Ulrike Schrimpf: Lauter Ghosts

  • Gespenster sind die Gedanken an Menschen, die aus unseren Leben verschwunden sind


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    Auf „social media“ treffen Undine und Albert aufeinander, zuerst als Besucher und Kommentatoren auf den Seiten des jeweils anderen, später in privaten Chats. Der abgerockte Künstler mit der zerfallenen Familie und die kunstinteressierte, vom eigenen Familienleben enttäuschte Kindergärtnerin nähern sich an, bauen sich aneinander auf, verlieben sich möglicherweise. Aber vor allem der intensive und selbstzerstörerische Albert pendelt zwischen entwaffnender Offenheit, Kunstfigur und Attitüde, jederzeit klug und bissig, selbst im Suff, doch auch Undine kann sich dem Reiz der Möglichkeiten nicht ganz entziehen. Und irgendwann kommt es zum Treffen im „realen Leben“.


    Wenn man den etwas sperrigen, aber passenden Titel umschifft hat, erlebt man eine leidenschaftliche Wildwasserfahrt, eine furiose, oft sehr lustige, nicht selten tieftraurige, authentisch anmutende, rasante Odyssee entlang einer Beziehung, deren Fundament wackliger und zugleich zeitgemäßer nicht sein könnte. Im perfekten Duktus, schriftsprachlich präzise gestylt, unerschöpflich clever und oft – vor allem bei den Kommentaren des anonymen Chors – extrem witzig zeichnet Ulrike Schrimpf in dieser digitalen Tragödie das Bild geistreicher, einsamer Menschen, die sich bald selbst nicht mehr von ihren Avataren zu unterscheiden vermögen. Bis zum letzten, hundsgemeinen Twist eine extrem lesenswerte, faszinierende Geschichte, obwohl oder gerade weil sie nur aus Posts und Kommentaren besteht.


    ASIN/ISBN: 3949512152


    Anmerkung: Teile dieser Besprechung finden sich auf der Rückseite des Buchs, von dem ich eine Vorabfassung lesen durfte.