Paul und Marie. Du schreibst so schön - Elly Sellers, Karl Backforth

  • Elly Sellers, Karl Backforth: Paul und Marie. Du schreibst so schön, Briefroman, Norderstedt 2022, BoD Books on Demand, ISBN 978-3-75620681-0, Softcover, 142 Seiten, Format: 12 x 1,1 x 19 cm, Buch: EUR 9,99, Kindle: EUR 2,99.


    München, 2015: Hier beginnt der rund sechs Jahre währende Brief- und Mailverkehr zwischen der Rechtsanwältin Marie-Celeste Schlumberger und ihrem Ex-Mann Paul. Er treibt sich wieder irgendwo in der Weltgeschichte herum und sie hat ihm etwas nachgesandt, das er beim Scheidungstermin liegen gelassen hat.


    Man spürt noch eine starke Verbundenheit und Anziehung zwischen den beiden. Ich habe mich aber die ganze Zeit gefragt, wie die zwei es so lange miteinander ausgehalten haben. Sie ist bodenständig, ordentlich und organisiert und er ist doch eine irgendwie dubiose Existenz.


    Die Anwältin und der Abenteurer


    Ich habe nicht herausgefunden, womit Paul eigentlich sein Geld verdient. Er scheint Teilhaber einer britischen Firma zu sein, für die er in der Welt herumreist, um irgendwas zu machen, das ihn immer wieder in brenzlige Situationen bringt.

    Oder denkt Paul sich all die wilden Geschichten nur aus, von denen er berichtet? Das wirkt alles so rauschhaft und actionreich, dass es fast nicht real sein kann. Und mir scheint, dass er auch nicht immer nüchtern ist, wenn er an Marie-Celeste schreibt. Würde ihr ihr sonst von seinen erotischen Abenteuern berichten? Seiner eigenen Ex-Frau? Ich weiß ja nicht …! Manchmal habe ich gar nicht kapiert, was er gerade erzählt und gedacht, na ja, Marie-Celeste kennt ihn, für sie wird das schon einen Sinn ergeben.


    Marie-Celeste muss sich um alles kümmern


    Weil Paul so unstet und chaotisch ist und seinen Kram nicht geregelt bekommt, bleibt er öfter den Unterhalt für seine beiden Kinder schuldig. Seine Ex fackelt nicht lange und lässt den Unterhalt pfänden. Paul nimmt das erstaunlich gelassen hin. Wenn Celeste das regelt, muss er sich schon um nichts kümmern.


    Kümmern muss sich vor allem Marie-Celeste: um Tochter Lisa, die nach ihrem Schulabschluss ihre Zeit vertrödelt statt sich endlich für eine Ausbildung zu entscheiden … um Sohn Robin und dessen Schulprobleme … um die nervige Schwiegermutter und um Schwägerin Susan, die weder ihre Finanzen noch ihr Liebesleben im Griff hat. Marie-Celeste hat die ganze Care-Arbeit zu leisten und der unzuverlässige Paul ist einfach nicht greifbar.



    Poetisch aber unzuverlässig


    2017 will Tochter Lisa ihren Vater in Mexiko besuchen. Aber das klappt genau so wenig wie das geplante Familientreffen in Marokko. Paul lässt seine Sippe grandios auflaufen. Der traut sich was! Und dann haut er in einem seiner Briefe auch noch in einem Nebensatz ein seit zwei Jahrzehnten gut gehütetes Familiengeheimnis raus und geht wieder auf Tauchstation. Soll die Familie in München zuschauen, wie sie mit der Wahrheit klarkommt!


    Der Kerl ist unmöglich! An den hätte ich keine Briefmarke mehr verschwendet. Ja, er schreibt wunderschöne, geradezu poetische Briefe und mit ihm war es Marie-Celeste bestimmt nie langweilig – aber ein verlässlicher Partner war er doch sicher nie!


    Dann gerät Marie-Celestes Leben plötzlich in Schieflage und sie könnte Hilfe gebrauchen. Vielleicht ist Paul doch nicht ganz so ein hoffnungsloser Fall, wie es bisher den Anschein hatte.


    Zwei Welten prallen aufeinander


    Dass bei Marie-Celeste und Paul Welten aufeinanderprallen, wird in diesem Briefroman sehr deutlich. Das liegt sicher auch daran, dass die Briefe von zwei verschiedenen Autoren verfasst worden sind. Elly Sellers schrieb den Part der sachlich-nüchternen Marie-Celeste, Karl Backforth übernahm die Rolle des verpeilten Weltenbummlers Paul. Wie war das: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“? Man könnte es glatt meinen!


    Die Lektüre macht Spaß, aber manchmal hätte ich schon gerne mehr erfahren. Ich hatte mitunter den Eindruck, tatsächlich die Korrespondenz fremder Menschen zu lesen, die einander nicht alles erzählen und vieles als bekannt voraussetzen.


    Es ist vielleicht ein Nachteil von Briefromanen, dass man als Leser:in keine Vorgeschichte kennt und nur das weiß, was Menschen einander in Briefen anvertrauen.


    Robin, Rex und Rocky


    Etwas verwirrt war ich bezüglich der Bekanntschaften der Schlumberger-Frauen. Über den Herrn, mit dem Marie-Celeste befreundet ist, schreibt Lisa im Dezember 2017 an ihren Vater: „Er heißt Rex – wie ein Hund – und ist, Du wirst es nicht glauben, Bodybuilder oder Personal Trainer oder sowas“ (Seite 95). Im selben Brief erwähnt sie, dass sie selbst auch einen Freund habe. Er heißt eigentlich Robert, wird aber Rocky genannt“ (Seite 97). Ein halbes Jahr später schreibt Lisa über ihren Bruder Robin: „Bodybuilder Rocky fand er nett, vor allem, weil der ihm Hanteln in mehreren – niedrigen – Gewichtsklassen geschenkt hat“ (Seite 111). Ich will jetzt mal nicht davon ausgehen, dass die Mutter was mit ihrem „Schwiegersohn“ Robert/Rocky angefangen hat, sondern dass hier der „Rex“ gemeint ist, von dem im Dezember die Rede war.


    Ich hätte da noch Fragen …


    Auf 142 Seiten kann man eine Menge erzählen – über zwei Menschen und ihre Beziehung zueinander. Mir haben die zwei grundverschiedenen Blickwinkel gefallen, aus denen dieses ungleiche Ex-Ehepaar die Welt sieht. Ich hätte aber noch ein paar Fragen gehabt, weil manches eben nur angedeutet blieb.


    Für die Beziehung zwischen Marie-Celeste und Paul, die hier geschildert werden sollte, sind diese fehlenden Details im Grunde nicht wichtig, aber für mich hatte die Geschichte dadurch ein bisschen was Skizzenhaftes. Das muss kein Nachteil sein. Ich bin für dezent Angedeutetes und Unausgesprochenes einfach nicht der Typ. (Ich schätze, jetzt werden alle laut lachen, die mich persönlich kennen!)


    Die Autoren


    Elly Sellers ist Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Familienrecht. Von ihr sind bereits die beiden Romane Die kleine Kanzlei am Markt Die kleine Kanzlei entdeckt Neues erschienen. Sie lebt mit ihrer Familie in München.


    Karl Backforth ist Wissenschaftler, hat verschiedene Forschungsprojekte in Afrika und Südamerika geleitet und ist als Autor von wissenschaftlichen Publikationen in Erscheinung getreten. Er lebt in Südwest-Deutschland.


    ASIN/ISBN: 3756206815

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner