Allessandro Baricco - Seide

  • Klappentext:


    „Ich wollte eine Geschichte schreiben wie weiße Musik, eine Geschichte, die klingt wie die Stille.“ Allessandro Baricco, in Italien schon seit Jahren gefeierter Literaturstar, präsentiert sich erstmals dem deutschen Publikum mit einer poetisch-zarten Parabel auf die Liebe: Sie ist leicht und elegant wie ein Seidenschal auf den Schultern einer schönen Frau.


    Inhalt:


    Lavilledieu, ein südfranzösisches Städtchen im Jahre 1861: Hervé Joncour lebt hier glücklich mit seiner jungen Frau Hélène; zu Wohlstand hat er es gebracht mit dem Handel von Seidenraupen, die er in Ägypten und Kleinasien kauft. Doch eines Tages sind die Seidenraupen von einer mysteriösen Krankheit befallen, und der ortsansässige Seidenspinner Baldabiou rät Hervé, sich aufzumachen „ans Ende der Welt“, nach Japan, dem einzigen Land, das noch von der Seuche verschont geblieben ist.


    Nach einer langen Reise gelangt Hervé an den Hof des Edelmanns Hara Kei, wo seine Aufmerksamkeit vom Anblick eines wunderschönen Mädchens gebannt wird, das offensichtlich mit Hara Kei verbandelt ist, aber ein Auge auf Hervé geworfen hat. Hervés Leidenschaft ist entfacht und wächst von Reise zu Reise… Bis diese nicht einmal angefangene Liebschaft ein Ende nehmen muss.


    Meine Meinung:


    Baricco schreibt in einer klaren, dichten Sprache, erzählt meist in kurzen Sätzen, und ich bin hin- und hergerissen, wie ich seine Erzählung bewerten soll (mir ist übrigens nicht ganz klar, weshalb sie als Parabel bezeichnet wird). Einerseits konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen, andererseits hinterließ es ein unbefriedigtes Gefühl.


    Seine Charaktere sind flach und die Handlung geht niemals ins Detail. Was mich bei Zeitgenössischem nicht stört, wenn ein ansprechender Schreibstil dieses Manko wett macht, war mir in diesem Fall zu wenig: Wären Schauplatz und Personen zeitgenössisch, könnte ich sie mir leicht vorstellen. Die Geschichte von Hervé spielt aber Ende des 19. Jahrhunderts, und ich hätte gern viel mehr gewusst über die Bevölkerungsstruktur, Hierarchien, Bräuche und Hintergründe im Japan dieser Zeit.


    So war die Geschichte zwar schön zu lesen, aber meine Vorstellung der Ereignisse blieb verschwommen, und meine Anteilnahme hielt sich in Grenzen.

    Ich habe keine Lösung, aber ich bewundere das Problem.

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  • Ciao, Waldfee ;-)


    Die Ereignisse sind in dieser Geschichte auch ziemlich unwichtig. Es soll die Darstellung eines Gefühls sein, Liebe.
    Autor und Verlag sprechen auch von Leidenschaft, aber tatsächlich ist Sehnsucht gemeint.
    Die Reisen nach Japan sind bloß Mittel zum Zweck. Man muß Mann und Frau halt zusammenbringen.


    Ich habe immer große Schwierigkeiten mit der Vorstellung einer wunderschönen, allem Irdischen entrückten Märchenfrau, die einen Mann in ihren Bann zieht. Es ist eine Männerphantasie. Denn sie setzt voraus, daß die Dame bloß auf ihn, den einen, gewartet hat.
    Das kann natürlich eine sehr schön erzählte Geschichten geben. Das war es hier durchaus.
    Ich fand es aber interessant, daß man, wenn man so etwas Ende der 1990er schreibt, so stark exotische Versatzstücke braucht. Japan, Seide, eine echte Ferne vom Alltäglichen, nicht mehr nur die im Kopf und Gefühlsleben.
    Mich hat die Lektüre am ehesten verwundert, obwohl ich sonst unweigerlich ein Opfer poetischer Sprache bin.


    Ich habe das Buch - eigentlich ist es ja bloß ein Büchlein - interessanterweise von einem Mann geschenkt bekommen, mit dem Hinweis: so eine wunderbare Liebesgeschichte.
    'Wunderbar' ist nicht falsch :grin


    Ich habe es oft verliehen. An Männer. Die unter 35 waren fast durchgehend hingerissen.
    Die über 35 verblüfft, vor allem wenn sie leseerfahren waren. Sie sprachen auf das Mysterium des Ganzen an, fanden es aber letztlich nicht zeitgemäß.
    Oder wie einer kommentierte: 1999 schreibt man nicht mehr wie Flaubert!


    Der Vergleich mit Flaubert ist in meinen Augen zu hoch gegriffen ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Hi magali,


    danke für deinen sehr interessanten Beitrag!! :-)


    Zitat

    Original von magali
    Ich habe immer große Schwierigkeiten mit der Vorstellung einer wunderschönen, allem Irdischen entrückten Märchenfrau, die einen Mann in ihren Bann zieht.


    Geht mir genauso, zumal er nicht einmal ihre Stimme kennt, also niemals ein Wort mit ihr gewechselt hat...


    Zitat

    Ich fand es aber interessant, daß man, wenn man so etwas Ende der 1990er schreibt, so stark exotische Versatzstücke braucht. Japan, Seide, eine echte Ferne vom Alltäglichen, nicht mehr nur die im Kopf und Gefühlsleben.
    Mich hat die Lektüre am ehesten verwundert, obwohl ich sonst unweigerlich ein Opfer poetischer Sprache bin.


    Damit bringst du meine zwiespältigen Gefühle genau auf den Punkt!


    Zitat

    Ich habe es oft verliehen. An Männer. Die unter 35 waren fast durchgehend hingerissen.
    Die über 35 verblüfft, vor allem wenn sie leseerfahren waren. Sie sprachen auf das Mysterium des Ganzen an, fanden es aber letztlich nicht zeitgemäß.


    Aha. Also eher ein Männerbuch? Hätte ich nicht gedacht!

  • "Aha. Also eher ein Männerbuch? Hätte ich nicht gedacht!"


    Es ist schon interessant, mir hat das Buch sehr gut gefallen, meinen Freund weniger.
    Alessandro Baricco gefällt mir sehr gut, gelesen habe ich schon, "Novecento",
    "Oceano Mare" und "Ohne Blut", ich finde er schreibt sehr poetisch, für mich einen Autor den ich nicht vergessen kann.
    "Seide" fand ich am schwächsten, die anderen kann ich einfach nicht vergessen, einfach schön.
    Ich kann "Seide" aber nicht als Historischer Roman betrachten, eher als eine Poesie der Liebe.


    LG
    Krake

  • Zitat

    Original von Krake
    Ich kann "Seide" aber nicht als Historischer Roman betrachten, eher als eine Poesie der Liebe.


    LG
    Krake



    Hallo Krake,


    das stimmt schon - aber diese Rubrik gab es leider nicht. Und unter Belletristik habe ich ihn auch nicht gesehen. Dann schon eher bei Historischem. Manchmal ist es schwierig mit der Zuordnung...

  • Selten habe ich ein Buch gelesen, daß fast wie ein Gedicht geschrieben ist. Die Sprache ist einfach wunderschön und die Geschichte zieht einen in eine fremde Welt, aus der man gar nicht mehr auftauchen möchte. Inhaltlich finde ich das Buch nicht so gut, da fehlen mir vielleicht einige Erklärungen, aber die Sprache macht das alles wieder wett. Es liest sich fast wie ein Märchen oder wie schon erwähnt ein Gedicht.



    Ein Buch zum IMMERWIEDERLESEN



    Ich kenne aber keinen Mann, dem ich das Buch empfehlen würde, allerdings einige Frauen.

  • Das habe ich mal auf der Arbeit in 2 Mittagspausen durchgeschmökert - tolles Leseerlebnis. Wunderbare Sprache, zum Glück sehr schön übersetzt!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Hallo Mascha,


    danke für deine Eindrücke. :-)


    Mit etwas Abstand kann ich sagen: Das Buch hat mich nicht nachhaltig beschäftigt, und tatsächlich habe ich die Handlung nur noch oberflächlich in Erinnerung. Für mich wäre es also kein Buch zum Immerwiederlesen. Nein, ich glaube, ich würde es kein zweites Mal lesen. Sprachlich war es toll, aber inhaltlich dann doch zu dünn.

  • "Seide" steht seit langem auf meiner Bücher-die-ich-noch-lesen-will-Liste. Irgendwie schrecke ich davor zurück, es mir anzuschaffen, auszuleihen, oder was auch immer.


    Vor einigen Jahren habe ich von Baricco "Oceano Mare" gelesen. Mit dem neugierigmachenden Untertitel: Das Märchen vom Wesen des Meeres.
    Ich war hin- und hergerissen, gelinde ausgedrückt. Auf der einen Seiten hat mich das Buch wahnsinnig fasziniert, auf der anderen Seite fand ich es zu übertrieben, zu phantastisch, zu weit hergeholt. Auf jeden Fall hat es mich Tage danach noch nachdenken lassen und ich kann beim besten Willen nicht entscheiden, ob es sich dabei um ein kleines Miesterwerk handelt oder einfach nur um puren Shit.


    Aus diesem Grund habe ich mich noch immer nicht an "Seide" gewagt.

  • Zitat

    „Ich wollte eine Geschichte schreiben wie weiße Musik, eine Geschichte, die klingt wie die Stille.“ Allessandro Baricco


    Habe selten so eine schöne poetische Geschichte gelesen.
    Die Schönheit der Sprache, die wie die ruhigen Wellen fließt,
    hat sogar die Handlung in Hintergrund gerückt.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Herve Joncour sollte eigentlich im Frankreich des 17. Jahrhunderts eine steile Karriere beim Militär machen. Zumindestens dachte das sein Vater.
    Doch Baldabiou hat anderes mit ihm vor und so wird Joncour Seidenhänderl in Lavilledieu. Und es ist auch Joncour an dem bald das Schicksal der sieben Seidenspinnereien hängt, als Krankheiten und Seuchen die Seidenzucht in Europa fast unmöglich machen.
    Er reist nach Japan, um dort die Eier zu kaufen, denn diese sind von all den Krankheiten isoliert geblieben.
    Joncour macht Geschäfte mit Hara Kei und entdeckt sie. Joncour ist von ihr so fasziniert, dass es ihn Jahr für Jahr wieder nach Japan zieht, um Eier zu kaufen und sie sehen zu können. Er reist auch nach Japan, als dort 1861 Krieg ausbricht.


    Der Dtv Verlag betitel dieses grade mal 127 Seiten starke Buch als poetische Parabel. Allerdings wird es hier schwerfallen, selbst auch nach höchster Anstrengung des Nachdenkens, eine Moral der Parabel feststellen zu können und dazu noch eine poetische.
    Baricco erzählt eine einfache Geschichte mit einfachen Mitteln. Der Schreibstil ist mehr als einfach und wirkt ziemlich monoton, was das lesen nicht gerade vereinfacht. So fangen die Kapitel in denen Joncour nach Japan reist alle mit den selben 5 Sätzen an und die Sätze sind oft nur aneinander gereihte Hauptsätze.
    Natürlich kann man jetzt argumentieren und sagen: Baricco möchte so verhindern, dass der Leser von der Geschichte abgelenkt wird. Aber der Leser bekommt kontinuierlich immer wieder dasselbe zu lesen und das 127 magere Seiten (die zu allem überfluss auch noch spärlich bedruckt sind) lang.
    Doch konzentriert man sich einmal auf die Geschichte geht es um einen verheirateten Mann, der im 17. Jahrhundert die ungewöhnliche Reise von Frankreich nach Japan antritt und dort von einer Frau in den Bann gezogen wird. Nicht mehr und nicht weniger.
    Auf 127 Seiten bleibt weder Raum für die Geschichte, noch für die Charaktere.
    Und auch wenn das oben beschriebene eher negativ klingt, so muss man doch sagen, dass Baricco mit Seide eine Novelle geschaffen hat, die einem eine schöne Lesestunde beschert und die etwas besonderes ist. Besonders nicht, weil sie herausragend gut ist, sondern weil sie einfach mal sowohl vom Inhalt als auch erzählerisch mal etwas komplett anderes ist!

  • Ich habe mich ganz lange auf "Seide" gefreut, weil ich vorher "Novecento", "Oceano Mare" und "Ohne Blut" gelesen habe, und alle drei wundervoll fand. "Seide" war meiner Meinung nach am schwächsten, und die ziemlich hohen Erwartungen, die ich hatte, wurden leider nicht erfüllt. Das Buch war nicht schlecht, mitgerissen hat es mich aber auch nicht. Vielleicht war das Buch auch einfach so kurz, dass ich nicht recht in die Geschichte reinkommen konnte. Schade. :-(

  • Es ist nur ein Büchlein mit 131 Seiten, das sich an einem Nachmittag ruhig wegliest.


    Man sollte es einfach genießen, eine schnörkellose Sprache erzählt eine schöne Liebesgeschichte. Auffällig ist, daß einige Passagen in wenig abgeänderter Form mehrfach wiederholt werden. Die Protagonisten kann man sich gut vorstellen, obwohl die Charaktere nicht vertieft werden. Wie schon gesagt, es geht um Liebe, Sehnsucht, Begierde, Moral und um Seide, genauso leicht und zart ist die Geschichte.

  • Alessandro Baricco ist ein trügerischer Autor. Dies ist nun schon das zweite Buch, nach "Novecento", das scheinbar leicht und schnell verfliegt. Doch erst beim Tippen dieser Worte geht mir auf, wie nachhaltig mich die Magie der Worte und der Geschichte verfolgt.


    Man sollte dieses Buch auf KEINEN Fall lesen, wenn man schnell unterhalten werden will! Schnell liest es sich zwar, aber die Geschichte hat Untiefen, und stellt (u.a. moralische) Fragen, die man sicher nicht nach 5 Minuten Nachdenken gelöst hat.


    Worum geht es? Es scheint so banal, diese Frage "herunterzuleiern". Das verrät einem auch der Klappentext: Um den Seidenhandel im Frankreich des 19. Jahrhunderts, und um einen Mann, der, eher unfreiwillig zum Seidenhändler geworden, stetige Reisen nach Japan unternimmt, um die Produktion in seinem Heimatort aufrecht zu erhalten - denn nur in Japan ist man bislang frei geblieben von einer geheimnisvollen Seidenraupenseuche.


    Gleichzeitig beschreiben diese Worte überhaupt nicht, worum es eigentlich geht! Denn dieser Mann, Hervé, gerät auf seinen Reisen in einen hypnotischen Bann zu einer jungen Frau, anscheinend keine reine Japanerin, die jedoch für ihn letztlich unerreichbar bleibt, ja bleiben muss. Der Text beschreibt immer wieder in den gleichen Worten (!), mit den gleichen Formeln, wie Hervé diese damals lange und beschwerliche Reise nach Japan unternimmt. Insgesamt vier Mal! Immer wiederholen sich die gleichen Reiseabschnitte, immer wieder ahnt der Leser nach seiner Rückkehr: er wird wieder fahren, obgleich er nicht müsste. Das ist ein ausgesprochener Kunstgriff des Autors, der dem Leser so auf ungemein eindringliche Weise nahebringt, wie gefangen Hervé von dieser Frau ist.


    Wohlgemerkt, es fällt KEIN beschreibendes, emotionales Adjektiv, egal welcher Couleur! Meisterhaft, wirklich meisterhaft, wie man als Leser dennoch mitbekommt, welche Gefühle sich unter der Oberfläche abspielen. Kaum Worte. Nur Blicke. Und heimliche Gesten. Damit ist alles schon gesagt, und es ist wunderschön!! Manchmal wünschte ich mir, auch sogenannte moderne Autoren würden diese Kunst beherrschen, mit wenigen Worten viel auszusagen. Was für ein Buch!!


    Und dann erst das Ende, das sich erst recht nicht erzählen lässt. Es ist überschattet von einer tragischen Romantik, und von einer überraschenden Tatsache, die einem ein wenig die Sprache verschlägt. Hervé wird mit seinen Erinnnerungen weiterleben - aber an was eigentlich? Sein Leben lang wird er sich fragen, was ihn getrieben hat, und ob alle seine Entscheidungen richtig waren. Fast hätte ich am Schluss geweint. Mich muss heute nur noch ein Mensch schräg von der Seite ansprechen, und dann ist es soweit, dann kann ich nicht mehr. Und das alles wegen dieses Buches! Unglaublich!


    Ganz sicher ist dies auch kein Buch für sehr junge Leser. Es beschreibt, OHNE zu beschreiben, perfekt die Stimmungslage eines Menschen mittleren Alters, der sich plötzlich von einer unerklärlichen Leidenschaft aus den Angeln gehoben sieht. Ein Buch für einen Nachmittag, aber auch gleichzeitig ein Buch für das ganze Leben.


    Erst wenn ihr es selbst gelesen habt, werdet ihr vermutlich verstehen, dass ich nicht übertrieben habe.

  • Zweifellos, Baricco ist ein Künstler – ein Wortkünstler. Andere verschwenden Seiten für einen Gedanken. Baricco genügt ein einziges Wort. Mit wenigen Worten skizziert er Menschen, die wenige Worte machen. Doch wortlose Kunst ist manchmal zu wenig. Vor allem dort, wo man sich viel mehr sagen sollte: In der Liebe.