Schreibwettbewerb 01.06.2023 - 31.07.2023 Thema: "Geliefert"

  • Thema 01.06.2023 - 31.07.2023:


    "Geliefert"


    Vom 01.06.2023 bis 31.07.2023 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Geliefert“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.08.2023 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 31.07.2023) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Fest im Fest

    von R. Bote


    Das Sommerfest war immer ein Höhepunkt für die Beschäftigten von FH Feilke. Die Firma machte in Fertighäusern, 70 Angestellte sorgten dafür, dass der Laden brummte. Da ließ der Chef sich dann auch nicht lumpen, im Sommer und zu Weihnachten wurde groß gefeiert.

    Für Bennet und Carla war es das erste Sommerfest. Sie hatten im letzten Sommer ihre Ausbildung begonnen, Carla im Vertrieb, Bennet in der Buchhaltung. Arbeitsmäßig hatten sie nicht so viel miteinander zu tun, verbrachten aber oft die Mittagspausen zusammen. Vielleicht musste sich das so ergeben, weil sie die einzigen Auszubildenden waren und auch sonst mit ihren siebzehn Jahren mit Abstand die Jüngsten. Außerdem kannten sie sich von früher, an der Realschule waren sie in Parallelklassen gewesen.

    Bennet fühlte sich ganz wohl. Der Chef hatte ein Restaurant komplett gemietet für den Abend, es gab einen großen Saal drinnen und draußen eine Terrasse, die einen schönen Blick aufs Ruhrtal bot. Man saß dort recht gemütlich, die Tische waren so zusammengestellt worden, dass man sich gut in kleineren oder größeren Gruppen unterhalten konnte. Dienstbare Geister bewegten sich zwischen den Tischen und brachten Getränke, Essen musste man sich selbst holen. Ein Ein-Mann-Ensemble mit Keyboard sorgte für musikalische Untermalung, aber dezent, sodass man seinen Sitznachbarn noch verstand, ohne dass der den Stimmbändern eine Gewaltleistung abverlangen musste.

    Carla neben ihm war nicht ganz so glücklich. Ihr gefiel das Restaurant, auch die ganze Atmosphäre, und einer der Statiker erzählte gerade lebhaft witzige Anekdoten. Doch beim Essen hätte der Chef sich mehr einfallen lassen dürfen, fand sie, auch wenn sie nicht undankbar sein wollte. Da hatte er sich an seinem persönlichen Geschmack orientiert, Carla wusste, dass ein ordentliches Spanferkel mit Kraut bei ihm immer ging. Vielleicht hatte ihm da die Unterstützung seines Assistenten gefehlt, der in der entscheidenden Phase der Planung in Elternzeit gewesen war.

    Carla aß Fleisch, aber in Maßen. Mangels Alternativen hatte sie sich ein kleines Stück genommen und eine Portion Kraut dazu, aber echter Appetit wollte sich nicht einstellen. Eher lustlos schob sie sich gelegentlich eine Gabel voll in den Mund. „Nicht so deins, oder?“, stellte Bennet mitfühlend fest. Von den gemeinsam verbrachten Mittagspausen kannte er natürlich ihre Vorlieben. „Gar nicht“, gab Carla zu. „Du haust aber auch nicht gerade rein.“ Das stimmte, auch Bennet war kein Freund von fettigem, fleischlastigem Essen. „Lässt du mich mal kurz raus?“, bat er.

    Ein paar Minuten später war er zurück. Wo er gewesen war, sagte er nicht, auf dem Klo, schätzte Carla. Ihr fiel auf, dass er immer wieder auf die Uhr schaute. „Was ist los?“, fragte sie. „Musst du schon weg?“ „Nein.“ Bennet schüttelte den Kopf und schaute schon wieder auf die Uhr. „Kommst du mit nach draußen?“

    Carla nickte, das Essen hielt sie nicht am Tisch, und mal etwas frische Luft zu schnappen, konnte nicht schaden. Allerdings steuerte Bennet nicht die Terrasse an, sondern einen Seiteneingang, der zum Parkplatz führte. Dahinter schloss sich ein Park an, und Bennet führte sie einen der Wege entlang. Hoppla, darauf war sie nicht vorbereitet, aber okay.

    Wenig später erreichten sie einen Spielplatz, Bennet setzte sich auf die Tischtennisplatte und klopfte einladend neben sich auf die Betonfläche. Während Carla sich noch fragte, was das sollte, wurde ein Knattern laut, und ein paar Augenblicke später hielt ein Moped mit einer ausladenden Box auf dem Gepäckträger vor ihnen: ein Pizzabote!

    „Du bist verrückt!“, sagte Carla lachend, während der Pizzabote das Geld für die Pizzen einsteckte und davonknatterte. „Wenn das einer gesehen hat, sind wir Montag Tagesgespräch in der Firma. Aber egal, ich find’s schön.“ Sie beugte sich zu Bennet hinüber und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

  • Happpy Birthday

    von polli


    Es goss in Strömen. Die Paketbotin entschuldigte sich für das riesige, völlig durchweichte Paket und öffnete es, ehe ich protestieren konnte. „Sehen Sie, drinnen ist nichts beschädigt!“, rief sie. „Das habe ich nicht bestellt!“, unterbrach ich sie, doch sie ignorierte meinen Einspruch und zog einen hellblauen XXL-Plüschhasen aus der nassen Pappe. „Wie reizend. Haben Sie Geburtstag?“ Sie hastete zurück zum Lieferwagen, ohne meine Antwort abzuwarten.

    „Geburtstag? Meinen allerherzlichsten Glückwunsch. Ich komme nachmittags mit einem Törtchen vorbei.” Das war die Stimme meiner Nachbarin. „Ach, das ist ein Missverständnis, ich habe heute nicht Geburtstag.“

    „Genau, Verständnis. Habe ich, schließlich ist es nicht schön, schon wieder ein Jahr älter zu werden. Wie die Zeit vergeht! Geben Sie mir die nasse Verpackung, ich bin auf dem Weg zur Papiertonne im Gemeinschaftskeller.“ Sie war hilfsbereit und leider ziemlich schwerhörig, die Gute.

    Ich war spät dran auf meinem Weg zum Bäcker, also öffnete ich meinen Schirm, klemmte mir den Riesenhasen unter den Arm und sprintete los. „HAPPPY Birthday“ stand in Glitzerlettern mit drei PPP auf der Vorderseite. Wer denkt sich so etwas aus?


    Im Bäckerladen herrschte Hochbetrieb. Ich ließ versehentlich den Hasen fallen. Drei Leute vor mir bückten sich gleichzeitig, um ihn aufzuheben. „Oh, ein originelles Geburtstagsgeschenk, sehr nett!“ Und dann sangen alle spontan: „Viel Glück und viel Segen.” Es war oberpeinlich! Als ich dran war, zwei belegte Brötchen wie immer, legte mir die Verkäuferin ein Stück Kuchen dazu. „Wo Sie doch heute Geburtstag haben!“

    „Ich, äh ...“

    „Kein Einspruch, schließlich zählen Sie zu unseren Stammkunden. Und Ihren Geburtstag notiere ich gleich mal.“

    „Aber ...“

    „Seien Sie nicht so bescheiden. Freuen Sie sich einfach!“ Diesen Laden betrete ich nie wieder.


    Der Rest meines Homeoffice-Tages verlief unauffällig. Laptop, Headset, Arbeit, das Übliche. Den Hasen hatte ich fast vergessen, ich hatte ihn an der Garderobe abgelegt in der naiven Hoffnung, dass der rechtmäßige Besitzer auf der Suche nach seinem Paket zielsicher bei mir auftauchen würde. Am Nachmittag öffnete ich deshalb bereitwillig die Tür, als es klingelte. Es war die Nachbarin, eskortiert von zwei weiteren Damen aus den Etagen über mir. Sie hatten eine rosa Marzipantorte dabei.

    Ich flüchtete vor der Torte und den Nachbarinnen ins Wohnzimmer, durch die Terrassentür in unseren Gemeinschaftsgarten, zwängte mich durch die enge, mit Kletterrosen bewachsene Pforte nach draußen in die Friedhofsgasse und rannte weiter bis auf den Friedhof. Den Tränen nah versteckte ich mich hinter ein paar dichten Rhododendronbüschen. Plötzlich rief einer der Friedhofsgärtner: „He, Sie da, alles in Ordnung mit Ihnen?“ Er musterte mich besorgt. „Sie sind ja ganz verkratzt. Hat er Sie ins Gebüsch gestoßen?“

    „Äh, wer bitte?“

    „Na, der Unhold, der gestern hier eine Frau belästigt hat.” Zwei kräftige Gartenarbeiter gesellten sich zu uns. “Nicht lange fackeln, wir rufen Polizei und Rettungsdienst für Sie!” Der eine zog sein Handy aus der Hosentasche.

    “Nein!!”, kreischte ich, “So war es nicht! Ich will doch nur —“

    “Jaja, das ist der Schock, gleich kommt der Rettungswagen. Schön ruhig bleiben.”

    Durch den Friedhofseingang eilten die Nachbarinnen herbei, die schnellste von ihnen trug den Hasen, dann tönte laut das Martinshorn. Mir wurde schwarz vor Augen.


    Benommen erwachte ich auf einer Liege im Krankenhausflur. Als mich einer der Pfleger erblickte, tätschelte er meine Hand. “Die Polizei kommt später, das hat Zeit. Aber erst einmal wünsche ich Ihnen alles, alles Gute zu Ihrem Geburtstag.” Und dann drückte er mir den Plüschhasen in den Arm.

  • Unbesungen

    von Inkslinger


    »Wir sind da-ha!«

    Bea schaut ihre Mutter argwöhnisch an. »Was geht denn bei dir ab? Seit wann freust du dich so darauf, Firmenfuzzis ihr Futter zu bringen?«

    Ines grinst. »Das wirst du gleich merken! Komm!« Ungeduldig stürzt sie zum Heck.

    Bea lässt sich aus dem Auto gleiten und schlurft nach hinten, wo ihre Mutter mit Stahlbehältern auf sie wartet. »Wenn du langsamer gehst, bewegst du dich rückwärts.«

    »Was ist los mit dir? Du bist noch nerviger als sonst.«

    Ines drückt ihr einen Behälter aufs Auge und schließt schwungvoll die Tür des Lieferwagens. »Und du noch missmutiger. Komm, wir stellen uns erstmal vor und holen dann den Rest des Leckerschmeckerschmauses!«

    Augenrollend folgt Bea ihr ins Bürogebäude.

    Nach scheinbar endlosen, schlecht beleuchteten Fluren kommen sie in der Kantine an, wo bereits ein Anzugträger auf sie wartet.

    »Hallo! Frank Treichel, wir haben telefoniert.«

    Ines lächelt. »Hallo. Schmidtke. Wo können wir ablegen?«

    Er zeigt auf die Tischreihe hinter sich. »Dort bitte. Falls irgendetwas ist, ich bin draußen bei den Gästen«, fügt er hinzu und tritt durch die geöffnete Glastür in den Garten.

    Ines starrt ihm verträumt hinterher. »Da würde ich gerne Mäuschen spielen.« Sie seufzt. »Lass uns den Rest holen, bevor meine Pumpe vor Aufregung schlapp macht.«


    Nach zwei Touren ist der Lieferwagen leer und das Büfett angerichtet.

    Während Bea die Tische mit Servietten dekoriert, holt Ines einen Stapel Visitenkarten hervor und drückt ihnen einen Schmatzer auf.

    »Viel Glück, meine Kleinen. Auf dass ihr euch munter unter diesen besonderen Menschen verbreitet.«

    »Sicher, dass du keinen Schlaganfall hast?«

    Ines lacht und drapiert die Karten an strategisch guten Plätzen. »Ich bin so klar wie schon lange nicht mehr. Und überglücklich.«

    »Wieso denn …«

    Wortlos packt Ines sie am Arm und führt sie zur offenen Terrassentür.

    Draußen herrscht eine angenehme Stimmung. Die Leute plaudern, lachen und tanzen zur gefälligen Hintergrundmusik.

    »Was siehst du hier?«

    Bea zuckt mit den Schultern. »Bürotypen, die von ihrem Chef gezwungen werden, einen Samstag miteinander zu verbringen.«

    Ines schüttelt den Kopf. »Voll daneben, Süße. Diese Leute sind unsere unbesungenen Helden. Jedermann kennt sie, doch keiner schenkt ihnen groß Beachtung. Außer ein paar Geeks wie ich.«

    »Helden? Du übertreibst.«

    »Vielleicht. Aber so sehe ich das eben.«

    Sie schließt die Augen. Ihr Lächeln wird von Sekunde zu Sekunde breiter. Als sie sie wieder öffnet, stehen Freudentränen darin. »Ich sage Herrn Treichel Bescheid, dass wir fertig sind.« Sie gibt Bea einen Kuss auf die Stirn und verschwindet in der Menge.

    Bea guckt ihr ratlos hinterher.

    Was haben diese unscheinbaren Typen Heldenhaftes an sich? Wie haben sie es geschafft, ihre Mutter 40 Jahre jünger aussehen zu lassen?

    Sie wagt den Selbstversuch und schließt die Augen. Doch außer, dass die Musik und die summenden Gespräche sie sofort einlullen, kann sie nichts Besonderes entdecken.

    Bis einer der Gäste plötzlich laut auflacht und sie seine Stimme klar heraushört. Er kommt ihr bekannt vor – und irgendwie auch nicht. Wenn sie sich das Berlinern wegdenkt, ist ihr, als hätte sie vor Kurzem erst mit ihm geredet … Nein, er hat mit ihr geredet!

    Sie konzentriert sich auf die einzelnen Stimmen und entdeckt immer mehr Vertrautes. Links von ihr redet der Sprecher aus ihrem Stephen-King-Hörbuch mit Leonardo DiCaprio. Auf der rechten Seite Bruce Willis mit Melissa McCarthy. Vor ihr haben Lisa Simpson und James Bond eine lebhafte Diskussion über den neuen T.C. Boyle.

    Jemand berührt sie sanft am Arm und sie schlägt die Augen auf.

    Ihre Mutter lächelt wissend. »Jetzt verstehst du es.«

    Bea nickt. »Das ist voll irre! Das muss ich meinen Freunden erzählen!«

    Ines lacht. »Tu das, Liebling. Sing über unsere Helden.«

  • Wie gewählt, so geliefert

    von Breumel


    Wie jeden Abend stand Johanna vor den Schulranzen ihrer Kinder.

    „Habt ihr für morgen alles gepackt? Julia, dein Strickzeug? Klaus, die Zeichnung für das Werkprojekt?“

    „Ja, Mama. Aber warum muss ich dieses blöde Handarbeit haben, während Klaus in Werken darf?“ Voller Abscheu sah ihre Tochter auf die Stricknadeln.

    „Weil ich ein Junge bin und du ein Mädchen!“, feixte ihr Zwillingsbruder.

    Innerlich gab Johanna ihrer Tochter recht. Sollte doch jeder machen, was er oder sie wollte!

    „Das ist halt in der neuen Schulordnung so. Dafür haben die Mädchen jetzt auch ihren eigenen Sportunterricht.“

    „Lieber Fußball als stricken!“

    Johanna seufzte.

    „Und in drei Wochen gehen wir schwimmen. Cansu hat deswegen letztens angefangen zu heulen.“

    „Warum das denn, kann sie nicht schwimmen?“

    „Das schon. Aber erst haben sie das Kopftuchverbot in der Schule verhängt, und jetzt darf sie keinen Burkini tragen. Mit einem Badeanzug will sie aber nicht in die Schwimmhalle, wenn da auch Männer sind. Und weil sie zu wenig Schwimmlehrer haben, hält Herr Markert den Unterricht.“

    Die armen Kinder, dachte Johanna. Müssen ausbaden, was die Erwachsenen angerichtet hatten. Seit der letzten Wahl und den neuen „Gesetzen zur Erhaltung der deutschen Kultur“ sah man deutlich weniger Kopftücher auf den Straßen. Und durch die „Rückführung“ vieler Flüchtlinge waren zwar die Klassen kleiner geworden, aber gerade unter den Lehrern war der Protest groß gewesen, und viele der gebildeteren Bürger hatten Angebote aus dem Ausland angenommen.

    „Mama, muss ich eigentlich im nächsten Halbjahr auch in den Kochunterricht?“ Klaus sah sie erwartungsvoll an.

    „Ja, der ist für Schülerinnen und Schüler.“

    „Und diverse?“

    „Die gibt‘s doch laut Schulordnung nicht mehr. Jeder Schüler hat sich einem Geschlecht zuzuordnen. Das war eines der ersten Gesetze, welche das Schulamt erlassen hat, nachdem der Föderalismus beim Bildungssystem aufgehoben wurde. Dafür kannst du dich bei der Regierung Weidel bedanken.“

    „Aber Kochen ist Frauensache! Die kriegen doch sowieso nach der Schule Kinder und bleiben zuhause.“

    Nicht nur Julia wurde jetzt sauer. „Kriege ich nicht! Und ich muss wenigstens nicht zum Wehrdienst!“

    Noch so etwas, was die Regierung eingeführt hatte. Wenn es wenigstens europäische Blauhelmeinsätze gewesen wären, aber aus denen hatte sich Deutschland fast komplett zurückgezogen.

    „Wir können doch essen gehen!“, schlug Klaus vor.

    Johanna musste lachen.

    „Können wir ja vielleicht am Sonntag. Wo würdet ihr denn gerne hingehen?“

    „China Palast!“ „Döner König!“ Beide Kinder riefen durcheinander.

    „Das wird schwierig. Der China Palast ist jetzt ein Schnitzelrestaurant, und der Döner König eine Currywurstbude...“

    Sie würde eigentlich auch gerne mal wieder essen gehen. Seit die Hortplätze reduziert worden waren und sie nur noch halbtags arbeiten konnte, stand sie jeden Mittag am Herd und kochte für die Familie. „Danke, Weidel!“, dachte sie frustriert. Sie vermisste die Zeit mit den Kollegen und die finanzielle Unabhängigkeit. Wobei – da es nicht genügend ausgebildetes Personal gab, musste sie sich ständig mit vom Arbeitsamt zwangsrekrutierten Hilfskräften herumärgern. Wer wollte sich schon den Behördenkrieg antun, der inzwischen für die Einstellung von ausländischen Fachkräften notwendig war? „Deutsche Jobs für deutsche Bürger“ – wo waren sie denn, diese stellensuchenden, fähigen, deutschen Bürger? Die Mütter wurden an den Herd gestellt, die Ausländer in ihre Heimat geschickt, und dann hatten noch irgendwelche Trottel in den Behörden entschieden, dass man die Prüfungen in den weiterführenden Schulen erschweren müsse, um mehr junge Leute in Handwerksberufe zu lotsen. Mit entsprechender Motivation. Fehlte nur noch die Wiedereinführung der Prügelstrafe – Disziplin hatte sich die Partei ja auch aufs Programm geschrieben. Wenn das so weiter ging, sollte sie vielleicht ihre Englischkenntnisse aufpolieren. Aber den Alternativ-Deppen kampflos ihre Heimat überlassen? Da fiel ihr Blick auf die Zeitung. Was hatte Sie noch heute Morgen gelesen?

    „Kinder, wart ihr eigentlich schon mal auf einer Demo?“