Hans-Georg Gadamer - Wahrheit und Methode

  • Hans-Georg Gadamer - Wahrheit und Methode

    Grundzüge der philosophischen Hermeneutik


    ASIN/ISBN: 3161502116




    Zitat

    Nichts gibt es in dieser unserer Welt, das nicht noch genauer gefasst werden könnte.


    ( Nikolaus Cusanus, 1401-1464)


    Als Gadamer 1950 in Heidelberg die Nachfolge von Karl Jaspers antrat, musste die Philosophie auf dringende Fragen der Zeitströmungen antworten, ohne ihre Daseinsberechtigung als eigenständiges Fach einzubüssen.


    Die unabweisbaren Erfolge naturwissenschaftlicher empirischer Methoden der rationalen Erfassung aller Lebensbereiche liess die Frage entstehen, ob eine eigenständig davon arbeitende und denkende Philosophie überhaupt noch zeitgemäß, noch nachzuvollziehen sei. Gadamer bejahte diese Frage und stellt nicht nur das Verstehen, sondern vor allem die Art und Weise des Verstehens in den Vordergrund seiner Lehre.



    Die Hermeneutik, die Lehre des Verstehens von komplexen Zusammenhängen aufgrund ihrer Beschaffenheit und Geschichte, war dabei nicht neu:

    Schon Aristoteles wies in seiner Abhandlung 'Peri hermeneias, De interpretatione', den Weg, Descartes entwickelte 1637 seine Methodologie 'Descours de la methode' , die sich ebenfalls neben der Beobachtung auf die "Intuition" stützt, d.h. Wesen und Herkunft des Gegenstands in seine Erfassung mit einzubeziehen.


    Gadamer erweitert in "Wahrheit und Methode" nun den Begriff der Hermeneutik, indem er einen gemeinsamen geistigen Horizont zwischen dem fragenden Subjekt und dem befragten Objekt voraussetzt, ein zum Verstehen zugehöriges Vorverständnis und Vor-Urteil. Unsere Deutungsversuche einer Sache oder eines Gedankens werden beeinflusst von unserer Geschichte und Umwelt, sowie durch die Geschichte unseres Gegenstands.

    Wichtig ist dabei, in welcher Sprache und mit welchen Mitteln dieser Vor-Bildungsprozess stattgefunden hat.


    Die Hermeneutik verlangt zum Verstehen eines Gegenstands, ihn in seinem Wesen zu umfassen, also samt seiner Tradition, Überlieferung und Geschichte. Dieser Anspruch geht ganzheitlich weit über die rein methodische, naturwissenschaftliche Erfassung hinaus. Somit gab die hermeneutische Methode den Geisteswissenschaften ein besseres, solideres Arbeitsfundament, um ihre Methoden daran auszurichten.


    Wie sein Lehrer Heidegger setzt Gadamer voraus, daß man um sinnvolle Fragen zu stellen, schon ein angelegtes Wissen mitbringen muss, das sich aus Geschichte und Umwelt ergibt. Man könne alle Teile eines Gegenstands nur aus seinem Ganzen heraus verstehen.

    So haben jeder Untersucher und sein Gegenstand gemeinsame sprachliche, kulturelle und existenzielle Berührungspunkte.



    Die Deutung eines Phänomens ergibt sich nicht aus dem 'Nichts', sondern hat eine Geschichte.



    Jegliches Verstehen ist an die Zeit gebunden, die Zeit, in der das Verstehen passiert und die Zeit, aus der der Gegenstand kommt und in der der Beobachter lebt.

    Nur so kann sich ein Prozess des Verstehens in der Welt orientieren und in der Welt verstanden werden.





    Fazit:


    Wie auch Martin Heidegger, kann Gadamer immer dann am Besten verstanden werden, wenn er auf die Ursprünge, auf die wesentlichen Merkmale seiner Herleitung zurückkommt.

    Die Kerngedanken treten dann so klar hervor, daß es schon selbstverständlich scheinen will:


    Jedes Ding hat seine Geschichte, seine Herkunft, seine Tradition, ohne diese zu berücksichtigen, kann ich es nicht erfassen, noch weniger kann ich es verstehen.



    Die Geschichtswissenschaft kann dem Traditionalisten Gadamer in besonderer Weise dankbar sein, zu oft wurde ihr die existentielle Berechtigung von Seiten positivistischer Progressivität aberkannt.


    "Wer nichts von seiner Geschichte weiß, versteht seine Gegenwart nicht und hat erst recht keine Zukunft."


    Das muss scheinbar von Zeit zu Zeit wieder neu "erfunden" werden,um Beachtung zu finden.

    Die Klarheit und Anthropologie, die aus Gadamers Text spricht, die Sicht auf den Menschen gerichtet, was ihm vor jeder Struktur ging und wichtig war, macht das Buch zu einem Leseerlebnis, das ich jedem anderen Leser gerne gönnen würde.


    Das Verstehen immer auch die Selbst- und Welterfahrung mit einschließt, das Verhältnis vom Fragenden zum Gegenstand ein bipolares Verhältnis ist, nehme ich als wichtigste Essenz aus diesem für die Philosophie enorm wichtigen Werk mit, das ich nun nach vielen Jahren wiedergelesen habe.


    Unser Wissen ist begrenzt, unsere Informationen meist unvollständig, darum müssen wir alle Ressourcen erfassen und einbeziehen, die wir greifen können, um zu verstehen und unserem Gegenstand gerecht zu werden.


    Für alle diejenigen, die beabsichtigen, einmal eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, kann ich mir kein besseres geistiges Rüstzeug vorstellen.

    Vor Begeisterung über die eigene Methode nicht den Gegenstand der Betrachtung aus den Augen zu verlieren, sich seinem Gegenstand zu nähern im Versuch seiner ganzheitlichen Erfassung, seiner Herkunft, Zeit und seinem Wesen Raum zu geben in der Bewertung, das sind die wesentlichen Dinge, die man von Gadamer lernen kann.


    Ohne Abstriche gebe ich hier fünf Sterne.




    Hans-Georg Gadamer, 1900-2002, war ein deutscher Philosoph und Hochschullehrer in Marburg, Heidelberg und Frankfurt.

    Gadamer war Schüler von Martin Heidegger, "Wahrheit und Methode" über die philosophische Hermeneutik war sein wichtigstes und erfolgreichstes Werk.