Arno Borst - Das Rittertum im Mittelalter

  • Arno Borst - Das Rittertum im Mittelalter


    ASIN/ISBN: 3534138228



    Zitat

    Du nennest riter, was ist daz?

    (Wolfram von Eschenbach - Parzival)



    Das Buch:


    Was wir heute als das Rittertum des europäischen Mittelalters bezeichnen, ist bei genauerer Betrachtung ein pädagogisches Konzept eines Standes, sich selbst zu formatieren und damit zu legitimieren. Um in einer Zeit exzessiver Reaktionen die Waffenträger, nur diese umfasste dieser Stand bislang, zu die rohe Gewalt bändigenden, regulierenden Verhaltensnormen zu bewegen, entwickelten Kleriker, Dichter und Herrscher seit dem 10. Jahrhundert Idealvorstellungen, die um so höher angesetzt waren, je ungezügelter und gesetzloser das wirkliche Leben war.

    Die Ideologie der Ritterschaft führte so durch adlige Literaten zu einer ersten Laienkultur im nachantiken Europa. Diese versuchte, Krieg und Gewalt durch christliche Lebensform, aristokratische Ansprüche und intellektuelles Elitendenken in geordnete Bahnen zu lenken.

    So entwickelte sich eine gesamteuropäische Oberschichtenkultur, die sich im Chevallier und Gentleman seit dem 12. Jahrhundert auf hohem Niveau stilisierte.


    Literarisch und künstlerisch fand sie z.B. in der Sage von König Artus und seiner Tafelrunde, der großen Heidelberger Liederhandschrift, dem "Ritterroman", dem Bamberger Reiter, den Naumburger Stifterfiguren und in unzähligen Grabbildern und Wappen ihren Ausdruck.


    Hauptbestandteile dieses Systems waren die Tugenden und Qualitäten, die einen Ritter, abgesehen von seiner Waffenkunst, ausmachten:


    Treue ( loyaute) (Lehenstreue)

    Freigiebigkeit ( largesse)

    Tapferkeit ( proudesse)

    Höfisches Verhalten ( courtoisie)


    Ritter hieß dabei zunächst einfach Reiter, berittener Kämpfer. Durch seinen Ausstattungsaufwand und seine Wehrkraft hob er sich aus dem Kreis der übrigen Gefolgsleute eines Fürsten heraus.


    Dieser Aufwand war teuer, der Ritter gehörte also in der Regel dem Gutsherrenstand mit eigenem Landbesitz, dem niederen Adel an.

    Für das Jahr 1200 gilt in etwa, das ein ritteliches Reitpferd den Gegenwert von 45 Kühen hatte. Das Kettenpanzerhemd, jedes Kettenglied wurde handgeschmiedet, hatte den Gegenwert von etwa 20 Ochsen.

    Der Ritter brauchte mehrere Pferde, das Schlachtross taugte nicht für das Gepäck und ermüdete schnell. Man rechnet mit drei bis vier Pferden, einschließlich Ersatzpferd. Auf dem Rücken des Streitrosses saß der kastenförmige Sattel, daran befestigt die Steigbügel, eine Innovation ab dem 10. Jahrhundert, die den Kampf mit der Stoßlanze erst möglich machte.

    Auf dem Kopf saß ein Topfhelm, mit einer Hand führte der Reiter den nach unten spitz zulaufenden Schild.

    Der Aufstieg der Ritter als Stand war eng verbunden mit dem Lehenswesen. Das war ein Sozial- und Rechstsstand, der sehr heterogene Gruppen umschloss.

    Diese "Dienstmannen", wie man sie nannte ( Lehensordnung=Dienstordnung) bildeten eine Gruppe, die sich, trotz der Unterschiede zwischen Edelfreien und Ministerialen, zu einem Kriegerstand zusammenschloss. Dienstmannen und Edelfreie, Grafen und Herzöge wurden, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Rechtsstellung, als Ritter angesprochen.

    Zu Waffengang und karitativem Dienst trat ab den literarischen Vorgaben des 12. Jahrhunderts die Verehrung der "höfischen Frau", wie sie sich in der Minnedichtung und den Liedern der Troubadours niederschlug. Das war eine Art von kultischer Verehrung der unerreichbaren hohen Frau, für die die weltliche, ritterlich - höfische Poesie ähnliche Worte fand, wie die christliche Marienverehrung.



    Das Rittertum war Ausdruck des Selbstverständnisses und Vorherrschaftsanspruchs einer waffentragenden Elite, deren Kampfkraft zu ihrer Blütezeit nichts gleichwertiges entgegenstand. Es war gleichzeitig ein Anspruch auf kulturelle und zivilisatorische Überlegenheit, zu ihrer Zeit so wenig im Alltag verwirklicht, wie andere sozialisierende Versuche späterer Zeiten. Das diese Lebensform so hohe Popularität und Anerkennung bis in die heutige Zeit fand und findet, ist vor allem den hochwertigen literarischen Zeugnissen, der unsterblichen Dichtung und dem die Phantasie anregenden Mythos geschuldet, die die begabtesten unter den mittelalterlichen Dichtern hervorbrachten.



    Bewertung:

    Arno Borst hat mit seinem Standardwerk "Lebensformen im Mittelalter" einige Generationen von Mediävisten auf ihren Weg gebracht, es ist nach wie vor eines der Schlüsselwerke zum europäischen Mittelalter.

    In diesem Buch wendet der Konstanzer Doyen sich dem ritterlichen Stand ganz speziell zu.

    Dazu ist zu wissen, was ein Stand im Mittelalter bedeutete: Er war das Fundament und Gefüge der Gesellschaft in vorindustriellen Zeiten.

    Bauernstand, Adelsstand und Klerus, das waren gleichsam monolithische Blöcke, unverrückbar und unüberwindlich.

    Borst führt hier treffend an, das innerhalb einer Soziologie eben nichts unüberwindlich war. So war der Ritterstand in seiner Entstehung eine Art Hilfskonstruktion, die eine äußerst heterogene Gruppe innerhalb der Standesordnung zusammenfügen und umklammern sollte. Das gelang nur mit klaren Regeln und Vorgaben, nach denen ritterliches, eben höfisches Leben sich zu richten hatte. Ganz im Sinne der Herrscher war alles auf das höfische Leben, den Hofdienst ausgerichtet, dazu gehörte die unbedingte Anerkennung der von den Standesregeln bestimmten Ehren- und Verhaltenscodices.

    Damit bringt Borst dabei die Kernfrage auf den Punkt:


    Welche historische Bedeutung hat nun das Rittertum tatsächlich gehabt?

    War es eine funktionierende Institution, oder doch nur eine Idee, eine Mischung aus schönem Schein und Phantasie?

    Geprüft an den politischen Realitäten, bestehen in der Tat die wenigsten der ritterlichen Tugenden den Test auf ihre

    historische Tauglichkeit. Aber dennoch bleibt der Ritteridee der Erfolg der Bändigung von Gesetzlosigkeit und Gewalt. Der Schutz der Schwachen war sicherlich zuerst ein Machtanspruch, führte aber auch zu sozialem Denken, wie es z.B. die großen Ritterorden praktizierten. Insgesamt gilt es festzuhalten, die Anbindung von Macht und Gewalt an einen Ehrencodex mit sozialer Ausrichtung hat zur Zügelung exzessiver Machtausübung beigetragen. Auch deshalb hat das Rittertum in der Überlieferung und im Bewusstsein der Menschen überlebt.


    Das Rittertum war letztlich ein Produkt des karolingischen Europas und seiner Lehensgesellschaft, so schreibt Borst, mit Verbreitung von Spanien bis Schottland. Völlige Einheilichkeit ist bei dieser Verbreitung nicht zu erwarten, Was auf den ersten Blick mit Pferd, Wappen, Burg und Turnier einheitlich daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst dynamische, in ihrer Vielfalt im lateinischen Europa äußerst individuell ausgeprägte Erscheinung. Nur durch diese wandlungs- und anpassungsfähige Vielfalt zeigte sich die Vitalität und Überlebensfähigkeit des europäischen Rittertums, auch als der Ritter zu Pferd durch Neue Waffen- und Kriegstechnik schließlich obsolet wurde. Die Ordnung als Lehensgesellschaft überlebte, bis auch sie durch die Bildung eines selbstständigen, überlegenen und vitalen Bürgertums schließlich weichen musste.


    In Analyse, historischer Wertung und Herleitung ein gelungenes Buch. Das ausführliche Literaturverzeichnis entspricht dem wissenschaftlichen Standard bei Arno Borst und umfasst alle weiterführenden Publikationen und die wichtigsten Quellen.

    Die Sprache ist allgemeinverständlich gehalten und für alle am Mittelalter Interessierte flüssig lesbar, Borst gehörte ohnehin zu den "erzählenden" Historikern britischen Vorbilds. Eine klare Leseempfehlung von mir.

  • Lupus , dDas Buch über die Katharer hat uns auf einer privaten Erkundungsreise begleitet.

    Sehr zu empfehlen.

    dracoma ,da habe ich topaktuell Auszüge gelesen aus dem Buch von Markus Krumm und Eugenio Riversi, das in der Tat selber "ketzerisch" erscheint und das Phänomen der Katharer kräftig gegen den Strich kämmt, alles aber bemerkenswert gut zu belegen und zu sichern scheint.

    Kommt in diesen Tagen wohl heraus, nur so als Tipp, falls Dir der Lesestoff knapp werden sollte, wovon ich allerdings nicht ausgehe. 😉


    ASIN/ISBN: 3795437970