Juli Zeh und Simon Urban- Zwischen Welten

  • Worum geht's?


    Zwanzig Jahre sind vergangen: Als sich Stefan und Theresa zufällig in Hamburg über den Weg laufen, endet ihr erstes Wiedersehen in einem Desaster. Zu Studienzeiten waren sie wie eine Familie füreinander, heute sind kaum noch Gemeinsamkeiten übrig.

    Stefan hat Karriere bei Deutschlands größter Wochenzeitung DER BOTE gemacht, Theresa den Bauernhof ihres Vaters in Brandenburg übernommen. Aus den unterschiedlichen Lebensentwürfen sind gegensätzliche Haltungen geworden. Stefan versucht bei seiner Zeitung, durch engagierte journalistische Projekte den Klimawandel zu bekämpfen. Theresa steht mit ihrem Bio-Milchhof vor Herausforderungen, die sie an den Rand ihrer Kraft bringen.

    Die beiden beschließen, noch einmal von vorne anzufangen, sich per E-Mail und WhatsApp gegenseitig aus ihren Welten zu erzählen. Doch während sie einander näherkommen, geraten sie immer wieder in einen hitzigen Schlagabtausch um polarisierende Fragen wie Klimapolitik, Gendersprache und Rassismusvorwürfe. Ist heute wirklich jeder und jede gezwungen, eine Seite zu wählen? Oder gibt es noch Gemeinsamkeiten zwischen den Welten? Und können Freundschaft und Liebe die Kluft überbrücken?


    Meine Meinung:


    Dieser Roman bringt schon einmal eine Besonderheit mit sich: Er besteht komplett aus Emails und Whats App Nachrichten zwischen den beiden Protagonisten. Dies bringt meist diverse potentielle Schwierigkeiten mit sich, das letzte Buch in dieser Erzählform das ich gelesen habe war damals 'Gut gegen Nordwind', das für mich einer der größten Flops meiner Lesegeschichte war. Dennoch war ich dem Rahmen gegenüber vorurteilsfrei, denn die Schwächen des genannten Romans waren andere. So ließ ich mich freudig darauf ein. Ich mag generell wenn Kapitel kurz und übersichtlich sind, so kann ich leichter wieder einsteigen und kurz unterbrechen (ich bin eine Abends im Bett- Leserin, und irgendwann fallen mir da die Augen zu).

    Schon auf den ersten Seiten merkte ich allerdings, dass zwischen diesem Buch der beiden Autoren Juli Zeh und Simon Urban und dem Roman von Daniel Glattauer Lichtjahre liegen und die beiden absolut null vergleichbar sind. Der Anspruch ist ein ganz anderer, alleine sprachlich ist 'Zwischen Welten' eine echte Wohltat.

    Mich würde natürlich interessieren ob die beiden Autor*innen sich die beiden Charaktere beim Schreiben auch so aufgeteilt haben- ob sie vielleicht tatsächlich während des Schreibprozesses einen jeweiligen Alter Ego angenommen haben und das Buch dann quasi diesen Austausch zusammenfasst? Nun, vielleicht werden wir das noch erfahren. Grundsätzlich geht es hier schon ganz schön zur Sache. Beide Hauptcharaktere- Theresa und Stefan- könnten nicht weiter voneinander entfernt sein, was ihr Leben angeht. Sie führt einen Milchhof in der brandenburgischen Provinz, er gehört zur Kulturelite Hamburgs. Beide haben Probleme, die der jeweils Andere nicht nachvollziehen kann und kollidieren in ihren Ansichten massiv. Und da nehmen sie auch kein Blatt vor den Mund, vor allem Theresa findet wirklich deutliche Worte, die mich manchmal die Luft einziehen ließen.

    So. Mein erster Eindruck war erstmal sehr positiv. Im Laufe des Romans gibt es dann jedoch durchaus ein paar Längen und Redundanz, so wiederholen sich beispielsweise Theresas Vorwürfe, Stefan sei in seiner Blase gefangen, immer wieder. Nur: Das stimmt auch. Im Austausch wird immer wieder klar, dass Stefan in Wirklichkeit nur einen Meter weit sieht und seine eigenen Probleme und täglichen Anforderungen ganz anders (wichtiger) gewichtet als die existentiellen Probleme Theresas. Letzten Endes hat sie das Gefühl, nicht wirklich gehört und verstanden zu werden, was schließlich zur Eskalation führt. Ich empfand den Austausch der Beiden als sehr gutes Abbild zu den gesellschaftlichen Problemen, die hier auch kritisiert werden sollen. Theresa (als Sinnbild der Landwirt*innen) wird nicht wirklich gehört und ernst genommen, bis es eskaliert. Und dann verkehrt sich das Bild in der Öffentlichkeit ins Gegenteil.

    Mich hat der Roman sehr berührt. Als jemand, der sich zwischen beiden Positionen einordnet brachte mich dieser Schlagabtausch schon wirklich zum Nachdenken, und das Ende tat verflucht weh.

    Inzwischen habe ich auch ein paar Kritiken gelesen und kann nur mit dem Kopf schütteln. Genau das, was im Roman angeprangert wird, geschieht darin. Es wird sich über Formalia aufgeregt, anstatt zum Kern des Problems vorzudringen und die Krise wirklich wahr zu nehmen. Für mich persönlich: Ja, auch ich bemerkte Redundanz und die ein oder andere Länge. Aber das Gesamtwerk ist für mich trotzdem so rund und wichtig, dass ich hier die volle Punktzahl vergebe. Ein Roman, der einer systemrelevanten Minderheit eine Stimme verleiht die so laut schreit und doch nie gehört wird, ist wichtiger als perfekte Stilistik.


    5 von 5 Eulenpunkten.


    ASIN/ISBN: 3630877419

    Gib mir noch eine kleine Weile Zeit: Ich will die Dinge so wie keiner lieben. ~Rilke

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  • Diese Paarung ist nahezu ideal - die kluge, kontrollierte, planende, stilsichere Juli Zeh und der nicht minder kluge, extrem ironiebegabte, originelle, gewitzte Simon Urban, dessen "Wie alles begann und wer dabei umkam" im Jahr 2017 zu meinen absoluten Favoriten gehört hat. Beide sind übrigens Juristen. Ich lese "Zwischen Welten", wenn ich mit meinem aktuellen Buch und danach dann BEEs "The Shards" durch bin. Und ich freue mich schon drauf.

  • Ich kann nur sagen, ich werde noch lange an dieses Buch denken. Und hoffentlich werden auch ein paar andere Menschen umdenken, für die die Welt nur aus schwarz und weiß besteht bzw. es wird vielleicht ein paar Menschen bewusst, dass sie Mitschuld daran tragen, wenn wir jemanden an verfassungswidrige Parteien verlieren.

  • In der NZZ vom letzten Dienstag gibt es einen kurzen Artikel und ein Interview der Autoren zu ihren Buch,

    - «Heute ist wieder alles politisch aufgeladen». Die Schriftstellerin Juli Zeh warnt vor der Postdemokratie

    und

    - Jeder, der zur Flüchtlingspolitik Fragen hatte, wurde schnell als ‹rechts› dargestellt».

  • Ich habe es soeben beendet und finde die Entwicklung, die beide Figuren in dem Buch nehmen sehr interessant gezeichnet. Radikalisierung aus der Mitte des Volkes, wenn man so will, andererseits aus einer selbstempfundenen Randgruppe des Volkes, wenn man manche Selbstansichten der Figuren heranzieht.


    Interessant fand ich vor allem die Kommunikation und ihre Kanäle, Stile und letztlich auch die dadurch zum Ausdruck gebrachte Beziehung zwischen Stefan und Theresa. Einserseits oft sehr wortreich, ausdrucksstark, aber andererseits auch sehr "selbstbezogen", manchmal war es, als würde man zwei Gestirnen bei der Parallelumkreisung ein und desselben Planeten folgen, manchmal wirkten die beiden vermeintlich näher, dann fiel es wieder auf eine sehr oberflächliche Art zurück.


    Die Art, wie vor allem Emotionen in die Kommunikation eingebracht wurden, hat meine Leseeindrücke sehr verstärkt. Gestört hat mich, dass sich die Themen sehr oft auf sehr oberflächliche Weise mit immer denselben Argumenten wiederholen, es hat mich irgendwann einfach ermüdet, Stefan und Theresa bei ihrer narzisstischen Darstellung und Vorstellung eines Dialogs und Austauschs (obwohl sehr oft vom jeweiligen Gegenüber wenig bis gar nicht auf die andere Person eingegangen wird und wenn dies passiert, es nur oberflächlich ist) zu folgen.


    Manche Themen sind sicherlich gerade beim Stadt-Land-Diskurs gut in den Fokus gerückt und platziert, andere Themen wie das Gendersternchen und Volontariate von Aktivist*innen (um es nun auch mal zu machen) wirkten eher nach "noch einer Schippe mehr", die in die Erzählungen einflossen und waren mir zu viel.


    Sehr anstrengend irgendwann und durch die "Art" der beiden Hauptfiguren habe ich am Ende gar kein Interesse mehr gehabt.


    Die Ideen für die Geschichte in diesem Buch sind wichtig und richtig, nicht falsch verstehen, es ist gut, die Themen zu beleuchten, auf Dinge aufmerksam zu machen, die vielleicht für viele selbstverständlich sind, doch das "gesellschaftliche Miteinander" schaffen Theresa und Stefan durch ihre aneinander vorbei kreisenden Gespräche leider gar nicht auszudrücken. Dass auch diese Kommunikationsart manchmal als Inbegriff wahrer Freundschaft verstanden wird und ich dies daher als Stilmittel sehen kann, erdenke ich mir einfach, um das in irgendeiner Weise positiv in mir abspeichern zu können.


    Für mich reichte daher das Anreißen der Themen nicht aus. Die Darstellung einer Radikalisierung ist aufrüttelnd, aber tröstet für mich nicht über die beiden Hauptfiguren und ihren Umgang miteinander hinweg. Die Konstruktion des Buchs stand dem gewaltigen Erlebnis bei mir einfach im Weg.


    6 Punkte.

  • Nach einer Nacht Schlaf denke ich paradoxerweise, dass die Dinge, die mich in der Beziehung der beiden Figuren und ansich in den Beziehungen im Buch stattfanden genau notwendig waren, um die Spirale an diese Stelle zu drehen. Narzisstisch vs. narzisstischer geht eben für narzisstischer gut aus...das Verhallen aller Ansichten im beruflichen Umfeld, im privaten Umfeld und in der "Freundschaft" drehen die Spirale wahrscheinlich auch alle weiter in Richtung Radikalisierung.


    Es bleibt damit zwar dabei, dass diese Konstruktion für mich nicht funktioniert hat, aber ich kann erahnen, warum es die Konstruktion brauchte...:/

  • Tom Gäbe es einen anderen Begriff, den du wählen würdest? Das würde mich sehr interessieren, da ich das gerne für mich weiter reflektieren würde.


    Für mich persönlich ist "Narzissmus" ein extrem selten verwendetes Wort, desto mehr ich zu dem Buch aber gerade andere Ansichten "suche", desto öfter springt es mir im Internet entgegen. Ich für mich kann dabei festhalten, dass ich den Begriff umgangssprachlich verwende, sicher also nicht "wissenschaftlich korrekt", aber in einer ganz klar durchdachten Abgrenzung zum "Egozentrismus"...für mich ist dabei entscheidend, ob die Person die Aufmerksamkeit eines anderen braucht, um ihren "Ansichten" Ausdruck zu verleihen (so von mir im Buch empfunden bei Theresa und Stefan, die sich gegenseitig als eine Art "Verstärker" genutzt haben, um ihre eigenen "Ansichten" zu pushen) oder ob sie auch ohne das Gegenüber so wären (Egozentrikern wäre es ja eher egal, was andere von ihrer Ansicht halten). Das "Ziel", was ich beiden unterstelle, nämlich Zustimmung durch das Gegenüber, ist hingegen mehr egozentrisch motiviert...der passende Begriff, der dies vereint, ist mir allerdings bislang noch nicht eingefallen.

  • Narzissmus ist im alltäglichen Sprachgebrauch von der narzisstischen Persönlichkeitsstörung nur schwer zu trennen, und Narzissmus geht weit, weit auch über "ungesunden" Egoismus/-zentrismus hinaus. Narzissten sind nicht einfach nur besonders egoistische oder egozentrische Menschen, sondern weit mehr als das. Und, ja, u.a. dieser Begriff wird in den sozialen Medien inflationär angewendet, meistens zu Zwecken der Diskreditierung, aber mir ist natürlich besonders aufgefallen, dass er auch zur Charakterisierung von Romanfiguren mehr und mehr herangezogen wird, obwohl es sich nicht um Narzissten handelt. So geschehen u.a. auch meinen Figuren ("Freitags bei Paolo"). Vor ein paar Jahren waren es noch die "besonders authentischen" Figuren, die man bemerkt hat, jetzt scheinen es Narzissten zu sein, ob tatsächlich vorhanden oder auch nicht.

  • Narzissten sind nicht einfach nur besonders egoistische oder egozentrische Menschen, sondern weit mehr als das.

    Was sind sie denn für dich? Wie charakterisierst du einen Narzissten?

    Das ist jetzt wirklich eine interessierte Frage, du scheinst dich mit den Begriffen ja bereits tiefer (als ich jedenfalls, das erscheint mir jedenfalls so) auseinander gesetzt zu haben, daher wäre das spannend für mich, das zu beleuchten.


    Als einzigen Stempel für eine Person - egal ob fiktiv oder real - ist solch ein Wort eh immer zu wenig; falls das aus meinem Leseeindruck rauskam, kann ich mich dafür nur entschuldigen. Bei beiden Figuren gibt es auch genug Dinge, an die ich mich anknüpfen kann, etwas Freundschaft zu nennen, was von Narzissmus (edit sagt: Egoismus/Egozentrismus o. ä.) lebt, widerstrebt mir im Innersten nur sehr, es ist einfach nicht meine Vorstellung von Freundschaft. :) Objektiviert kann ich das gar nicht ausdrücken...

  • Das würde ich fast 1:1 genauso unterschreiben.


    Die Geschichte ist mEn natürlich gut erzählt und fantastisch vorgetragen, auch bei diesen beiden Schriftsteller* innen  nich weiter verwundert.


    Dennoch wirkt das Ganze auf mich doch reichlich konstruiert. Da werden so ziemlich alle spalterisch relevanten Gesellschaftsthemen in einen Briefwechsel zweier Personen gequetscht, die sich irgendwie nahestehen und doch ganz weit voneinander getrennt sind, nicht nur räumlich. Der Sex wäre wahrscheinlich gut, die Beziehung eher nicht. So lässt es sich für mich zusammenfassen. Jeder steckt mehr oder weniger in seinem Leben, in seinen anerlernten Strukturen fest und nähert sich dem anderen an, um ihm letztlich zu gefallen. Was nicht funktioniert und auch nicht weiter verwundert. Tragisch vielleicht, vielleicht aber auch nicht.


    Um nicht zu spoilern, sage ich nur so viel, dass das Buch für mich viele gute Denkanstöße enthält, die ich persönlich aber nicht brauche und die für mich am Ende in einem sehr peinlich konstruiertem Schluss einen Höhepunkt finden. Ich hätte gerne selber überlegt an dieser Stelle, das wird mir aber durch die Autoren verwehrt, was im Grunde genommen ein Paradoxon darstellt, wenn man sich den gesamten Plot vor Augen führt.


    Puh, was soll ich sagen. Erhobene Zeigefinger und stereotype Figuren, die in ihrer Unglaubwürdigkeit kaum auszuhalten sind. Nicht mein Buch, und ich hatte mich sehr darauf gefreut.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Nicht lustig genug für eine Satire


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    Was für eine Traumpaarung! Simon Urban hat mit „Wie alles begann und wer dabei umkam“ eines der klügsten und unterhaltsamsten Bücher des Jahres 2021 vorgelegt, und Juli Zeh ist schlicht: Juli Zeh - die Autorin, die anspruchsvolles Erzählen auf eine Weise in deutsche Wohnzimmer transportiert hat, wie das zuletzt Martin Walser gelungen ist. Aber eine sensationelle Paarung garantiert noch kein sensationelles Ergebnis, oder wenigstens ein sehr starkes. Tatsächlich ist „Zwischen Welten“ als literarisches Partnerexperiment in meinen Augen eher gescheitert.


    Die Story ist simpel, was zunächst nicht gegen sie spricht: Stefan ist Chef des Kulturressorts beim größten Nachrichtenmagazin der Republik, Theresa ist Bäuerin im Brandenburgischen. Sie kennen sich vom Germanistikstudium, das Theresa seinerzeit abgebrochen hat, um den Hof des Vaters zu übernehmen. Seither - sie sind beide Mitte vierzig - haben sie sich nicht mehr gesehen oder gesprochen, sind einander aber in Hamburg über den Weg gelaufen, haben sich gestritten und daraus einen elektronischen Briefwechsel entwickelt, den wir jetzt lesen dürfen, sollen, müssen, können. Stefan ist der Tatsache ausgesetzt, dass der Qualitätsjournalismus immer mehr einem politisch korrigierten Haltungsjournalismus zu weichen scheint, und Theresa muss gegen das Schicksal ankämpfen, einen unwirtschaftlichen Bio-Milchhof zu betreiben, der ihrer Überzeugung nach von einer unrealistischen, eurozentrierten Agrarpolitik sabotiert wird. Stefan biedert sich der woken Community an. Am Ende - Achtung, Spoiler - geht Theresa an die Populisten verloren, während sich Stefan zum weißen, älteren Popanz der Wokeness-Aktivisten machen lässt. Und irgendwie gibt es - natürlich - auch noch so eine Art Liebesgeschichte zwischen den beiden.


    Die Probleme, die umschifft werden müssen, weil „Zwischen Welten“ ein moderner Briefroman sein will, der zudem zu zeigen versucht, wie sich die Dynamik der verschiedenen Systeme (Messenger, klassische Mail) zuweilen gegen ihre Nutzer wendet, stellen noch den geringsten Makel dar. Ja, es nervt durchaus, wenn die Figuren immer wieder etwas noch einmal erzählen müssen, das sie gemeinsam erlebt haben, damit die Leserschaft das auch erfährt. Der Briefwechsel ist allerdings grundsätzlich zu prosaisch, zu formverpflichtet, zu erzählend, zu unecht. Vor allem jedoch ermüdet er, und da der einzige Zweck dieser Form darin zu bestehen scheint, ihre Schwächen, ihren Anteil an der gesellschaftlichen Problematik zu unterstreichen, entwickelt er sich über die 450 Seiten zu einem literarischen Hamsterrad. Das größte Manko dieser Geschichte, die ja ein durchaus aktuelles, weitreichendes und extrem konfliktträchtiges Problemfeld beleuchtet, besteht aber darin, dass sie völlig humorlos daherkommt. Das - durchaus kluge - Aufzählen der üblichen Argumente gerät zu einer oberlehrerhaften Anklage ohne jede Gegenwehr. Am schlimmsten aber ist, dass die beiden extrem egozentrischen Hauptfiguren in diesem Text vorgeführt werden - und dass man ihnen ihr Verhalten nicht abkauft. Jemand wie dieser Stefan, der mit seiner unfassbaren Naivität sehenden Auges nicht nur in die Katastrophe läuft, sondern sie auch noch befördert, wäre niemals auf dem Posten gelandet, den er bekleidet. Und diese kluge, aber emotional eingeschränkt kompetente Theresa, die unaufhörlich davon schwätzt, wie sehr sie ihre Kühe liebt, geht als populistische Aktivistin überhaupt nicht durch. Sie sind aber nicht die einzigen Figuren in diesem Roman, die ihrem Zweck geopfert werden. „Zwischen Welten“ ist überkonstruiert und deshalb unterm Strich dekonstruktivistisch.


    Und er langweilt. Ich habe lange nicht mehr so sehr das Ende eines Buchs herbeigesehnt, das Ende dieses unangenehmen, oft peinlichen Briefwechsels, der in ein zwar dramaturgisch schlüssiges, aber groteskes Finale mündet, das in mir den Wunsch auslöste, die Schwarte in der blauen Tonne abzustellen. Andererseits greift der Roman Themen auf, die in der deutschen Kulturlandschaft und in unserer politischen Kultur Schockwellen auslösen müssten. Es ist einfach zutreffend, dass der Diskurs, insofern überhaupt noch von einem zu sprechen wäre, sehr einseitig geworden ist, und es mag auch stimmen, dass es ein Haltungsdiktat gibt, das dafür mitverantwortlich ist, dass sich Menschen zum rechten Rand hin orientieren. Trotzdem sollte ein Roman, der das auf fast einem halben Tausend Seiten zum Thema hat, immer noch gut unterhalten, Spaß machen, literarisch überzeugen. All das trifft auf „Zwischen Welten“ leider nicht zu.