Milena Michiko Flasar, Oben Erde, unten Himmel

  • ASIN/ISBN: 380313353X


    Klappentext

    »Alleinstehend. Mit Hamster«, so beschreibt sie sich selbst. Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Unscheinbar. Durchscheinend fast. Der neue Job aber verändert alles. Ein umwerfender Roman über Nachsicht, Umsicht und gegenseitige Achtung: Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. »Fräulein Suzu«, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion. Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein. Milena Michiko Flašar hat eine frische, oft heitere Sprache für ein großes Thema unserer Zeit gefunden. Und sie hat liebenswert verschusselte Figuren erschaffen, die man gern begleitet. Ein unvergesslicher, hellwacher Roman über die ›letzten Dinge‹.


    Mein Lese-Eindruck:


    Die Autorin wendet sich in ihrem neuen Buch wieder dem Thema der Einsamkeit zu, dieses Mal dem sog. Kodokushi, dem „einsamen Tod“. Mit diesem Begriff bezeichnen die Japaner das unbemerkte Sterben eines Menschen, der erst Tage, Wochen, Monate nach seinem Tod aufgefunden wird.

    Suzu, die junge Protagonistin, befindet sich in einer Lebenskrise: ihr Studium hat sie aufgegeben, ihr Job als Aushilfskellnerin wurde ihn gekündigt, und weil sie Geld für sich und ihren Hamster braucht, landet sie eher zufällig in einer Reinigungstruppe, die die Wohnungen solcher Kodokushi-Fälle säubert.

    Wie die Autorin mit diesem düsteren Thema umgeht und wie sie es verknüpft mit dem Ausweg ihrer Heldin aus einer Lebenskrise – das hat mich begeistert.


    Wieder ein Buch der leisen Töne und der Zwischentöne.

    Das Thema ist wie in Flasars vorhergehenden Büchern wieder ein gesellschaftliches Thema, aber es wird heruntergebrochen auf die Entwicklung einer jungen Frau, die sich diesem Thema persönlich stellt und ihren Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen ändert. Sie bewegt sich in kleinen Schritten, die in kleinen Schlaglichtern, einem kurzen Nebensatz aufleuchten, und es bleibt dem Leser überlassen, von diesen äußeren Handlungen auf das Innere der Heldin zu schließen. "Show not tell" in Reinkultur! Hier gelingen der Autorin eindringliche Bilder von großer Dichte und Aussagekraft, die gerade durch die zurückhaltende Erzählweise ein hohes Maß an Emotionalisierung bewirken. Und die lange im Gedächtnis bleiben.


    Die Sprache passt sich der noch jungen Protagonistin an, sie ist eher berichtend, frei von jeder Dramatik, unaufdringlich und zugleich leichtfüßig. Die Ich-Erzählerin verschont ihren Leser zwar nicht mit den eher grausigen Details ihrer Arbeit, aber es bleiben Details, die weiter nicht ausgewalzt werden. Alle Berichte von ihrer Arbeit lassen den tiefen Respekt spüren, den ihr Arbeitgeber von ihr und ihren Kollegen einfordert.


    Der ganze Roman vermittelte mir das Gefühl des leichten Lesens, aber immer wieder blättert man zurück und liest manche poetisch-schönen Stellen nochmals. Die Leichtfüßigkeit des Erzählens sollte nicht unterschätzt werden: der Roman ist kunstvoll konzipiert mit einer aussagestarken Rahmenkonstruktion, die sich besonders sinnfällig im 1. und letzten Satz zeigen.


    Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Ich-Erzählerin kommt Herrn Sakai zu, dem väterlichen Mentor: ein Mann, der zwar vom einsamen Tod lebt, aber alles dafür tut, um der Vereinsamung der Menschen in seinem Umfeld entgegenzuwirken.


    Und genau das tut die Heldin auch: sie wendet sich den Menschen in ihrem räumlichen und emotionalen Umkreis zu.

    Und das gilt nicht nur für Japan, denke ich.


    10/10 Punkte!

  • Oben Erde, unten Himmel - Milena Michiko Flasar


    Verlag Klaus Wagenbach, 2023

    Mein Eindruck:

    Diesen Roman habe ich mit großer Begeisterung gelesen, denn er ist einfühlsam und sensibel von der Schriftstellerin Milena Michiko Flašar geschrieben.

    Schon öfter habe ich von der Einsamkeit der Menschen in japanischen Großstädten gelesen, zuletzt z.B. in All die Liebenden der Nacht von Mieko Kawakami.


    Erzählt wird er von der 25jährigen Icherzählerin Sozu, die zurückgezogen nur mit ihrem Hamster lebt und unter der Einsamkeit leidet, aber aufgrund ihrer Erfahrungen die Menschen weitgehend lieber meidet und keinen richtigen Zugang zu ihnen findet. Zum Teil hat sie sich mit diesem Zustand abgefunden, aber zufrieden ist sie nicht.


    Nach´dem sie als Kellnerin gefeuert wurde, findet sie eine ungewöhnliche neue Stelle. Sie reinigt in einem Team die Wohnung verstorbener. Dieses Kodokushi hat dracoma oben ja schon gut erläutert.


    Sozus neuer Chef ist Mr.Sakai. Er ist meine absolute Lieblingsfigur und ein Original und er ist sozial eingestellt und kümmert sich um seine Angestellten.

    Zu denen gehört auch Takada, der auch gewisse Probleme hat.

    Es entsteht eine kleine Gemeinschaft.

    Zusammen ist man weniger allein!


    Ein großartiger Roman und ich bin froh, das ich mit „Herr Kato spielt Familie“ noch einen ungelesenen Roman der Autorin hier liegen habe.

  • Was für ein wunderbarer Roman.


    So fein, so zart und das bei einem Thema, was erst einmal niederschmettern und abweisen kann.


    In vielen vielen Zwischentönen steckt eine nachdenkliche Beschreibung der Menschen und des Mensch-Seins, der Menschlichkeit und der Mitmenschlichkeit. Ich habe von jeder der beschriebenen Figuren etwas für mich mitnehmen können, manchen war ich dabei näher als anderen. Das "Urteilen" und "Bewerten", was sich zum Teil einer lauten Gesellschaft und Öffentlichkeit gemacht hat, vollzieht sich hier auch sehr oft sehr respektvoll, aber ungehört und verhallend, im Innenleben der Hauptfigur Suzu.


    Ich meine, es war Rouge , die mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat - danke dafür. Es war wirklich ein besonderes Leseerlebnis, für das ich mich sehr gerne sehr viel Zeit genommen habe, weil sie wertvoll ist und wir sie nur einmal mit dem Füllen können, was uns wichtig ist.


    10 Punkte.