Der Wolkenatlas (Cloud Atlas) - von David Mitchell

  • Ich kann mich der begeisterten Stimme gerade von blaustrumpf nur voll und ganz anschließen: es ist ein absolut überwältigendes Buch!


    Zum einen liegt das an der einzigartigen Erzählstruktur. Sechs ganz verschiedene Geschichten aus sechs unterschiedlichen Epochen fließen zusammen und bilden einen roten Faden, auch wenn der nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wie schon angesprochen, liest man zunächst alle ersten Hälften der Geschichten und erst als die sechste Geschichte komplett erzählt ist, „rückwärts“ die Enden der anderen Teile. Dabei gibt es Querverweise, indem die Protagonisten wie wir Leser die vor ihnen passierte Episode aufgreifen und lesen. Besonders gut gefallen hat mir dabei, dass auch sie zunächst nur einen Teil der Geschichte kennenlernen und erst (wie wir Leser auch) im abschließenden Teil den zweiten. Klingt kompliziert, ist es aber eigentlich nicht.


    Die Schwierigkeit für mich als Leser ist vielmehr, sehr abrupt von einer Zeit und einer Handlung in eine ganz andere geworfen zu werden. Es ist nicht einfach zu lesen, denn man muss sich neu einfinden und zudem viele Namen, Orte und Handlungen merken und später wieder zuordnen. Doch diese Brüche haben hier wirklich einen Sinn und gehören auf alle Fälle dazu. Deshalb stimme ich saz zu: das Buch anders zu lesen macht zerstört den Aufbau.


    Mir hat übrigens geholfen, dass ich vor einigen Jahren den Film gesehen habe – an vieles konnte ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber zum Überblicken der Grundstruktur war es prima.


    Auch inhaltlich gibt es – so unterschiedlich die Episoden auch sein mögen – einen roten Faden. Zumindest ich habe das Große, Ganze, von dem Voland spricht, für mich gefunden: es geht um die individuelle Freiheit des Menschen, auf ganz unterschiedliche Arten interpretiert. Die Geschichten sind sehr unterschiedlich: mal mehr romantisch, mal eher ein Thriller, dann mit einer gehörigen Prise schwarzen Humors versehen. Manche Episoden fand ich schwer zu lesen, vor allem bei den Teilen in der Zukunft bildete sich öfter ein dicker Kloß im Hals. Als Gesamtkonzept ist es ein tolles Arrangement.


    Ach ja – auch der Erzähl- und Schreibstil ist bei den verschiedenen Geschichten ganz unterschiedlich. Einer schreibt Tagebuch, der andere Briefe, beim nächsten ist es eine mündliche Erzählung und neben der „klassischen“ Erzählweise in der dritten Person gibt es auch einen Teil, der als Dialog gestaltet ist.


    Für mich ist es ein Buch, das sich nicht beschreiben oder gar in ein Genre einordnen lässt. Man muss es selbst lesen und fühlen. Es ist ein Spiel mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten, verliert dabei eine klare Aussage aber nicht aus den Augen. Am besten ist es, sich auf das Buch wirklich einzulassen und keine bestimmten Vorstellungen und Erwartungen davon zu haben. Die kann man sich von so einem Buch gar nicht machen. Übrigens gibt es neben der Verfilmung auch ein dazugehöriges Musikstück, das nicht nur den Grundaufbau aufgreift sondern auch im Buch eine Rolle spielt. Läuft momentan bei mir ganz oft.


    Fazit: Grandios! Was anderes als 10 Punkte kommt hier nicht in Frage!


    Zitat

    Original von blackrose
    In meinem Regal landet es jedoch bei den Lieblingsbüchern und wird mit Sicherheit irgendwann noch ein zweites Mal gelesen.


    :write

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021