Arno Geiger, Das glückliche Geheimnis.



  • ASIN/ISBN: B0BP2LVLVT


    Klappentext:


    Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.


    Mein Lese-Eindruck:


    „Das glückliche Geheimnis“ wird gleich auf der ersten Seite, in den ersten beiden Sätzen gelüftet: der Autor wühlt sich seit 25 Jahren durch die Wiener Altpapiertonnen, bei Wind und Wetter, zu Fuß und mit dem Fahrrad. Dabei findet er all das, was Menschen entsorgen: Bücher, Plakate, persönliche Briefe, unbenutztes Firmenbriefpapier, Glückwunschkarten, Briefmarkensammlungen etc. Das setzt in ihm Überlegungen frei: welche Gründe haben Menschen, sich von Schriftlichem zu trennen? Ordnung? Nachlass-Sichtung? Desinteresse? Zu wenig Platz? Müll ist, so meint er, nicht nur eine gewaltige Rohstoff-Ressource, sondern ebenfalls eine kulturelle Ressource, ein Teil des kulturellen Gedächtnisses. Trotzdem schämt er sich für seine Müll-Touren, bis er den Film „Die Sammler und die Sammlerin“ von Agnes Varda sieht. Der Film bringt ihn zur Auffassung, dass das Sammeln ein menschliches Grundbedürfnis sei, und auch das Sammeln von Müll sei eine Kulturtechnik, bei der sich „auch im Wertlosen ein Reichtum“ (S. 36) finde.


    So erlebt es der Autor die ersten Jahre auch, und zwar wortwörtlich: er verkauft seine Funde auf dem Flohmarkt und finanziert damit seinen Lebensunterhalt. Der Fund und die Lektüre von Briefkonvoluten setzt allmählich aber einen schöpferischen Impuls bei ihm frei. So erzählt er z. B., wie ein gefundenes Konvolut von Briefen aus dem I. Weltkrieg in ihm die Grundidee für sein Buch „Unter der Drachenwand“ habe entstehen lassen.


    Das Müllsammeln strukturiert den Alltag des Schriftstellers, und es strukturiert auch verblüffend leichtfüßig das Buch. Der Leser erfährt in dieser besonderen Biografie, wie Geigers erste Romane zustande kamen und wieviel Frust und Ablehnung er seitens seines Verlages auszuhalten hatte und wie er trotzdem an seinem Lebensziel, Schriftsteller zu sein, festhielt. Geiger nimmt kein Blatt vor den Mund. Wir erfahren viel von seinem Privatleben, z. B. seiner sexuellen Libertinage, gelegentlich mehr, als es mich persönlich interessiert hätte. Ebenso offen geht er mit den Erkrankungen seiner Eltern um: des „alten Königs in seinem Exil“ und seiner intelligenten Mutter, die nach einem schweren Schlaganfall ihr Leben neu lernen musste.

    Genauso offen und ungeschönt erzählt er von seinem „depressiven Intermezzo, wie er es nennt: eine längere Schaffenskrise, aus der ihn ein streng strukturierter Alltag schließlich befreit, und zu dieser Struktur gehört auch das „Lumpensammeln“, wie er es nennt. Das er übrigens auch nicht aufgibt, als er mit Preisen überhäuft wird und zur öffentlichen Person geworden ist; niemand vermutet in dem Lumpensammler den preisgekrönten Autor. Auch hier ist also wie im ganzen Buch immer das Durchforsten der Altpapiercontainer der zentrale Punkt, und daher sollte der Leser keine chronologische Biografie erwarten, sondern sich der Führung des Autors überlassen.


    Geiger beobachtete in den Altpapierbriefen eine unverkrampfte, menschliche Offenheit, die ihm gefiel und die er zum Maßstab seines Erzählens machte. Das ist ihm gelungen. Geiger ist zwar nicht frei von Selbstlob und Stolz auf unkonventionelles Verhalten, und einige Passagen hätten durchaus gestrafft werden können. Dennoch bleibt nach der Lektüre der Eindruck zurück, dass hier ein liebenswerter Mensch spricht, dem wenig Menschliches fremd ist.

  • Arno Geigers Buch Das glückliche Geheimnis ist ein Buch, das mir sehr gut gefallen hat. Und das nicht nur wegen der spleenigen Idee, das Geiger über Jahre Papiercontainer durchsucht hat.

    Es ist mehr die nahezu autofiktionale Erzählart, die mich überzeugt hat. Das ist auch ganz sympathisch gemacht. Wenn Arno Geiger von seiner beruflichen Entwicklung als Schriftsteller schreibt und von den Krankheiten seiner Eltern, kann man sehr mit ihm mitfühlen. Ich mag seine Art zu erzählen.

  • Ich mag seine Art zu erzählen.

    Ich bin da eher gespalten. Mir hat "Unter der Drachenwand" nicht so recht gefallen, ich fand den Erzähler da sehr redselig, fast geschwätzig.

    "Das glückliche Geheimnis" hat mich aber dann doch positiv überrascht, weil Arno Geiger offenbar ein netter Mensch ist.

    Ist ja auch was wert.


    Was mir im Nachhinein noch eingefallen ist: Arno Geiger beschließt, "ungekünstelt" zu erzählen. Da hätte ich gerne gewusst, wie man das denn macht: es zur Kunst zu erheben, ungekünstelt zu sein.

    Kommt mir widersprüchlich vor.

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Die etwas andere Autobiografie...


    Das sehr auffällig gestaltete und fröhlich erscheinende Cover hat mich dazu gebracht meinen ersten Arno Geiger zu lesen.


    Im Buch erzählt der Autor über sich und seinen Werdegang als Schriftsteller und wie er durch seine Heimat streift und dabei im Müll anderer seine Entdeckungen macht.


    Richtig gut gefallen haben mir die Streifzüge durch die Stadt. Ich konnte mir richtig gut vorstellen wie befreiend es sein muss und wie entschleunigend mal einfach in den Tag hineinzuleben und zu schauen, was man so findet. Und auch wenn wahrscheinlich nicht oft ein Schatz dabei ist, so ist die Freude am größten, wenn man dann doch mal genau so einen findet.


    Gut und persönlich dargestellt ist das Leben eines Autors und was für Gefühle ausgelöst werden, wenn das Geschriebene Leser findet oder eben nicht.


    Auch wenn Affären und Co nichts Außergewöhnliches sind und wohl zum Menschen dazugehören, so habe ich die diversen Erwähnungen doch als eher unpassend empfunden. Meine Erwartungshaltung an das Buch war gänzlich eine andere. So wirkt Geiger etwas neurotisch und exzentrisch und genau solche Menschen sind mir dann eher unsympathisch, wenn sie so etwas erwähnen müssen. Es gibt doch Wichtigeres, was einen auszeichnet, als ausgerechnet das.


    Ansonsten hat sich das Geschriebene angenehm leicht und kurzweilig lesen lassen und nun weiß ich, dass ein Autorenleben alles andere als leicht und vielleicht auch nicht wirklich erstrebenswert ist.


    Fazit: Mal etwas anderes. So richtig abgeholt hat es mich allerdings nicht, daher nur bedingt eine Leseempfehlung.


    Bewertung: 6/ 10 Eulenpunkten

  • Das glückliche Geheimnis ist ein autobiografischer Roman. Arno Geiger beschreibt darin die Anfänge seiner schriftstellerischen Karriere. Sie begann vor etwa 30 Jahren indem er - auf der Suche nach Literatur im Altpapier Wiens - durch die Straßen radelte und Bücher, Postkarten, Briefe und Tagebücher inspizierte und Lohnenswertes mit nach Hause nahm.

    Lohnenswert waren zweierlei "Altpapiervorkommen": einmal die, die Arno Geiger auf dem Flohmarkt zu Geld machen konnte und einmal die, die seinen Horizont erweiterten und ihn zwischenmenschliche Beziehungen und Erlebnisse näher brachten.

    "Durch Lesen verkürzen wir unsere Lebenszeit nicht, wir verlängern sie. In wenigen Stunden können wir die Erfahrungen nachvollziehen, die ein anderer Mensch in Jahren oder Jahrzehnten gemacht hat. Wir gewinnen Erfahrung im Zeitraffer. Derlei Wundersames vermögen Bücher." - Section 84


    Arno Geiger beschreibt den Verlauf seines Lebens über mehrere Jahre und lässt mich als Leserin auch an seinem Leben mit seiner Frau K und seinen Eltern teilhaben. Arno Geiger macht deutlich, dass alles für ihn seine Zeit hat und Offenheit - trotz Doppellebens - für ihn einen großen Wert hat.


    "Heimlich das Tagebuch seines Bruders zu lesen ist grausam. Aber das Tagebuch von jemand Unbekanntem zu lesen, versachlicht das Geschriebene. ... Es ist erstaunlich. Wenn man sich darauf einlässt, erkennt man in jedem Schreiber und jeder Schreiberin eine Ähnlichkeit mit sich selbst. Eine menschliche Familienähnlichkeit, sozusagen." - Section 83


    Es ist erstaunlich, denke ich, als ich diese Zeilen lese. Nichts anderes stelle ich fest, wenn ich tagtäglich Menschen begegne. - Nur, dass ich über die zwischenmenschliche Verbindung und den mal geringen, mal etwas ausführlicheren Erlebnisberichten lauschen darf.


    Matthias Brandt spricht das Hörbuch in einem sehr angenehmen Timbre. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Arno Geiger das Hörbuch nicht selbst eingelesen hat, hätte ich annehmen können, Arno Geiger erzählt mir selbst seine Geschichte. Einzig ab Section 79 - von insgesamt 89 Sections - habe ich eine etwas andere Klangfarbe der Stimme wahrgenommen, die mich zunächst irritierte, aber bald wieder ins gewohnte Klangbild zurückfiel.

    Das glückliche Geheimnis ist eine wunderbare Geschichte um einen für Arno Geiger bedeutenden Lebensabschnitt, um Literatur und wahrhaften Geheimnissen von Menschen.


    Fazit

    Das glückliche Geheimnis ist für alle, die Geschichten und Begebenheiten von Menschen lieben und stets auf der Suche nach mehr Gehalt und Sinn für ihr Leben sind.