecke kann ich freier atmen. Ich mache mich kleiner als ich bin und hoffe die Bedienung beachtet mich kaum.


    Ich hasse es, wenn man mich fragt, ob ich alleine bin, ob ich noch jemanden erwarte. Denn immer dann fixieren mich diese vielen Augenpaare wieder – es ist als ob die Tische um mich aufgehört hätten zu atmen, nur ich höre mein Herz, mein Atmen und das der Bedienung. Meine Stimme versagt meistens und ich schüttele stumm den Kopf. Ich starre auf die Karte, obwohl ich schon weiss, was ich haben möchte, nur um den Leuten zu entgehen. Oder ich spiele mit meinem Handy oder mache irgendwelche Zeichen auf einen Zettel.


    Nach einer Weile sind die anderen Gäste wieder mit sich beschäftigt oder mit den Frauen, die auf dem Bürgersteig entlang spazieren und haben mich in meiner Ecke vergessen; dann erst kann ich tief Luft holen, mich entspannen und meinen Kaffee geniessen.