'Auf Tiefe - See- und Küstengeschichten' - Dunkles Wasser

  • Als Frau aus dem Binnenland muss ich mir auch Hilfe suchen bei den Fachausdrücken. Das lässt sich aber gut machen. Mit dem Platt habe ich dann keine Probleme, wenn ich in Ruhe drüber nachdenken kann und ich mir einen Satz auch mal vorsagen kann.


    Familie kann schön oder auch die Hölle sein. Hier ist sie die Hölle, in der die Eltern am Ende alleine zurückbleiben.

    Auch wenn der Vater wohl nicht nachgeholfen hat, beim Tod von Lars. Er muss sich die nächtliche "Show" ausgedacht haben und den Jungen Uwe dazu angestiftet haben. Denn der wäre wohl kaum von selber auf so einen Gedanken gekommen.

    Insofern trägt der Vater für mich ein gehöriges Maß an Mitschuld.


    Es kommt so oft eine Tragödie heraus, wenn Eltern für ihre Kinder Pläne machen und ihre Zukunft bestimmen wollen.

    Das ist für mich die traurige Wahrheit hinter dieser bestürzenden Geschichte.

  • Das ist sehr schön gesagt, obwohl ich meinen Enkelkindern (11,10,3 u. ab Mai 0 Jahre alt) derzeit nicht gerade DIESE Geschichten vorlese ... =O

    Das halte ich auch nicht für ratsam.


    Die Geschichte hat mich wieder genau so gepackt wie damals, als du sie uns vorgelesen hast. Ich bewundere, wie du alle Sinne ansprichst. Man glaubt tatsächlich, das Salz in der Luft zu schmecken und die Gischt auf der Haut zu spüren. Ich bin gespannt auf die übrigen Geschichten.

  • "Dunkles Wasser" ist eine meiner Lieblingsgeschichten im Buch, die auch beim mehrmaligen Lesen nicht langweilig wird und mich jedesmal berührt.


    Diese Kurzgeschichte kannte ich nämlich schon. Ich war dabei als du sie damals im Hennies gelesen hast und hatte sie vorher schon gelesen, als du dafür den Preis bekommen hast.


    Sie hat von Anfang bis Ende eine unglaublich starke Atmosphäre, die mich persönlich (nicht inhaltlich nat.) an "Das Feuerschiff" von Siegfried Lenz erinnert (eine meiner Lieblingserzählungen).

    Ganz starker Einstieg in diesen wunderbaren Kurzgeschichtenband.

  • Die Geschichte hat mich wieder genau so gepackt wie damals, als du sie uns vorgelesen hast. Ich bewundere, wie du alle Sinne ansprichst. Man glaubt tatsächlich, das Salz in der Luft zu schmecken und die Gischt auf der Haut zu spüren.

    Das empfinde ich auch so.


    Ich persönlich liebe es, wenn insbesondere in Kurzgeschichten der passende Dialekt verwendet wird, insbesondere dann, wenn der Autor selbst aus der Gegend stammt. Das liest sich flüssig, ist authentisch und gehört für mich zu Geschichten von der Küste, die von den dort lebenden Menschen handeln, dazu.

  • Ich persönlich liebe es, wenn insbesondere in Kurzgeschichten der passende Dialekt verwendet wird, insbesondere dann, wenn der Autor selbst aus der Gegend stammt. Das liest sich flüssig, ist authentisch und gehört für mich zu Geschichten von der Küste, die von den dort lebenden Menschen handeln, dazu.

    Zumal die Menschen zu der Zeit, als die Geschichte spielt, tatsächlich nur ihren Dialekt gesprochen haben.

    Für uns unvorstellbar.

  • Ich habe gestern schon die erste Geschichte gelesen, bin aber nicht zum posten gekommen.

    Mein erster Gedanke nach dem Beenden der Geschichte war: Warum hat der Vater nicht mit seinen Jungs geredet? In der Geschichte steht, dass über die Nachfolge nicht geredet wurde. Es war ungeschriebenes Gesetz, dass beide Söhne Fischer werden. Aber so hat der Vater beide Söhne verloren.

    Überhaupt scheint die Familie nicht sehr geübt darin, miteinander zu reden. Die Tatsache, dass der "helle" Junge seinem Bruder die Freundin ausspannt, thematisiert er äußerst ungeschickt.

    Die dichte Atmosphäre kommt gut rüber. Auch die Sprachlosigkeit und das Fehlen von Aufmerksamkeit ist deutlich zu spüren. Der Alltag dreht sich komplett um die Arbeit, die Sorge um das tägliche Einkommen steht im Vordergrund. Die Familie kommt ja nur durch, wenn alle zusammenhalten. Auch das wird deutlich.

    Eine Dilemma, in dem viele Kinder stecken, die in einen Familienbetrieb hineingeboren werden. In unserer Region sind es Winzerfamilien oder Landwirtschaften, die auch heute noch wichtige Themen sind. "Die Welt steht euch offen" - so einfach ist das manchmal nicht, wenn man weiß, wie sehr die Eltern um das Überleben des Betriebes kämpfen mussten und wie sehr deren Herz daran hängt.

    Ein gelungener Einstieg.

    Übrigens habe ich mir die plattdeutschen Sätze (ist das die richtige Bezeichnung?) laut vorgelesen. Dann kam ich hinter die Bedeutung.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich denke, er ist kopflos vor Panik geflohen, betrunken war er ja wohl auch....

    Ich sehe darin auch des Beenden einer Ausweglosigkeit. Einen Beruf, den er hasst, Eltern, die den geliebten Sohn vermissen, die Freundin weg, den Alkohol als besten Freund... Er hat sich auch nicht unbedingt gegen den Tod gewehrt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • ...

    Ich persönlich liebe es, wenn insbesondere in Kurzgeschichten der passende Dialekt verwendet wird, insbesondere dann, wenn der Autor selbst aus der Gegend stammt. Das liest sich flüssig, ist authentisch und gehört für mich zu Geschichten von der Küste, die von den dort lebenden Menschen handeln, dazu.

    Ja, wenn der Dialekt korrekt verwendet wird!

    Dazu gehört für mich aber ganz unbedingt, dass sich der Autor Hilfe holt, wenn er einen Dialekt als Stilmittel verwenden will, aber nicht sicher darin ist oder gar den Dialekt selbst nicht beherrscht!

    (Als Aachenerin mit unserem "Öcher Platt" und den vielen Variationen stehen mir da oft die Haare zu Berge.8|

    Und nein, Dieter Neumann , dich meine ich jetzt nicht. ;))

  • Nach den ersten beiden Geschichten war ich ziemlich geschockt. Drei Tote in zwei Geschichten ist schon heftig.


    Es gefällt mir aber trotzdem gut und reizt zum Lesen. Die Atmosphäre der dunklen See kann ich wunderbar spüren. Bei der Fluchtgeschichte habe ich gefroren.

  • Überhaupt scheint die Familie nicht sehr geübt darin, miteinander zu reden. (...)

    Auch die Sprachlosigkeit und das Fehlen von Aufmerksamkeit ist deutlich zu spüren.

    Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, das diese dunkle Geschichte vor mehr als hundert Jahren spielt, direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Die Strukturen in den Familien, der Umgang miteinander, das, was man damals unter Erziehung verstand, war Welten entfernt von unseren heutigen Vorstellungen. Selbst Menschen, die - wie ich - in der Mitte des letzten Jahrhunderts geboren und in sogenannten gutbürgerlichen Familien aufgewachsen (und damit konditioniert worden) sind, haben Wärme, Nähe und liebevolle Zuwendung nur selten erfahren. Insbesondere für Jungen galten Härte, Strenge, "Männlichkeit" und derlei weiterer Blödsinn als Erziehungsziele. (Was dabei herauskam, lässt sich in der Zeitgeschichte schmerzlich ablesen ...). Ich bin zwar von Natur aus anders gestrickt und daher wenig tauglich für das damalige typische Männerideal, dennoch habe auch ich Jahrzehnte (und meine liebe Frau) gebraucht, um Nähe und Wärme meinen Liebsten gegenüber nicht als Makel zu empfinden, sondern bewusst zu leben.


    So viel hierzu. Ansonsten möchte ich den erfreulich lebendigen Interpretationsreigen zu "Dunkles Wasser" einfach erst mal unkommentiert laufen lassen. Es ist überaus faszinierend für den Autor zu erfahren, was ihr euch so alles dabei denkt. Danke!

  • Das empfinde ich auch so.


    Ich persönlich liebe es, wenn insbesondere in Kurzgeschichten der passende Dialekt verwendet wird (...)

    Es ist tatsächlich auch gar nicht anders machbar. Man muss einfach das Risiko in Kauf nehmen, dass das eine oder andere Wort nicht auf Anhieb verstanden wird. Dennoch wäre eine Geschichte über Fischer anfangs des 20. Jahrhunderts ohne jede Authentizität, wenn deren Umgangssprache hochdeutsch glattgebügelt würde.

  • "Dunkles Wasser" ist eine meiner Lieblingsgeschichten im Buch, die auch beim mehrmaligen Lesen nicht langweilig wird und mich jedesmal berührt.

    (...)

    Sie hat von Anfang bis Ende eine unglaublich starke Atmosphäre, die mich persönlich (nicht inhaltlich nat.) an "Das Feuerschiff" von Siegfried Lenz erinnert (eine meiner Lieblingserzählungen).

    Ganz starker Einstieg in diesen wunderbaren Kurzgeschichtenband.

    :anbet


    Jeglicher Vergleich mit dem von mir als Erzähler angebeteten Siegfried Lenz (unten ein Foto eines Aschenbechers mit seinen Original-Initialen aus seinem Nachlass, den ich auf einer Auktion erworben habe und den ich beim Schreiben immer im Blickfeld habe) wärmt mein Schreiberherz auf wohligste Weise - danke!

  • Ja, damals ging es noch deutlich anders zu. Aber Konflikte und Unverständnis zwischen den Generationen gibt und gab es zu allen Zeiten. Manchmal wundere ich mich, dass die Menschheit überhaupt überlebt hat und noch stetig anwächst.

    Die Hoffnung auf die nächste Generation stirbt wohl auch nicht aus.


    Am Anfang schätzen sich die Jakobsen glücklich, weil sie den schrecklichen Krieg überlebt haben. Wie bitter, jetzt beide Söhne verloren zu haben - wegen was? :gruebel

    Wegen "heißem Blut" ? Sind da schlechte Gene gemeint? Eine negative Gemütslage, vielleicht eine krankhafte Neigung zur Sucht - wobei auch die Eifersucht dazu zu rechnen sein könnte. :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Hallo Zuckelliese, es wäre schön, wenn du in den Threads bei der einen Geschichte bleibst und wenn du Vergleiche anstellst, dies als Spoiler zu kennzeichnen. Ich habe es im Zitat mal gemacht.


    Ich selber habe die "Fluchtgeschichte" noch nicht gelesen und würde gerne alle Geschichten erstmal selber und unvoreingenommen erleben.


    Davon ab, ist es ggf sinnvoll einen eigenen Thread für den Vergleich unter den Geschichten zu erstellen? Ist ausreichend Potential vorhanden Dieter Neumann ? Im allgemeinen Thread fände ich das durch die unterschiedlichen Lesegeschwindigkeiten schwierig, da ja auch Schubi zB krank ist und später startet.

  • Ich habe die Geschichte heute in der Mittagspause gelesen. Ich lese da gerne beim Essen, und das mit den Kurzgeschichten ist ideal.


    Mein erster Gedanke war auch "die armen Eltern, jetzt haben sie beide Kinder verloren". Dass der Vater nachgeholfen hat, glaube ich nicht - er wollte einfach nur die Wahrheit wissen und dass sich sein Sohn dem stellt, was er getan hat. Dass dieser über die Reling greift, das Gleichgewicht verliert und dann noch das Beibot (vermutlich, als die Welle wieder hoch ging) in den Rücken bekommen hat, war so sicher nicht geplant. Und ich denke, er hätte auch versucht, den Sohn wieder an Bord zu ziehen.


    Als Seglerin hatte ich mit den Begriffen kein Problem, und der Dialekt war noch verständlich für mich. Segelvokabular kenne ich ja schon bei Dieter.


    Mich hat die Geschichte an "Zur See" von Dörte Hansen erinnert, zu dem ich gerade das Hörbuch höre. Der Sohn mit dem Alkoholproblem, die emotionale Kälte innerhalb der Familie, dieses "nur wer zur See fährt ist ein echter Mann"... Das war 1922 ja noch stärker verbreitet als heutzutage. Allerdings hier ist die Geschichte emotional und mitreißend, während ich bei "Zur See" immer das Gefühl habe, eine Landschaftsbeschreibung zu lesen mit Menschen statt Bäumen.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Ja, wenn der Dialekt korrekt verwendet wird!

    Es ist immer noch eine Sache, ob man einen Dialekt spricht oder ob man ihn schreibt. Es gehört zu den schwierigeren Übungen, einen Dialekt vernünftig zu verschriftlichen.

    Nicht umsonst nehmen die Sprachwissenschaftler die Interviews, die sie mit Dialekt Sprechenden führen, erst einmal auf. Die Transkription braucht dann Zeit.


    Dieter Neumann Was mich interessiert:

    Wie groß war der Einfluss der dänischen Sprache zum Zeitpunkt dieser Geschichte? Eine Sprache der Minderheit oder auch unter der deutsch sprechenden Bevölkerung verbreitet?

  • Dieter Neumann Was mich interessiert:

    Wie groß war der Einfluss der dänischen Sprache zum Zeitpunkt dieser Geschichte? Eine Sprache der Minderheit oder auch unter der deutsch sprechenden Bevölkerung verbreitet?

    Aus einer Stelle in dieser Geschichte lässt sich entnehmen, dass sie im Jahr 1922 spielt. Das heißt, die Volksabstimmung über die neue Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark, eine Bestimmung des Versailler Vertrages nach WK I, hat also erst zwei Jahre zuvor stattgefunden. Seit 1920 ist Flensburg wieder deutsch. In welchem Umfang genau zu dieser Zeit das Dänische im allgemeinen Sprachgebrauch der Flensburger stärker oder weniger stark verbreitet war als heute, kann ich nicht sagen, vermute aber, dass es überwiegend auf die nationale Gesinnung (deutsch oder dänisch) ankam. Wobei diese Gesinnung nicht notwendigerweise mit der tatsächlichen Staatsbürgerschaft übereinstimmen musste - was heute ebenso ist.

    Nur spielt die dänische Sprache ja in dieser Geschichte gar keine Rolle.

  • Was für eine eindrückliche Geschichte.... :anbet Am Ende war ich schon fast ein bisschen atemlos, da ich immer schneller gelesen habe. Die Geschichte hat mich richtig "reingezogen" und ich war mitten drin und hautnah dabei. Ich habe den Wind pfeifen gehört, die Gischt hat mir ins Gesicht gespritzt und ich glaubte sogar den Tabakgeruch von des Fischers Pfeife zu riechen. Das Licht wurde auch bei mir schummrig und ich hatte für den Moment alles um mich herum vergessen. So düster und bedrückend die Geschichte ist, umso lebendiger war das Leserlebnis.


    Die kurzen und prägnanten Sätze haben die Stimmung unter den Figuren noch deutlicher werden lassen und in der Sprache hat sich die Wortkargheit der Protagonisten perfekt wiedergespiegelt.


    Zu Beginn bin ich etwas in Versuchung geraten, die Fachbegriffe nachzuschlagen und auch das Plattdeutsche übersetzen zu lassen. Aber schlussendlich habe ich mich dagegen entschieden, da es mir meinen Lesefluss zu sehr zerstückelt hätte. Die Fachbegriffe haben ich natürlich bei weitem nicht alle verstanden - aber das hat so dann auch gar nicht gestört. Ich konnte mir trotzdem alles sehr gut vorstellen. Und das Plattdeutsch konnte ich beim langsamen Lesen überraschend gut verstehen. Ich liebe ja solche Sprache. Ich schreibe selbst gerne in meiner Muttersprache, also im Walliserdialekt. In solchen Umgangssprachen und Dialekten steckt immer so viel Charakter und Mentalität drin. :love:


    Überhaupt ist die Sprache hier für mich das Highlight - noch viel mehr als die Geschichte. Die Geschichte ist selbst ist natürlich sehr tragisch und birgt viel Raum für die eigene Phantasie des Lesers. Wie schwer muss es für den Fischer gewesen sein, seinen Sohn zu enttarnen - seinen letzten Sohn auch noch zu verlieren. Aber irgendwie hatte er ihn ja schon davor verloren.

    Ich würde schon sagen, dass Lars von alleine über Bord ging, springen ist ja doch eine aktive Sache.

    Das habe ich auch so verstanden. Wobei ihn vielleicht auch die Schuldgefühle hat straucheln lassen, die Schuld hat ihn quasi in das dunkle Nass gezogen.


    Ich würde gerne noch ein Zitat reinsetzen, kann es aber gerade nicht finden: Jemand schrieb, dass "der Vater einfach nicht geholfen habe" - Ja, genauso habe ich das auch empfunden. Er stand da wie erstarrt, wahrscheinlich innerlich zerrissen zwischen helfen wollen und Gerechtigkeit walten zu lassen, sprich seinen jüngeren Sohn zu rächen.


    Dieter, danke für dieses Lese-Erlebnis - auf wenigen Seiten, aber vielleicht gerade dadurch so intensiv, dass man sich so viele Gedanken darüber macht! :anbet