Uta Seeburg: "Der treue Spion"

  • Zeitreise


    In "Der treue Spion" befinden wir uns im München des späten 19. Jahrhunderts, genauer gesagt 1896. Als Kriminalermittler ist Wilhelm von Gryszinski auf der Suche nach einem verschwundenen französischen Diplomaten. Doch auch ein ermordeter Erfinder gibt Rätsel auf und dem Ermittler eine harte Nuss zu knacken.

    Auf der Suche nach Antworten nimmt der historische Krimi den Leser nicht nur auf eine Zeitreise mit, sondern auch auf eine Reise von Europa nach Russland.

    Ein Zeitsprung beleuchtet das Leben von Wilhelms Sohn Fritz, der 20 Jahre später als Soldat an der Front im Ersten Weltkrieg beauftragt wird, geheime Dokumente nach Russland zu schmuggeln, wodurch er selbst mit dem alten Fall verknüpft wird.

    Das Lesen war für mich ein echter Genuss und ich habe stets mitgefiebert: Die verschiedenen Handlungsstränge sind logisch konstruiert und packend erzählt, sodass die Seiten regelrecht dahingeflogen sind. Für Fans von historischen Krimis ein echtes Muss und eine klare Leseempfehlung!


    ASIN/ISBN: 3365001670

  • Wiedersehen mit Gryszinski

    Ich habe schon die Begegnung mit Gryszinski in Uta Seebergers ersten Roman sehr genossen. Und jetzt stelle ich fest, der Mann und seine Familie gefallen mir noch besser.

    Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski liebt und genießt sein Leben in München. Die vielen Schmankerln in den diversen Metzgereien, Bäckereien, Cafés und Restaurants haben es ihm angetan. Und seiner Leibesfülle. “Seitdem er zum ersten Mal auf eine knusprige Bratenkruste gebissen hatte, schätzte Gryszinski den infernalischen Krach der beim Kauen im Kopf entstand und alles andere ausblendete. Es glich einer meditativen Übung. Zudem war die Bratensemmel das ideale Isntrument, um die Gryszinski’sche Praxis zur Festigung flüchtiger Gedanken zu erproben: Diese Gedanken, die wie kleine Vögel im Innern seiner körperlichen Hülle umherflatterten und sich nur rein zufällig berührten oder einander auswichen, wurden nach seiner Methode von einer schweren Menge Essen eingefangen, nach unten gedrückt und komprimiert, um am Ende als konsistente Idee wie Phönix aus der Asche zu entsteigen und emporzuschweben, und zwar direkt in seinen Kopf. Ein geniales System, fand Gryszinski, auch wenn seine Gemahlin ihn schlicht als verfressen bezeichnete.” (S. 60 - 61)

    Die allabendliche Runde, die Vater und Sohn Fritz fast schon ritualhaft in der Küche absolvieren, das "Topfgucken" finde ich herrlich. Ganz entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit zeigt Gryszinski seine Liebe zu Frau und Kind offen, spielt mit dem Sohn in den wenigen Momenten, in denen er Zeit hat, lässt seine Frau als Schriftstellerin unter eigenem Namen veröffentlichen, bespricht seine schwierigen Fälle mit ihr, geht mit ihr auf Ermittlungsreisen nach Paris und St. Petersburg. Genau 20 Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, wird sein Sohn Friedrich Gryszinski die Reise des Vaters wiederholen, nach Paris und dann St. Petersburg, um einen alten ungelösten Fall des Vaters endlich zu lösen. Beide Reisen werden im Buch spannend erzählt. Als Friedrich reist, kommt noch die Gefahr hinzu, als deutscher Spion in Feindesland entlarvt zu werden.

    Die zwei Handlungsebenen, in denen der Roman spielt, 1896 und 1916, einmal in Friedenszeiten und dann in Kriegszeiten geben gekonnt den Zeitkolorit und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wieder.

    Einen kleinen bitteren Wermutstropfen fand ich dann doch im Buch, leider. In der Beschreibung, wie Haussmann Paris neu gestaltete, ist Seeburg ein Patzer unterlaufen: “Der mit derselben erlöserhaften Geste, mit der Jesus das Rote Meer teilte…”. (S.126) Sorry, Frau Seeburg, das war nicht Jesus. Moses hieß der Mann. Ist bestimmt nur ein Flüchtigkeitsfehler, den leider auch das Lektorat übersehen hat. Aber das ist in meinen AUgen nur ein kleiner Schönheitsfehler, der diesem gelungenen historischen Krimi keinen Abbruch tut. Also volle Punktzahl meinerseits.

  • »Das ist sicherlich keine große Sache, Gryszinski.« Dieser Satz soll Wilhelm von Gryszinski noch lange begleiten. Ein französischer Diplomat verschwindet aus München, ein Erfinder wird ermordet und ein russisches Betrügerpärchen scheint damit zu tun zu haben. Was Anfangs wie eine ganz normale Ermittlung aussieht entwickelt sich sehr zum Verdruss von Gryszinski zu einem ungelösten Fall. Da helfen auch keine Topfrunden mit Sohn Fritz und keine europaweite Ermittlung.


    1916, mitten im ersten Weltkrieg, trifft dann Fritz auf einen Beteiligten der damaligen Ermittlungen. Als dieser ihn zu einen Spezialauftrag losschickt wird Fritz erst sehr spät klar, wie die damaligen Ermittlungen des Vaters mit diesem Auftrag zusammenhängen. Und dass er dabei in große Gefahr gerät.


    Wir begleiten nun also Vater und Sohn parallel. Die Ermittlungen im Jahr 1896 führen Gryszinski und seine Frau nach Paris und St. Petersburg und zwanzig Jahre später dann auch ihren Sohn. Immer abwechselnd werden die Ereignisse beschrieben und dieser Wechsel führt zu einem guten Lesesog. Man möchte ja doch wissen, wie es jeweils weitergeht. Der Teil in dem Wilhelm ermittelt ist bei weitem gemütlicher und bringt auch wieder Gryszinskis Liebe zum Essen zum Ausdruck. Fritz dagegen muss sich durch Frontlinien kämpfen und kann keinem Menschen vertrauen. Hier war das Setting deutlich kälter und düsterer.


    Mir hat die Mischung dieser beiden Geschichten ausgesprochen gut gefallen. Nach und nach löst sich das Knäuel auf und die Geschehnisse aus dem Jahr 1896 werden erst spät wirklich endgültig geklärt. Das Thema Kommunikation und die Fälschung dieser, nicht nur in Kriegszeiten, hat mir gut gefallen und ist aktueller denn je.


    Ich fand diesen Band der Reihe fast am stärksten, lernt man jetzt doch auch einen erwachsenen Fritz kennen, nachdem er ja in den Vorgängerbänden noch ein Kind ist. Es war schön zu lesen, wie sich die Familie Gryszinski auch 20 Jahre nach Beginn der Reihe noch nahe steht.


    Jetzt freue ich mich auf den vierten Band der Reihe und hoffe sehr, dass wir noch viel länger von Wilhelm Freiherr von Gryszinski und seiner Familie lesen werden.


    9 von 10 Punkte