Zur Autorin (Quelle: Fischer Verlag):
Trude Teige bietet uns einen bewegenden Einblick in die Nachkriegszeit in Norwegen und Deutschland und wie das Schicksal auch die folgenden Generationen prägt. Ihr Roman »Als Großmutter im Regen tanzte« stand mehrere Jahre lang auf den norwegischen Bestsellerlisten; ihre Werke werden in viele Sprachen übersetzt. Trude Teige gehört zu den bekanntesten Journalistinnen und TV-Moderatorinnen Norwegens. Für »Als Großmutter im Regen tanzte« recherchierte sie auch in Berlin und Demmin.
Klappentext:
Eine starke Frau in dunklen
Zeiten. Und eine junge Frau, die zurückschauen muss, um nach vorn blicken zu
können.
Als Juni ins Haus ihrer
verstorbenen Großeltern auf der kleinen norwegischen Insel zurückkehrt,
entdeckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Großmutter Tekla als junge Frau mit einem
deutschen Soldaten. Wer ist der unbekannte Mann? Ihre Mutter kann Juni nicht
mehr fragen. Das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter war
immer von etwas Unausgesprochenem überschattet.
Die Suche nach der Wahrheit führt Juni nach Berlin und in die kleine Stadt Demmin im Osten Deutschlands, die nach der Kapitulation von der russischen Armee überrannt wurde. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine verheimlichte Liebe. Und dass ihre Entdeckungen Konsequenzen haben für ihr eigenes Glück.
»Als Großmutter im Regen tanzte« erzählt davon, wie uns die Vergangenheit prägt bis in die Generationen der Töchter und Enkelinnen. Doch vor allem ist es eine Geschichte über die heilende Kraft der Liebe.
Drei Generationen, verbunden durch die Liebe und ein tragisches Geheimnis der Nachkriegszeit
Mein Lese-Eindruck:
Trude Teige greift ein bis dato vernachlässigtes und vielen unbekanntes Thema auf: das Schicksal der sog. „tyskerjentene“, der „deutschen Mädchen“. Damit sind die Frauen gemeint, die während des II. Weltkriegs aus unterschiedlichen Gründen mit einem der deutschen Besetzer eine Liebesbeziehung eingingen. Sie wurden öffentlich geschoren und so als Volksverräterinnen gebrandmarkt. Damit verloren sie nicht nur ihre Ehre, sondern oft auch auch ihre berufliche Anstellung.
Nach der Heirat verloren sie ihre norwegische Staatsbürgerschaft, d. h. sie verloren nun auch ihre Heimat. Lebten sie noch in Norwegen, wurden sie bei Kriegsende ohne richterlichen Beschluss in Lagern interniert und nach Deutschland expatriiert, da sie ja deutsche Staatsbürger waren. Erst ab 1950 wurde ihnen die norwegische Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt, sofern sie sich in Norwegen niederlassen wollten.
Man schätzt, dass ca. 50.000 Frauen betroffen waren; die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Aus diesen Beziehungen gingen ca. 12.000 Kinder hervor, die in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht wurden. Übrigens gab es auch Beziehungen zwischen Norwegern und deutschen Frauen, die jedoch unbeanstandet blieben.
Das Ausmaß dieses Rechtsbruchs seitens der norwegischen Regierung wurde erst in den letzten Jahren bekannt. Wichtig war hier die Biografie der ABBA-Sängerin Anni-Frid Lyngstadt, die als Tochter einer „tyskerjente“ und eines deutschen Soldaten zur Welt gekommen war. Inzwischen erfolgte eine offizielle Entschuldigung.
Trude Teige hat sich also ein sehr brisantes Thema ausgesucht. Sie verknüpft es mit der desolaten Situation des besiegten Deutschlands 1945 und dem Massenselbstmord in Demmin, einer Stadt in der sowjetisch besetzten Zone, einem ebenfalls lange Zeit verschwiegenen Thema.
Die Handlung erstreckt sich über drei Generationen und zwei Zeitebenen. In der Jetzt-Zeit ist es die Enkelin Juni, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchtet und das Haus der lange verstorbenen Großmutter aufsucht. Bei der Sichtung des Nachlasses fallen ihr unerklärliche Fotos und geheimnisvolle Briefe in die Hände, sie ahnt ein dunkles Familiengeheimnis, und so beginnt sie ihre Recherchen zum Schicksal der Großmutter Thekla. Deren Geschichte wiederum wird als paralleler Handlungsstrang erzählt, sodass der Leser mehr weiß als die Enkelin. Der abrupte Wechsel der Zeitebenen führt am Anfang zu Orientierungsproblemen führt und hemmt den Lesefluss.
Die zentrale Figur des Romans ist die Großmutter Thekla. Ihre Enkelin Juni bleibt eher blass, noch mehr aber Lilla, die Vertreterin der Zwischengeneration: eine Frau, die sich weder mit ihrer Mutter noch mit ihrer Tochter versteht und zur Alkoholikerin wird. Offensichtlich wurden die traumatisierenden Erlebnisse der Großmutter unreflektiert an die Tochter und wiederum an die Enkelin weitergegeben („transgenerationale Traumaweitergabe“). Zwischen Enkelin und Großmutter bestehen viele Parallelen, die sich nicht nur in biografischen Details zeigen (z. B. ungeklärter Vaterschaft), sondern sinnfällig werden in der Reise der Enkelin zu den Lebensorten der Großmutter und Zeitzeugen.
Die Autorin hat gründlich recherchiert, das muss man ihr lassen. Die Vermittlung der historischen Wirklichkeit gelingt ihr aber weniger durch die Handlung als durch belehrende Gespräche: der Bürgermeister, der neue Freund und Nachbar, der zufällig Historiker ist und der wiederum einen kundigen Freund hat. Etwas mehr „show not tell“ hätte dem Roman Lebendigkeit verliehen! Die Situation der Bevölkerung im hungernden Berlin wird zwar in eindringlichen Bildern vermittelt, aber z. B. das tagelange Herumirren Theklas und erst recht der Besuch einer Entnazifizierungsverhandlung wirken aufgesetzt und unmotiviert.
Der Schluss wirkt sehr enttäuschend: plötzlich ist er da, und der Roman rutscht ins Triviale eines Liebesromans ab. Leider.
Fazit: ein wichtiges Thema, aber erzählerische Schwachpunkte.
3,5 von 5 Sternen
ASIN/ISBN: B0BJNB2RD3 |