'Auf Tiefe - See- und Küstengeschichten' - Dunkles Wasser

  • Es ist immer noch eine Sache, ob man einen Dialekt spricht oder ob man ihn schreibt. Es gehört zu den schwierigeren Übungen, einen Dialekt vernünftig zu verschriftlichen.

    Nicht umsonst nehmen die Sprachwissenschaftler die Interviews, die sie mit Dialekt Sprechenden führen, erst einmal auf. Die Transkription braucht dann Zeit.

    ...

    :?:

    Wir schreiben hier alle von Dialekt in einem Buch, also von geschriebenem Dialekt.


    Dann soll der Autor diese "schwierige Übung" meistern. Ob er den Dialekt von Haus aus beherrscht, klug recherchiert, sich den Text transkribieren oder tanzen lässt - egal.

  • So düster und bedrückend die Geschichte ist, umso lebendiger war das Leserlebnis.

    Ihr habt meine Gedanken zur Geschichte alle schon genannt, stellvertretend sei hier Ayasha zitiert, die ich nur :write kann! Toll geschrieben, auch ich war sofort mittendrin und sehr atmosphärisch - inhaltlich ... heftig8|. Ich hoffe sehr, es kommen auch heiterere Geschichten. Natürlich braucht es auch solche, die die Abgründe und dunklen Seiten des Lebens zeigen - aber bitte auch andere! Auf alle Fälle hat diese Geschichte zu Recht einen Preis bekommen und auch wenn ich anfangs vom Brudermord und anschließender Selbstjustiz geschockt war - mittlerweile gefällt sie mir in ihrer unerwarteten Heftigkeit.


    Alle Wörter, vor allem die Fachbegriffe zu verstehen, habe ich mich gar nicht bemüht. Für mich dienen sie mehr der Atmosphäre als dem Verständnis und so war die Geschichte auch für mich als süddeutsche Landratte ohne Nachschlagen sehr gut verständlich. Mit dem Platt hatte ich wenig Probleme, das habe ich größtenteils sogar verstanden bzw. war der Sinn durch den Kontext verständlich. Nur eine Frage habe ich dazu: Was heißt: "de füünsche Lars"? (S. 12 unten) Sinngemäß kann ich es mir auch hier erschließen, nur was heißt es "wirklich"?


    Überhaupt scheint die Familie nicht sehr geübt darin, miteinander zu reden.

    Nein. Aber gerade das passt für mich zur Zeit und gesamten Umfeld der Geschichte. Das waren keine "Studierten", die im Umgang mit Worten geschult waren, sondern körperlich hart arbeitende Menschen, für die ganz andere Dinge im Vordergrund standen. Dieter Neumann hat mein Empfinden schon sehr gut in Worte gefasst. :thumbup:


    Dörte Hansens Bücher wurden hier ja schon erwähnt: auch bei ihr steht eine gewisse Sprachlosigkeit im Vordergrund. Und auch da passt es sehr gut.

    Und ich denke, er hätte auch versucht, den Sohn wieder an Bord zu ziehen.

    So hart das klingt - das glaube ich nicht. Zwar haben "der Alte" und Uwe meiner Meinung nach den Tod von Lars nicht gewollt, sondern "nur" Gewissheit, aber nachdem die Ereignisse so gekommen sind, haben sie wohl nichts dagegen unternommen, sondern es laufen lassen. Bis zum bitteren Ende. Wahrscheinlich haben sie es als gerechte Strafe empfunden.


    Und was hätte der Vater auch mit Lars machen sollen? Ihn der Polizei ausliefern? Das passt nicht. Wahrscheinlich hätte es sowieso damit geendet, dass Lars aus dem Leben der Eltern für immer verschwindet. Ein Weiterleben als Familie nach dieser furchtbaren Erkenntnis - nein, das geht gar nicht.


    Und jetzt freue ich mich auf die zweite Geschichte (wenn auch nach den Andeutungen mit einigem Vorbehalt;)) .

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • "füünsch" habe ich auch googeln müssen: gemeint ist wohl so etwas wie zornig, unverträglich, aufgebracht - wo der Wortstamm liegt bleibt mir allerdings schleierhaft.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • "füünsch" habe ich auch googeln müssen: gemeint ist wohl so etwas wie zornig, unverträglich, aufgebracht - wo der Wortstamm liegt bleibt mir allerdings schleierhaft.

    Das ist völlig richtig. Man nennt im Plattdeutschen einen Menschen "fünsch", der leicht reizbar und unverträglich ist, oder auch jemanden, der leicht böse wird oder es gerade ist.

  • Ich kann mich euren Kommentaren auch nur noch anschließen, eine sehr eindrucksvolle, düstere Geschichte.

    Mit den plattdeutschen Einschübe hatte ich auch keine Probleme, sie haben mir sehr gut gefallen und die Geschichte noch lebendiger gemacht.

  • Hui, das ist mal eine lebhafte Leserunde - ich habe für das Lesen Eurer Beiträge länger gebraucht als für die Geschichte selbst!


    Ich war ja sehr skeptisch - Kurzgeschichten sind nicht so meins, dachte ich. Nach diesem Einstieg freue ich mich, dass ich eines Besseren belehrt wurde.


    Mir hat in dieser Geschichte der Dialekt keine Probleme bereitet - und ich finde, er passt hier auch einfach. Hochdeutsch hätte bei Fischern im Jahr 1922 zu gestelzt und unecht geklungen. Die Segler-Fachbegriffe haben mich dann schon eher irritiert, allerdings habe ich schnell gemerkt, dass man die Geschichte auch dann versteht, wenn man nicht jeden einzelnen Begriff nachschlägt - wie Ayasha schrieb, das hätte den Lesefluss zu sehr gestört. Trotzdem, danke für den Link Sonnenschein12 , vielleicht brauche ich den später noch mal.


    Die Atmosphäre der Geschichte ist sehr düster (ich hoffe, sie sind nicht alle so Dieter Neumann ), aber doch eindringlich. Ich konnte mir beim Lesen die raue See richtig vorstellen.



    So hart das klingt - das glaube ich nicht. Zwar haben "der Alte" und Uwe meiner Meinung nach den Tod von Lars nicht gewollt, sondern "nur" Gewissheit, aber nachdem die Ereignisse so gekommen sind, haben sie wohl nichts dagegen unternommen, sondern es laufen lassen. Bis zum bitteren Ende. Wahrscheinlich haben sie es als gerechte Strafe empfunden.


    Und was hätte der Vater auch mit Lars machen sollen? Ihn der Polizei ausliefern? Das passt nicht. Wahrscheinlich hätte es sowieso damit geendet, dass Lars aus dem Leben der Eltern für immer verschwindet. Ein Weiterleben als Familie nach dieser furchtbaren Erkenntnis - nein, das geht gar nicht.

    So sehe ich das auch - sicher hatte der Vater Lars' Tod nicht geplant, als er diese Finte arrangierte - aber er hat halt auch nichts unternommen, ihm zu helfen. Tragisch, dass die Eltern nun gleich beide Söhne verloren haben.

    Dieter Neumann Ist die Geschichte schonmal online zu lesen gewesen? Oder hast du sie mal bei einem Eulentreffen gelesen? Ich kann mich dumpf an sie erinnern.


    Mir kam es auch so vor, als hätte ich die Geschichte schon mal gehört - danke Dieter Neumann , dass Du das bestätigt hast.

  • Und was hätte der Vater auch mit Lars machen sollen? Ihn der Polizei ausliefern? Das passt nicht. Wahrscheinlich hätte es sowieso damit geendet, dass Lars aus dem Leben der Eltern für immer verschwindet. Ein Weiterleben als Familie nach dieser furchtbaren Erkenntnis - nein, das geht gar nicht.

    Die Eltern haben es doch schon geahnt. So furchtbar es ist - es ist immer noch ihr Sohn. Ich hätte vermutet, dass sie ihn nicht der Polizei ausgeliefert und mit ihm weitergelebt hätten, da sie sicher auch sich selbst die Schuld gegeben haben, weil sie nicht früher etwas bemerkt haben (oder nichts bemerken wollten). Nur Uwe hätte es gewusst, aber als Lehrling hätte der vermutlich den Mund gehalten, solange sich Lars benimmt. Und Lars wäre irgendwann abgehauen. Zumindest hätte ich es mir bei einem längeren Roman so vorstellen können.

    Egal, was mein Kind schlimmes tut - es ist immer noch mein Kind. Jedenfalls empfinde ich so.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Uwe hätte es zumindest seinem von Lars geschädigten Bruder erzählt und vielleicht auch der trauernden Gesa. Dann hätte es die Runde durchs Dorf gemacht und die Gemeinschaft hätte ihm das Kainsmal aufgebrannt und verstoßen.

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  • Dann soll der Autor diese "schwierige Übung" meistern. Ob er den Dialekt von Haus aus beherrscht, klug recherchiert, sich den Text transkribieren oder tanzen lässt - egal.


    Es geht doch um Dialoge, um im Dialekt gesprochene Sprache, die hier in Schriftsprache wiedergegeben wird. Und die eignet sich dazu recht schlecht.

    Eigentlich müsste man Lautschrift verwenden, dann ist man aber wieder darauf angewiesen, dass die Leser die überhaupt beherrschen.


    Ein Satz wie: "Utnanner! Wi hebt keen Tied to'n Strieten" ist von jemandem, der Plattdeutsch weder spricht noch jemals gehört hat, kaum zu verstehen und schon gar nicht in seinem Lautwert wiederzugeben.


    Da hilft auch die höchste Autorenkunst nur begrenzt weiter.

  • "Auseinander! Wir haben keine Zeit zum Streiten" Das konnte ich mir noch ganz gut übersetzen, weil ich wusste, dass die Tiede etwas mit Zeit zu tun hat. Schwieriger sind nur so Einzelbegriffe wie "füünsch", die ich mir von gar nichts herleiten kann.


    Es ist halt die Abwägung, ob die allgemeine Verständlichkeit oder das Stimmungsbild wichtiger sein soll.


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    :/ Vielleicht hat es etwas mit Föhn zu tun, weil manche Leute unter dem Wetterphänomen leiden, den Rappel kriegen und untypisch heftige Gemütsregungen zeigen.

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  • naja, in Norddeutschland gibt es keinen Föhn... das ist ja ein Phänomen, das durch die Alpen auftritt.

    Das dachte ich auch, aber Wikipedia weiß, dass es in Norwegen Föhn gibt, der sich über Dänemark bis nach Norddeutschland auswirken kann, wenn der Wind entsprechend weht - was mich angesichts der tiefen Fjorde und dem nahen Golfstrom auch nicht wundert.

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  • Interessant finde ich auch, dass der Vater platt spricht. Die Söhne nicht.

    Was ja auch den Generationenkonflikt verdeutlicht.

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  • Es geht doch um Dialoge, um im Dialekt gesprochene Sprache, die hier in Schriftsprache wiedergegeben wird. Und die eignet sich dazu recht schlecht.

    Eigentlich müsste man Lautschrift verwenden, dann ist man aber wieder darauf angewiesen, dass die Leser die überhaupt beherrschen.

    Wie hättest du es denn gelöst?


    Noch eine Randbemerkung zu dem Thema: ich finde es interessant, dass in meiner dialektsprechenden Heimat sehr viele junge Menschen anfangen, im Dialekt in Social-Media-Angebote zu schreiben. Trotz erhöhtem Aufwands. Der Wunsch, auch da die eigene Sprache einzubringen, ist also da.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Noch eine Randbemerkung zu dem Thema: ich finde es interessant, dass in meiner dialektsprechenden Heimat sehr viele junge Menschen anfangen, im Dialekt in Social-Media-Angebote zu schreiben. Trotz erhöhtem Aufwands. Der Wunsch, auch da die eigene Sprache einzubringen, ist also da.

    Ich persönlich finde das eine sehr schöne Entwicklung. :)


    In meinem Freundeskreis haben wir uns schon immer im Dialekt geschrieben, was sicher mit der tiefen Heimatverbundenheit, die uns Oberwallisern mit in die Wiege gelegt wird, zusammenhängt. :-] Im Gegenzug ist im Unterwallis, also im französisch sprachigen Teil, der Dialekt leider verschwunden. Mein Großvater hat noch so gesprochen, meine Mutter konnte es verstehen und bei mir war dann schon Hopfen und Malz verloren. Sehr schade...

  • Wie hättest du es denn gelöst?

    Fußnoten mit Übersetzungen wären eine Möglichkeit gewesen.

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  • die uns Oberwallisern mit in die Wiege gelegt wird, zusammenhängt

    Ich muss gestehen, ich habe eben googeln müssen, wo genau Wallis liegt...

    Ich finde es schön, wenn Dialekte gepflegt werden, in meiner Generation waren sie fast ausgestorben (Klassenkameraden haben zwar erzählt, dass ihre Eltern zu Hause nur - oder fast nur - Plattdeutsch sprechen, aber das mit einem leichtem Naserümpfen), aber jetzt kommt es langsam wieder: in Hamburg gibt es einige Grundschulen, da lernen die Kinder ab der 3. Klasse Plattdeutsch.