Kurt Andermann, Gabriel Zeilinger - Freiheit und Unfreiheit - Mittelalterliche Facetten eines zeitlosen Problems
ASIN/ISBN: 3799513116 |
Buch:
Wenn Freiheit eines der zentralen Begriffe unserer Kultur darstellt, so bedarf dieser Begriff ständiger Schärfung seiner Definition, um tauglich zu sein. "Freiheit wozu?" und "Freiheit wovon?", diese Fragen waren auch schon im europäischen Mittelalter evident.
Hierbei war die Definition von "freier als" und "unfreier als" keineswegs immer so eindeutig, wie man in unserer heutigen Zeit vermuten könnte. Auch in diesem Punkt war das Mittelalter facettenreicher, als der Begriff es zunächt denken läßt.
Die Schicht der Menschen, die im Mittelalter reduzierte Persönlichkeitsrechte besaßen, war äußerst differenziert. Zunächst schloss der Begriff "Unfreie" die ➡️ Freizügigkeit aus, d.h. er verpflichtete dazu, auf den Besitzungen des Herrn zu leben und zu wirtschaften. Die Partner waren bei der Eheschließung nur innerhalb des Haus- und Hofverbands zu suchen.
Seit der germanischen Besiedelungszeit übten die waffentragenden Freien sachliche und rechtliche Herrschaft aus über die Abhängigen einer Hofgemeinschaft. (➡️ Allodialrecht, später seit karolingischer Zeit: ➡️ Lehensrecht) Das schloss eine niedere Gerichtsbarkeit mit ein.
Außerhalb der Hofgemeinschaft hatte der Herr den Unfreien zu schützen, rechtlich zu vertreten und vor Gericht für ihn einzustehen.
Herren in diesem Sinne waren Freisassen, Adlige und kirchliche Institutionen. Zum Besitz der Klöster, die oft wiederum königliche Eigengüter waren, gehörten sämtliche unfreien Eigenleute, alle Angehörigen des unfreien Gesindes, zu karolingischer Zeit "manicipia" genannt.
Der Herrenhof war samt bäuerlicher Wirtschaft und den Handwerksbetrieben eine Rechtsgemeinschaft (➡️ Villikation) mit eigener Gerichtsbarkeit. Dabei waren in größeren Gemeinschaften durch die räumliche Entfernung die Abhängigen auf ihren Bauernstellen oft freier und selbstständiger, als bei kleinen Gütern.
Diese Villikationen waren die Rechtsvorläufer der späteren hochmittelalterlichen ➡️ Grundherrschaft.
Die der Leibeigenschaft unterworfenen Unfreien waren zur Leistung von Leibzins und ➡️ Fronarbeit ( Fronhöfe) verpflichtet, sofern sie selbstständig Land bewirtschafteten, auch zu Grundzins.
Die Personen, die nur Grundzins entrichteten, waren die persönlich freien, grundrechtlich aber an ein Gut gebundenen Grundholden. (➡️ Minderfreie)
Aus dieser Differenzierung entwickelte sich die zum Spätmittelalter zur in Süddeutschland vorherrschende Rentengrundherrschaft ( Rentkammer) und die eher in Norddeutschland und Ostdeutschland beheimatete Gutsherrschaft.
Seit dem Hochmittelalter konnten im Zuge aufkommender Geldwirtschaft Unfreie ihre leibrechtliche Bindung durch Zinszahlung an die Rentkammern ablösen. ( ➡️ Zensuale)
Grundsätzlich wurde Unfreiheit durch die Abstammung von den Eltern bestimmt. Noch bis ins 14. Jhdt. lautete ein Grundsatz:
"Bei Ehen zwischen Freien und Unfreien werden die Ehen der ärgeren Hand folgen", d.h. die Kinder wurden unfrei. (➡️ Geburtsunfreiheit konnte durch besondere Verdienste in Geburtsfreiheit umgewandelt werden.
Das betraf seit karolingischer Zeit vor allem Dienstmannen, die im Gefolgedienst ihrem Herrn bewaffneten Beistand im Kriegsfalle leisteten. Sie konnten ab dem Hochmittelalter den Rang von ➡️ Ministerialen einnehmen, der zur Geburtsfreiheit führte. Aus diesen Dienstmannen rekrutierte sich später die niedere Ritterschaft. Diese Ministerialen begaben sich dann oft zum Dienst beim Hochadel oder bei Hofe.
Die großen Umwälzungen des Spätmittelslters, der Geldverkehr, die Erstarkung des Bürgertums, die Macht der sich bildenden großen Städte, der zunehmende Handel, führten schließlich allmählich zum Niedergang des Herrschaftsverbandes der großen Fronhöfe und damit auch der Leibeigenschaft. Allerdings blieb diese Wirtschafts- und Sozialform in Teilen Deutschlands noch bis in 19. Jahrhundert erhalten.
Fazit:
Der Freiheitsbegriff ist im historisch - wissenschaftlichen Diskurs ein ständiger Prozess und im steten Wandel begriffen.
Sinn und Zweck dieses Buches ist, die historischen Wurzeln der Begriffe "Unfreiheit" und "Freiheit" ein Stück weit offenzulegen.
Was die Geschichtsforschung dazu tun kann, wir hier deutlich:
Die Vorstellung, adeligen Personen und Städter seien durch die Bank frei, in bäuerlichen Strukturen aber permanent unfrei gewesen, trifft für das Mittelalter sowenig zu, wie für andere Epochen.
So waren Grundholden oft stärker belastet als Leibeigene. Diener und Lehrlinge in den Städten oft unfreier als Eigenbauern auf dem Land. Der Begriff der Freiheit muß Differenzierung mit einschließen, sonst greift er zu kurz.
Man kann sagen, im Laufe des Mittelalters näherte sich die persönliche Freiheit vom Hofrecht immer mehr der Freiheit innerhalb eine allgemeinen Landrechts an. Diese Entwicklung wurde durch die Stärkung der fürstlichen Territorialherrschaft noch gefördert.
Die Beiträge zur Freiheitsgeschichte sind von Andermann und Zeilinger klug zusammengestellt und geben wieder, wie die Vorstellungen von Freiheit und Unfreiheit sich im Wandel der Zeit manifestierten.
Im Rahmen der sehr effizienten "Kraichtaler Kolloquien" ein sehr differenzierter Beitrag.
Dieses Buch wird sicher vor allem die Fachwelt ansprechen, aber Konzeption und Sprache sind für jeden gut zu lesen und behandeln ein spannendes und wichtiges Thema. Da diese Einblicke auch für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs um den Freiheitsbegriff wertvoll sind, möchte ich das Buch daher hier allen Interessierten sehr empfehlen.