Freitags bei Paolo - Tom Liehr

  • Seiten: 412

    Herausgeber: Aufbau Taschenbuch

    Erscheinungstermin: 15. November 2022

    ISBN: ‎ 978-3746639406



    Meine Meinung:


    Hast du dir schon mal überlegt, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem du feststellst, dass deine Beziehung so keinen Sinn mehr macht? Marie und Clemens aus Tom Liehrs neuestem Roman “Freitags bei Paolo” können diesen Zeitpunkt genau benennen und haben auch einen genauen Plan, wie es dann mit ihnen weitergehen soll. Es wäre nicht mein Weg, aber als Buch hat es gut funktioniert. Es war für mich vor allem interessant zu lesen, welche Gedanken sich der Autor in diesem speziellen Fall über die Handlungen der Figuren gemacht hat. Wie gewohnt ist auch “Freitags bei Paolo” voller Wortwitz und liebeswerter Figuren, sogar der Titel ist doppeldeutig.


    Marie und Clemens lernen sich zum Millenniumssilvester bei einer skurrilen Party kennen und verlieben sich auf Anhieb ineinander. Das gesamte Umfeld ist sich sicher – die beiden sind das perfekte Paar. Es sieht auch genauso aus, ziemlich lange sogar, aber nach zwanzig Jahren merken beide, dass die Liebe zwar noch da ist, aber die Leidenschaft fehlt.

    Für diesen Fall hatten sie zuvor schon beschlossen, dass sie sich auf jeden Fall trennen werden. Gesagt, getan. Nach all der Zeit fangen also beide ein neues Leben an, das nicht von Erleichterung, dass es endlich vorbei ist, geprägt ist, sondern vor allem davon, dass sie liebgewonnene Rituale und natürlich auch den gewohnten Menschen vermissen.


    Ich musste länger über das Thema Liebe nachdenken um zu einem Schluss zu kommen, ob das Buch dem entspricht, was ich darüber denke. Für mich ist Liebe so viel mehr als nur Leidenschaft, sie bedeutet auch Vertrauen, Nähe, Füreinander da sein und den anderen in den meisten Fällen verstehen zu können. All das haben Marie und Clemens in ihrer Beziehung, trotzdem trennen sie sich, als sie feststellen, dass sie seit einem Jahr keinen Sex mehr hatten. Clemens ist ziemlich oft unterwegs, denn er arbeitet als Komiker und kommt viel rum, Marie ist zu Hause und lebt dort ihr Leben. Für mich ist es da sehr natürlich, dass man nicht jeden Abend im Bett landen kann. Allerdings fühlt Clemens sich von einer anderen Frau angezogen, was für mich auf jeden Fall ein Hinweis darauf ist, dass er Marie nicht mehr so ergeben ist wie zu Beginn der Beziehung.


    Ich mochte das Ritual der beiden: Jeden Freitag treffen sie sich bei ihrem Stammitaliener Paolo. Aus diesem Grund konnte Clemens freitags niemals arbeiten. Als Paolo seinen Laden schließt, geht es zufällig auch mit Marie und Clemens abwärts. Ich habe die ganze Zeit über gehofft, dass die beiden doch wieder ein Paar werden, denn ich fand genau wie deren Freunde, dass sie gut zueinander gepasst haben. Ob es dazu im Laufe des Buches kommt, musst du selber lesen.

    Das Buch kommt nicht nur mit einer Nicht-Liebesgeschichte daher, sondern auch ganz viel mit Kritik an der Gesellschafft, die Tom Liehr seiner Figur Clemens in den Mund gelegt hat. Ich konnte Clemens in vielen Dingen zustimmen und fand diese Umsetzung sehr gelungen.



    “Freitags bei Paolo” ist auf jeden Fall ein Buch, das zum Nachdenken anregt und das ich nicht mal eben so wegelesen konnte. Ich habe ein wenig länger über der Rezension gebrütet, weil ich den Inhalt des Buches verstehe, aber nicht so handeln könnte. Ich kann dir das Buch auf jeden Fall ans Herz legen, wenn du Bücher mit eigenwilligen Themen und liebenswerten Charakteren magst, wozu zum Beispiel auch “Die Wahrheit über Metting” gehört, das ich im letzten Jahr auf meinem Blog rezensiert habe.


    ASIN/ISBN: 3746639409

  • Freitags sind sie bei Paolo, die Freitags.

    Jede Woche, immer am selben Tisch. Ein Ritual, welches mehr oder weniger zufällig entstanden ist und Jahr für Jahr Bestand hatte.

    Doch nun, nach 20 Jahren, steht die Beziehung von Marie und Clemens vor dem Ende.

    Das Traumpaar, und das waren sie, für sich selbst und für alle anderen, hat sich still und heimlich auseinander gelebt.

    Keiner hat es bemerkt, am wenigsten sie selbst.

    Umso größer die Überraschung nach der Erkenntnis, umso radikaler die folgenden Schritte.

    Ist es die richtige Entscheidung? Die endgültige? Die einzig mögliche? Die gemeinsame?

    All diese Fragen habe ich mir gestellt. Mir überlegt, ob ich den Beiden bei ihrer Entscheidung folgen kann.

    Sie verstehen, wenn auch vielleicht nur theoretisch.

    Ich gestehe, es ist mir schwer gefallen.

    Und ich war sehr gespannt, wie das Leben für Marie und Clemens nun weiter geht.

    Finden sie ein neues Glück? Eine neue Zufriedenheit? Oder gibt es eine neue Chance für ihre Beziehung?

    Am Ende denke ich, dass die Geschichte von Marie und Clemens so außergewöhnlich war, dass sie auch nur außergewöhnlich erzählt werden und enden kann.


    Dies ist aber nur ein Teil des Ganzen, Tom Liehr bringt gekonnt Themen wie Social Media, Meinungsfreiheit usw. in der Geschichte unter.

    Und man kann in vielen Personen und Andeutungen reale Persönlichkeiten oder alte Bekannte aus früheren Büchern von Tom Liehr erkennen.

    Insgesamt habe ich das Buch wirklich sehr gerne gelesen und ich kann auch gut damit leben, dass die Protagonisten nicht immer das machen, was ich gerne gelesen hätte. ;-)


    Zudem hat die Leserunde hier viele neue Erkenntnisse und Blickwinkel gebracht.

    Und sie wurde total engagiert vom Autor begleitet und geleitet. :-)

    Dafür nochmals herzlichen Dank.

  • Und wieder zeigt Tom Liehr eine neue Seite und bleibt sich doch dabei treu. Ich liebe seine Wortspiele, seine Worterfindungen, seinen Wortwitz, seine Schreibweise. Ich habe dieses dieses Buch inhaliert. Wort für Wort. Man kann keinen Satz einfach überfliegen. Es könnte einem was entgehen.


    Marie und Clemens. Tom Liehr schreibt die Liebesgeschichte der beiden. Eine Liebesgeschichte über 20 Jahre. Er schreibt die Geschichte aus beider Sicht gleichwertig. Keiner wird klein gemacht, keiner schlecht gemacht. So lernt man beide kennen, vom ersten Zusammentreffen an. Tom Liehr schreibt keine Romanzen, kein ChickLit. Also habe ich auch keine intensive Liebesgeschichte erwartet. Und doch ist hier ganz viel Gefühl dabei. Eine sehr große Intensität der Gefühle bei beiden zueinander. Großartig beschrieben und geschrieben. .

    Das Buch lebt von den Gefühlen zweier Menschen. Vom Beginn einer wundervollen Liebe, eine Symbiose, wie sie nur wenige erleben. Es sind die kleinen feinen Dinge, die zeigen, wie zwei Menschen sich bedingungslose lieben können, wie die Hand auf der Decke, die einen unglaublich glücklich macht. Die Wärme beim Denken an den anderen, an bestimmte Situationen, Rituale. Wie die Treffen der Freitags am Freitag ... tausend Mal.


    Irgendwann kommen die ersten kleinen Rissen, ein Genervtsein, der Gedanken, was wäre wenn man noch mal neu anfangen würde. Dann das Verlieren und ein neues Lieben?


    Tom Liehr schreibt nicht nur über die beiden, sondern lässt uns Teilhaben an anderen Paaren und deren Beziehungen, so das man hier auch den Vergleich zu anderen Paaren bekommt. Tom Liehr hat die große Gabe besondere Menschen zu erfinden, sie so zu beschreiben, dass man intensiv mit ihnen fühlt, mit ihnen leidet, sie in den Arm nehmen will, sie schütteln will, wütend wird, Mitleid hat, aber sich auch mit ihnen freuen kann. Charaktere, die so anders sind und doch so menschlich. Ganz große Erzählkunst.


    Aber auch ein anderes Thema wird in diesem Roman aufgegriffen. Clemens ist Komiker. Tom Liehr beschreibt hier auch über die Veränderungen in der Kultur- und Künstlerszene in diesen zwanzig Jahren, über den Einfluss der sozialen Netzwerken, der Meinungsfreiheit, den damit verbundenen Verlust der Leichtigkeit.


    Selten hat mich ein Roman so berührt und mitgenommen. Es ist ein sehr intensiver und tiefsinniger Roman, der mich sehr zum Nachdenken angeregt hat. Chapeau Tom Liehr.


    Absolut empfehlenswert und somit verdiente volle Punktzahl.

    :lesend Fenna Janssen - Der kleine Inselladen

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    Hörbuch: Ildiko von Kürthy - Es wird Zeit

    Hörbuch: Judith Lennox - Die Jahre unserer Freundschaft

    SuB: 320

  • Tom Liehr: Freitags bei Paolo


    Inhalt (von Amazon)

    Lieben – verlieren – lieben

    Marie und Clemens haben sich in der Millenniumsnacht 2000 kennen- und lieben gelernt. Seither pflegen sie ein Ritual: Freitags treffen sie sich immer bei ihrem Lieblingsitaliener – bei Paolo. Und sie schwören sich: Wenn es irgendwann in ihrer Beziehung nicht mehr knistert, wollen sie es beenden. Nach zwanzig Jahren ist es dann so weit: Sie beschließen, getrennte Leben zu leben, müssen aber bald erkennen, was für ein Wagnis sie eingegangen sind. Denn bei aller gefühlten Freiheit bleibt die Frage: Wie sieht ein erfülltes Leben voller Liebe und Zufriedenheit denn wirklich aus?

    Eine Lebens- und Liebesgeschichte, voller Witz, Präzision und Warmherzigkeit erzählt – aber auch ein kluger Roman über die Freiheit der Kunst und die Balance zwischen Karriere- und Gefühlswelt.


    Autor (von Wikipedia)

    Thomas „Tom“ Liehr (*4. Dezember 1962 in Berlin) ist ein deutscher Schriftsteller und IT-Unternehmer.

    Liehr studierte nach dem Abitur Informatik. Er arbeitete als Redakteur beim P.M. Magazin, beim Rundfunk, als Computerberater und Softwareentwickler und ist seit 1998 selbständig als Inhaber eines Softwareentwicklungs-Unternehmens. Außerdem arbeitete er zeitweilig als Discjockey.

    Im Jahr 1990 erhielt Tom Liehr im Playboy-Literaturwettbewerb um den (später so genannten) Gratwanderpreis den ersten und dritten Preis mit den Kurzgeschichten Hallo, Liebling, hier spricht Harry und Auf Sendung mit dem letzten Schuß. In den nächsten Jahren wurden Kurzgeschichten Liehrs in verschiedenen Anthologien und u. a. in der Computerzeitschrift c't veröffentlicht. Er schrieb auch für die österreichische Zeitschrift Datum. Im „Autoren-Kalender“ des Verlages Die Werkstatt (ISBN 3-89533-435-9) erscheinen 2004 Texte von Liehr, Ulrike Linnenbrink, Alexander Wichert und Andreas Schröter.

    Tom Liehr war zeitweilig Vorsitzender der Autorengruppe 42erAutoren – Verein zur Förderung der Literatur e. V., deren Mitbegründer er ist.

    Im August 2016 begannen die Dreharbeiten für die Verfilmung der Leichtmatrosen; Erstausstrahlung der Filmkomödie Leichtmatrosen – Drei Mann in einem Boot war am 12. Mai 2017 auf ARD Das Erste.

    Er ist Mitgründer des PEN Berlin. Der Romancier lebt mit seiner Familie in Berlin.


    Meine Meinung

    In seiner leicht spöttischen, distanzierten Art erzählt der Autor von einer modernen Paarbeziehung. Marie und Clemens sind unabhängige und selbstbewusste Charaktere, die sich in gegenseitigem Einvernehmen zusammentun und ihr Leben aufeinander abgestimmt gestalten.

    Sie lieben sich über 20 Jahre lang bis dieses Gefühl schwindet. Damit wird die Ehe für beendet erklärt. Die beiden trennen sich konsequent und gehen ihre eigenen Wege weiter. Leises Bedauern und gelegentliche Sehnsucht nach der Vertrautheit tauchen schon auf, aber ihre Freiheit möchten beide nicht mehr aufgeben. Lockere Freundschaft genügt einfach.

    Der Roman macht deutlich, was unter „Lebensabschnittsgefährten“ verstanden werden kann. Mir ist das zu rational und ich kann wenig echte Liebe darin erkennen. Somit hat mich das als „Liebesroman“ enttäuscht.


    Mit gekonnt spitzer Feder greift Tom Liehr einige gesellschaftliche Kuriositäten auf, wie z. B. die Rollenverteilung bei der Kindererziehung oder das Kunstverständnis in der zunehmend digitalisierten Welt. Clemens macht Karriere auf der Bühne als Stimmenimitator und als Sprecher für Hörbücher. Mit vermehrter Wahrnehmung in der World-Wide-Community muss er sich auch mit Shit-Storms und Cancel-Culture auseinandersetzen, obwohl er eigentlich unpolitisch bleiben und nur seinen Klamauk machen will.


    Durch Maries Engagement und ansteigende Karriere in einer Öko-Partei bekommen auch Status-Linke ihr Fett ab. Der Roman liest sich nicht nur in dieser Hinsicht erheiternd bis gesellschaftskritisch.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Der erste Roman von Tom Liehr, der nicht aus der Ich-Perspektive erzählt ist und kurz hatte ich das Gefühl einen anderen Autor zu lesen.

    Dann war es aber wieder alles da: Die feinen Nuancen, die Infos, die heimlich durch die Hintertür reinschlüpfen, die kleinen Details, die unsere Zeit und unser Leben kommentieren.


    Ein typischer Kommentar, den ich von Freunden bekomme, die ich mit einem Liehr beschenke, ist: Es passiert eigentlich die ganze Zeit nichts, aber ich konnte es trotzdem nicht aus der Hand legen.


    Das stimmt einerseits gar nicht, andererseits schon, auch hier Freitags bei Paolo: Das erste Kapitel liest sich wie ein Prolog und endet dort, wo ein Liebesroman typischerweise endet: Sie kriegen sich.

    Der Rest des ersten Teils erzählt danach von nicht weniger als den ersten 1000 Freitagen eines Traumpaars.

    Das klingt in unserer heutigen Zeit der Superlative lapidar, ist es aber nicht: Gemeint ist hier wirklich die eine große Liebe des Lebens in ihrer Perfektion. Clemens und Marie sind diese eine unglaubliche, große - nie kitschige - Liebe und wir begleiten sie tatsächlich durch die ersten 20 Jahre ihrer Beziehung. Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas vergleichbares gelesen zu haben.


    Das muss doch langweilig sein, ist eine typische Reaktion, wenn ich von diesem Buch erzähle.

    Sicher: Wer einen vordergründig konfliktreichen Roman lesen möchte, ist hier falsch.

    Aber Nein: Dieses Buch ist alles andere als langweilig. Nicht nur, weil ein Roman von Tom Liehr - zumindest für mich - ohnehin alleine durch seine Erzählkunst bereits trägt. Und durchaus unterhält mit vielen beiläufigen Kommentaren auf aktuelle Gesellschaftsthemen: Häufig humorvoll, häufig bissig, häufig beides.


    Aber dieser Roman kommt für mich vor allem daher wie ein Schleichmörder, mit seinen zunehmend bohrenden Fragen:

    Wie geht man mit Chancen um, die einem im Leben begegnen und wie schafft man neue Chancen? Was ist einem wirklich wichtig?


    Im Vordergrund von 'Freitags bei Paolo' steht dabei die eine wichtige aller Chancen: Die Liebe.

    Sie wird in verschiedenen Beziehungen gespiegelt mit einer Spannbreite vom Traumpaar Clemens und Marie, bis zu einer äußerst toxischen Beziehung, die im Off passiert. Oder auch einem Menschen, der sich gegen die Abhängigkeit einer Beziehung entscheidet.


    Ich habe Clemens und Marie und die vielen anderen Charaktere sehr gerne durch diesen Roman begleitet.

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

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  • Es ist jetzt sechs Wochen auf dem Markt, und ich habe noch nie so intensive, unterschiedliche, sehr weit gehende und persönliche Reaktionen auf einen Roman erhalten. Ich dachte ja, das (Neben-)Thema "Freiheit in der Kunst" würde etwas Aufregung generieren, aber auch in der direkten Leserpost geht es hauptsächlich erstens um die Frage, warum die beiden sich überhaupt trennen (das hatten wir hier in der Leserunde ja auch verstärkt), und zweitens um die, ob diese Behauptung mit dem Verfallsdatum der Liebe tatsächlich zutrifft (einhergehend mit der Frage, was Liebe ist, woraus sie besteht, wie man das definiert). Jemand schrieb mir vorgestern, er hätte beim Lesen nachgerade Angst um seine Beziehung bekommen, und wolle sich von dem Buch, das er zugleich sehr gerne gelesen hätte, erst einmal trennen, es aus dem Haus haben, vielleicht in eine Bücherbox stellen, um es sich möglicherweise später noch einmal zu kaufen. Das ist kein Einzelfall.

  • Ich habe lange überlegt, ob ich den Vergleich Schleichmörder benutzen soll, ob ich nicht was Treffenderes finde. Aber genau das meine ich damit.

    Und ich habe überlegt wie ich mit dem Thema Freiheit in der Kunst in der Rezension umgehe. Und mich tatsächlich dagegen entschieden es explizit zu erwähnen, weil es mir die Gewichtung zu sehr verschiebt.

  • Jemand schrieb mir vorgestern, er hätte beim Lesen nachgerade Angst um seine Beziehung bekommen, und wolle sich von dem Buch, das er zugleich sehr gerne gelesen hätte, erst einmal trennen, es aus dem Haus haben, vielleicht in eine Bücherbox stellen, um es sich möglicherweise später noch einmal zu kaufen. Das ist kein Einzelfall.

    :lache irgendwie kann ich das nachvollziehen:lache

  • In diesem Roman erzählt uns Tom Liehr die Geschichte eines Ehepaares, das an einen Punkt im Leben gelangt, an dem sie feststellen müssen, dass irgendwo auf dem Weg die Liebe verloren gegangen ist. Dazu schildert er uns den Abend, an dem sie sich kennenlernen und an dem der Grundstein für ihre Liebe gelegt wird, und wichtige Szenen ihrer langjährigen Ehe. Vielleicht liegt es an dieser etwas distanzierten Erzählweise, dass ich mit den beiden Protagonisten nicht ganz warm geworden bin, vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich einen anderen Blick auf Beziehungen habe. Das werde ich wohl nicht endgültig ergründen können, ist aber auch gleichgültig. Ich kann die Entscheidungen der beiden für ihre Beziehungen nachvollziehen, auch wenn es vielleicht nicht in jeder Situation meine gewesen wären. Auf jeden Fall bietet es so eine Anregung, die eigene Einstellung zu Liebe und zu Beziehungen zu überdenken.


    Aber das Buch bietet noch so viel mehr. Der für Tom Liehr typische Humor fehlt auch in diesem Roman nicht. Seine Schilderungen der Erlebnisse dieses Ehepaares (wie zum Beispiel den hervorragend getroffenen ersten Elternabend des Kindergartens), aber auch ihre Beziehungen zu Freunden und den nicht immer ganz einfachen Nachbarn so hinreißend komisch und doch so treffend, dass ich das Buch gar nicht aus der Hand legen mochte. Auch ihre beruflichen Erfahrungen kommen nicht zu kurz – und hier dreht Tom wirklich auf. Clemens macht seine Begabung als Stimmenimitator zu seinem Beruf und trifft hier auf wirklich skurrile Figuren, bei denen man teilweise durchaus erahnen kann, wer als reale Inspiration für sie diente. Dabei stellt man sich ganz unweigerlich auch selbst die Frage, was Kunst eigentlich darf und was nicht. Auch soziale Medien und ihre unguten Dynamiken für Menschen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, werden beleuchtet. Marie hingegen macht Karriere in der Politik – und man ahnt es schon, auch die Parteifreunde sind mit viel Witz gestaltet. Man merkt vielleicht, dass mir diese Aspekte des Romans sehr viel mehr Spaß gemacht und mir besser gefallen haben als die Liebesgeschichte selbst.


    Ein andersartiger, aber definitiv nicht schlechterer Roman von Tom Liehr, der dafür sorgt, dass ich mich auf weitere Bücher des Autors (und auf die wenigen früheren, die ich noch nicht gelesen habe) freue und der mich auch nach dem Lesen noch eine Weile gedanklich begleitet hat.

  • Es war ein Schwur, der weit mehr als nur ein Urlaubsziel betraf, es war ein Versprechen, das nicht weniger als die Ewigkeit einschloss. Und sie glaubten zu diesem Zeitpunkt beide fest daran, es auf jeden Fall einhalten zu können. (Seite 129)


    Meine Meinung


    Nun habe ich seit Beendigung des Buches einige Zeit zum Nachdenken gehabt und immer noch schwirren so viele Gedanken im Kopf herum, daß es nicht ganz leicht ist, die in eine sinnvolle Reihenfolge zu bekommen. Womit eines schon fest steht: dies ist kein Buch, daß man einfach so nebenbei „wegliest“, um dann zum nächsten überzugehen. Zum „Weglesen“ könnte der sehr flüssige Schreibstil verführen, doch man sollte sich nicht in die Irre leiten lassen, denn wie so oft kommt es auf die Feinheiten an - und um die zu erkennen bzw. zu bemerken, bedarf es einer gewissen Ruhe und vor allem sorgfältigen Lesens. Denn die im Buchrückentext erwähnte Trennung hat schleichende Gründe, die sich in kleinen Dingen, fast schon Nebensächlichkeiten, zeigen und leicht überlesen werden.


    Es sind zwei wesentliche und drängende Probleme unserer Zeit, die der Autor in seinem Roman verarbeitet: zum Einen eben das des Ehe- bzw. Beziehungsverständnisses; auf Schlagworte reduziert: Lebens- oder Lebensabschnittsgefährten? Zum Anderen ist da die Thematik der sogenannten political correctness - oder was darf man heute noch sagen, falls man überhaupt noch etwas sagen darf? Zwei schwergewichtige Themenkreise, die der Autor souverän in seinem Roman durchdiskutiert hat.


    „Bis daß der Tod euch scheidet“ heißt es im Eheversprechen, und doch betrug die Scheidungsquote in Deutschland lt. Destatis im Jahr 2021 knapp 40%. Woran liegt es, daß die Versprechen zur ewigen Treue so oft gebrochen werden? Das Buch liefert auf diese Frage mit Sicherheit keine (und schon gar eine abschließende) Antwort; das wäre auch gar nicht seine Aufgabe. Aber Denkanstöße - die gibt es zuhauf.


    Trennungsgeschichten gehören nicht unbedingt zu meinem bevorzugten Lesestoff; hier hat mich interessiert, wie der Autor die Thematik angeht und die Figuren selbst damit zurecht kommen. In der Geschichte von Clemens und Marie gibt es keinen großen Knall, keine besonderes Ereignis, an dem man das Scheitern ihrer Beziehung festmachen könnte. Es ist ein langsamer, schleichender Prozeß, der sich eher im Untergrund abspielt und nur manchmal das eine oder andere Detail ans Tageslicht kommen läßt, bei dem man aufmerken und vermuten könnte, daß irgendetwas nicht stimmt - ohne das genauer definieren zu können. So gesellt sich eines zum anderen, bis plötzlich die Erkenntnis aufsteigt: „wir lieben uns nicht mehr.“ An dem Punkt hatten die Figuren mir offensichtlich einiges an Erkenntnis voraus, denn als denen dies bewußt wurde, erschien es mir noch lange nicht klar und kam insofern für mich etwas früh bzw. überraschend.


    Wie dem auch sei, nun mußten Figuren wie ich mit dem Fortgang der Geschichte und deren Umgang mit der Trennung zurecht kommen. Das war der eigentlich interessante Teil des Buches: wie geht man damit um, wenn man die Liebe verloren hat - oder glaubt, sie verloren zu haben. Vielleicht nicht direkt wörtlich, aber auf jeden Fall thematisch kommt man unweigerlich auf die Frage: was macht „Liebe“ aus, was macht eine Beziehung aus, oder noch tiefer: was ist eigentlich die Grundlage einer dauerhaften Beziehung zwischen zwei Menschen? Genau dies ist für mich das Hauptthema des Buches. Seit ich ausgelesen habe, habe ich viele Stunden darüber gegrübelt, habe versucht, die Figuren und ihre Entscheidungen zu verstehen und nachzuvollziehen, habe versucht, mir selbst darüber klar zu werden. Am Ende läuft es tatsächlich auf die Frage hinaus: was ist das Fundament einer Beziehung? Ist es regelmäßiger Sex? Ist es eine regelmäßige Verabredung jeden Freitag? Ist es eine rosarote Weltsicht, und wenn die Brille dann Normalfarbe hat, ist die Liebe und die Beziehung vorbei? Wann ist eine Beziehung auf einem Felsen gebaut, der ein Leben lang hält und wann auf Sand, so daß der erste starke Sturm sie hinfortfegt?


    Im Gegensatz zu den Figuren (und dem Autor?) war ich am Ende der Meinung, daß die Figuren eine falsche Entscheidung getroffen haben. Sie versuchen, ihre Entscheidung vor sich und anderen zu rechtfertigen und als die richtige darzustellen. Sie haben sich mit der Grundlage ihrer (oder überhaupt einer) Beziehung allerdings nie richtig beschäftigt, so daß diese auf Sand gebaut war. Und der erste Sturm sie weggeblasen hat. Schade eigentlich.



    Das zweite große Thema des Buches ist die sogenannte „political correctness“ und die seuchenartig um sich greifende Cancel-Culture. Ich möchte dies hier eigentlich nur erwähnen mit dem Hinweis, daß der Autor im Verlauf des Romanes das dermaßen gut dargestellt hat, daß ich nur empfehlen kann, es selbst dort nachzulesen, da ich es nicht so gut zusammenfassen kann, wie der Autor es ausgeführt hat. Großes Lob und Danke an Autor wie Verlag, dieses wichtige Thema so ungeschminkt und direkt anzusprechen.




    Insgesamt gesehen war dies ein Buch, welches eigentlich außerhalb meines „üblichen“ Leseschemas liegt und auf das ich durch die Diskussion hier im LR-Vorschlagsthread aufmerksam geworden bin. Auch wenn ich mit den Figuren (und möglicherweise mit dem Autor?) nicht in allen Punkten gleicher Meinung bin, bin ich sehr froh, das Buch gelesen zu haben. Der Roman ist in sich „rund und geschlossen“ und auch, wenn ich in Bezug auf die Entscheidung von Clemens und Marie letztlich anderer Meinung bin, in sich stimmig. Es werden wesentliche Themen unserer Zeit auf eine Weise behandelt, die unbedingt zum Nachdenken anregt.


    Immer wieder einmal wird von einem Buch behauptet, es sei „ein wichtiges Buch“. Das liegt bisweilen auch im jeweiligen Interesse des Lesers (oder Rezensenten). Hier bei „Freitags bei Paolo“ würde ich die Bezeichnung „wichtiges Buch“ unbedingt für richtig und geradezu notwendig halten. Denn egal, welcher eigenen Meinung man auch ist, der Autor hat wesentliche Themen unserer Zeit auf eine Weise in eine gut erzählte Geschichte gepackt, daß es viel Diskussionsstoff und noch mehr solchen zum Nachdenken und Bilden einer eigenen Meinung gibt. Und wenn das kein Argument für ein „wichtiges Buch“ ist, dann weiß ich auch nicht mehr.



    Mein Fazit


    In der Geschichte des Werdens und Vergehen der Liebe von Clemens und Marie taucht die Frage nach den Grundlagen einer Beziehung auf. Im Buch folgt man den Entscheidungen der Figuren und wird gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Sehr gut erzählt, viele Anstöße zum Nachdenken - ein großartiges Buch, dem ich viele Leser wünsche.



    Edit. Argh. Warum entdecke ich Tippfehler immer zu spät - trotz mehrfachem Korrekturlesen? "2001" in richtig "2021" berichtigt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Puh, ich dachte, ich hätte meine Rezi längst gepostet. Aber erst als hier neulich noch jemand was reinschrieb, beschlich mich das dumpfe Gefühl, dass meine Rezi hier noch fehlt. Ich hab das Buch auch in der LR gelesen, war dann spät dran und noch später dran mit der Rezi. Und dann schreib ich sie und vergesse zu posten. :nerv:wow


    Dann kommt sie jetzt, mit einer immensen Verspätung. Aber besser spät als nie.


    Marie und Clemens lernen sich auf einer Silvesterparty kennen und werden ein Paar. Ein sehr glückliches Paar, fand ich. Das meine ich nicht negativ - zwar erschien mir ihre Beziehung und ihr wöchentliches Ritual, freitags mehr oder weniger ausnahmslos bei ihrem Lieblingsitaliener Paolo essen zu gehen, manchmal fast schon zu perfekt, aber es hat mich erstmal nicht gestört. Tom möge mir diese Wortwahl verzeihen, aber es hatte für mich etwas "disneyhaftes", wie glücklich sie in ihrer Beziehung waren und wie gut sie harmoniert haben. Kann so etwas auf Dauer gut gehen? Vielleicht. Vielleicht nicht auf diese Art, aber es kann gut gehen. Vielleicht auch nicht. Und was "gut gehen" heißt, liegt evtl. auch im Auge des Betrachters.


    Nun aber dazu, wie ich das Buch so fand...

    Der Aufbau im ersten Teil hat mir sehr gut gefallen und vielleicht auch dazu geführt, dass ich diese Beziehung so schön fand. Man begleitet die beiden eine lange Zeit seit ihrer ersten Begegnung, jedoch immer nur an einem Freitag in Abständen von mehreren Wochen, Monaten oder Jahren. Diese Art der Erzählung hat mir sehr gut gefallen, denn so ist man bei der Entwicklung der Figuren und ihrer gemeinsamen Zeit dabei, erfährt die "wichtigsten" Sachen, aber das Buch wird nicht unnötig lang, auf der anderen Seite wirkt es auch nicht unschön gerafft. Mich hat das sehr angesprochen und auch positive Gefühle wie Zuneigung und auch Nähe zu dem Paar gewinnen lassen. Teilweise ging mir bei dem Buch richtig das Herz auf , auch wenn es doch die eine oder andere Phase gab, wo ich Marie und Clemens nicht soo sympathisch fand. Aber insgesamt haben sie im ersten Teil direkt beim Kennenlernen und dann im weiteren Verlauf ihrer gemeinsamen Zeit mein Herz gewonnen und ich sah in ihnen ein sehr schönes Paar.


    Leider hat mich der zweite Teil des Buches dann doch etwas enttäuscht. Ich möchte hier nicht zu viel dazu schreiben, denn es könnte dann zu sehr etwas vom Inhalt verraten. Mein Problem besteht weniger darin, was dann passiert ist und wie die Geschichte weiterging bzw. wie das Buch endete, sondern mit dem, wie es passiert ist. (Hierzu wurde in der LR genug geschrieben und auch diskutiert.)

    Mein Problem ist einfach, dass ich durch die Handlung im ersten Teil nicht so wirklich auf die Handlung im zweiten Teil vorbereitet war. Oder - anders ausgedrückt - diese Handlung nicht so verstand, sie mir nicht einleuchtete, sie für mich fast schon absurd war. Und die Sicht der beiden Hauptfiguren auf ihre Handlung mir ebenso nicht einleuchten wollte. Außerdem waren mir die Figuren, die ich zum Ende des ersten Teils noch sehr mochte, schließlich etwas unsympathisch, abgehoben in Ihrer Art und einfach sehr fern.


    Es ist nicht so, dass ein Buch, so enden muss, wie ich es möchte. Aber irgendetwas an dieser Geschichte oder an der Art, wie sie erzählt wurde, erschien mir nicht ganz schlüssig. Nicht nachvollziehbar, nicht so erzählt, dass ich damit wirklich gut abschließen konnte nach der Lektüre. Ob das an mir, an der Art der Erzählung, an der Geschichte, an meiner Art sie zu lesen oder an einer Mischung aus allem oder an etwas anderem lag - wer weiß das schon.


    Fazit:

    Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Ich kann das Buch auch guten Gewissens weiterempfehlen. Ich mag Toms Art zu schreiben und das war bei diesem Buch nicht anders. Man findet Anspielungen an wirklich vorhandene Personen (bzw. man findet diese Personen mit anderen Namen :lache), Anspielungen an sein eigenes Buch (oder Bücher? jedenfalls kommt der Ort Metting z.B. vor) und auch wichtige aktuelle Themen haben im Buch ihren Platz. Aber insgesamt betrachtet wird es leider nicht mein Lieblingsbuch von ihm werden. Dafür hat einfach der erste Teil in meinen Augen etwas versprochen, was der zweite nicht halten konnte (und ich meine nicht das "disneyhafte", darum geht es nicht). Vielleicht lese ich demnächst einfach nochmal "Nachttankstelle". ;)


    Tom, Danke für die Begleitung der Leserunde! :kiss

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  • Es ist jetzt sechs Wochen auf dem Markt, und ich habe noch nie so intensive, unterschiedliche, sehr weit gehende und persönliche Reaktionen auf einen Roman erhalten. Ich dachte ja, das (Neben-)Thema "Freiheit in der Kunst" würde etwas Aufregung generieren, aber auch in der direkten Leserpost geht es hauptsächlich erstens um die Frage, warum die beiden sich überhaupt trennen (das hatten wir hier in der Leserunde ja auch verstärkt), und zweitens um die, ob diese Behauptung mit dem Verfallsdatum der Liebe tatsächlich zutrifft (einhergehend mit der Frage, was Liebe ist, woraus sie besteht, wie man das definiert).

    Ich wage mal die Behauptung, dass Du hier sehr von Dir auf andere schließt.

    Ich sehe das Thema "Freiheit in der Kunst" durchaus als wichtig an, nicht falsch verstehen. Aber ich glaube, dass es einen Autor bzw. einen Künstler generell (sei es im Buch, im Film, in Comedybereich, bei der Musik usw.) erstmal mehr betrifft bzw. eben im schlimmeren Fall mehr einschränkt als den "Kunst-Konsumenten."

    Würde es mir auffallen, wenn bestimmte Witze nicht mehr gemacht werden, bestimmte Sachen in der Kunst nicht mehr vorkommen? Vielleicht. Aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht so, wie es einen Künstler betrifft. Der muss ja evtl. bereits vor der Veröffentlichung seines Werks diesbezüglich einiges durchmachen - sei es, weil ihm Korrekturen aufgezwungen werden oder weil er beim Schreiben selbst schon dran denkt, wie das ankommen könnte oder ob er es weglassen muss oder ob es einen Shitstorm geben könnte (den gibt es so gut wie immer, egal, was man macht...) und und und. Darum ist da ein Künstler zwar nicht mehr betroffen, aber eben schon früher im Prozess, finde ich.


    Dann kommt dazu noch eine persönliche Sache - ich mag mich täuschen, ich kenn Dich ja nicht in- und auswendig, aber durch einige Beiträge bei Facebook ist mir auch ohne das Buch klar geworden, wie sehr Dich das Thema beschäftigt. Vermutlich bist Du jemand, den es auch ohne eine Tätigkeit im künstlerischen Bereich (dazu zähle ich einen Autor jetzt mal) beschäftigen würde. Aber der Durchschnittsmensch hat da evtl. anderen Zugang zu dem Thema. Wäre so meine Idee...

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  • Wie versprochen:


    Ich habe in ziemlich jungen Jahren „Der Mann der Donnerstag war“ von Chesterton gelesen. Einfach, weil das bei meinen Eltern im Regal stand. Letztens ist mir Jasper Fforde in die Hände gefallen und da heißt die Protagonistin „Thursday Next“. Ob das ein Zitat ist?


    Dass es sich bei dem Titel „Freitags bei Paolo“ auch um ein Wortspiel mit einem Nachnamen handelt, und dass dieser Name schon bei Daniel Defoe auftaucht, das ist mir erst bei der Lektüre langsam aufgegangen und ich fand es eine echt coole Idee.


    Clemens Freitag und Marie de Bruijn sind total tolle Leute. Sie sehen gut aus, sind begabt und werden beide von einer Menge Menschen gemocht. Clemens ist vielleicht ein bisschen aggressionsgehemmt und Marie dafür eher ein bisschen das Gegenteil, aber darum ergänzen sie sich gut und so kommt es dann, dass sie in der Sylvesternacht auf 2000 ein Paar werden. Das ist ja schonmal geschickt gemacht, denn an die Sylvesternacht 2000 haben vermutlich 90% der Leute, die als Leser in Frage kommen, noch ziemlich konkrete Erinnerungen. Ich für meinen Teil habe da gearbeitet.


    Und überhaupt ist das sehr gut durchdacht. Diese Beziehung entwickelt sich nämlich absolut ideal. Die beiden lieben einander intensiv, leidenschaftlich, körperlich und zugleich intellektuell und menschlich. Sie ergänzen und respektieren einander und ermöglichen dem jeweils anderen, sich weiterzuentwickeln. Das könnte einen abstoßen. So ähnlich wie dieses Paar in einem der Loriotfilme, erinnert sich noch einer? „Ich freue mich immer, wenn ich noch etwas von dir lernen kann.“ „Du Gute“ „Du Guter“


    Aber das tut es nicht, denn das Buch geht sehr nett mit seinem Personal um. Man versteht als Leser, was da vor sich geht, warum die Protagonisten so empfinden. Man kann das mitfühlen. Trotzdem ist das natürlich eine dezente Provokation, so ein bisschen ein Köder, der da ausgeworfen wird. Solche Beziehungen gibt es nicht. Und wenn doch, dann ist es eine Lüge. Und sie gehen kaputt. Ätsch. Tatsächlich habe ich meine Zweifel, ob es sowas in der wirklichen Wirklichkeit gibt, aber hier ist es ja schließlich nur ein Buch. Und hier gibt es das eben doch.


    Dann bringt die Geschichte noch ein paar andere potentielle Aufreger, vor denen ich ehrlich etwas Sorge hatte. Nämlich Cancel Culture und Linke Politik. Clemens wird ein bekannter Comedian und kriegt Schwierigkeiten, weil er sich auf den ersten Blick ziemlich hanebüchenen Vorwürfen ausgesetzt sieht, die sich in Zeiten von social Media aber zu einem Shitsorm auswachsen. Und Marie wird in einer linken Partei erfolgreich, mit allen Intrigen und Winkelzügen, die dazugehören. Beide Themenfelder in einem Unterhaltungsroman, das könnte platt, provokativ und politisch engstirnig werden. Aber ich kann Entwarnung geben. So gnädig, wie das Buch mit seinen Protagonisten ist, so ist es auch mit den Nebenfiguren. Auch mit den eigentlichen Antagonisten. Sogar der bekannteste deutsche Thrillerautor, der in Frauengestalt auftritt, und von dem ich weiß, dass viele Leute ihn trotz oder wegen seiner Popularität echt nicht leiden können, kommt vergleichsweise gut weg. Ich würde sogar sagen, Nadine Frontzecki gibt an der ein oder anderen Stelle ein paar ganz schön tiefsinnige Analysen von sich.

    Und darum wirkt die Auseinandersetzung mit diesen beiden eher zeitgeistigen Themenfeldern eben nicht engstirnig, sondern ausgewogen und freundlich und überlässt es ehrlich dem Leser, was er von Identitätspolitik und solchen Sachen hält.


    Überhaupt, die Nebenfiguren. Das ist ein zusätzlicher Spaß, die Bezugnahme auf reale Persönlichkeiten lässt sich (trotz des „frei erfunden“ Disclaimers im Nachwort) unmöglich leugnen und es ist einfach vergnüglich, wenn Namen wie „Bargeld“, „Einzick“ oder „Kautz“ auf echte Prominente verweisen. So schwer ist das meist auch nicht zu erraten.


    Und dann passiert, was passieren muss – sie lieben sich nicht mehr und trennen sich. Das muss nicht passieren, weil das im echten Leben auch immer passiert (selbst wenn das stimmen würde). Das muss passieren, weil es der Plot erfordert, denn eine Geschichte, in der immer nur alles super ist, eignet sich einfach nicht für einen Roman. Und es fordert den Leser heraus. Warum genau haben die sich denn jetzt getrennt? Das ist die gute Frage, die im Buch eher atmosphärisch beantwortet wird und die in einer Gesellschaft, die im Herzen doch an die große, ewige Liebe glaubt, einfach eine Provokation darstellt. Diese Geschichte stellt die Lebensentwürfe vieler Leser in Frage. Und gerade dadurch, dass sie eine einfache Antwort auf die Frage, warum sich solch ein Paar denn in Gottes Namen trennen muss, verweigert oder zumindest nur nebulös behandelt – es war halt irgendwie vorbei – lässt es sich auch nicht einfach widerlegen. Man muss es halt schlucken. Bei den beiden lief das halt so. Und ganz am Ende finden beide das ganz genau richtig.


    Es gibt so etwa 39874 Epiloge, wie nach einem Kinofilm, wenn nach den Credits nochmal eingeblendet wird, wie es mit den Protagonisten weitergegangen ist. Wie die Zugaben von Bands, die einfach Spaß haben, noch weiterzuspielen, selbst wenn das Saallicht schon wieder angegangen ist. Oder wie die Zugaben von Clemens, der manchmal einfach aus Bock noch weitermacht.


    Wahrscheinlich ist „Freitags bei Paolo“ mein Lieblingsbuch von Tom. Aber es ist immer gerade das letzte mein Lieblingsbuch, was auch damit zu tun haben kann, dass ich langsam älter werde. Und Tom auch.

  • <3


    Edit. Nein, ich kann es nicht einfach nur bei einem Herzchen belassen.


    Das sind zwei wesentliche Aspekte, einmal der Umgang mit dem Nebenpersonal und der Nebenthematik. Ich bin ein extrem großer Freund des Differenzierens, ich schlage mich ungerne auf eine Seite, und wenn man mich dazu nötigen will, wähle ich aus Protest etwas ganz anderes (aber natürlich nie etwas absurd Abwegiges). Das Differenzieren, das Erwägen eines anderen Szenarios, überhaupt nur das Beleuchten der anderen möglichen Positionen, das gerät allüberall aus dem Blick. Dabei geht es nicht einmal darum, Leute, die sich für eine Position entschieden haben, dazu zu bringen, sich für die andere zu entscheiden, sondern in der Hauptsache darum, dass man zumindest versteht, dass auch die andere Position mit Menschen, Schicksalen, Erwartungen, Entscheidungen, einem richtigen Leben in dieser Welt, universell positiven Aspekten usw. usf. verbunden sein kann. Dass es Argumente dafür gibt, und keine absoluten Wahrheiten. Ich nutze Texte sehr gerne, um einfach nur dafür zu werben, dass man ein bisschen differenziert. Denn selbst wenn man diametrale Positionen vertritt, gibt es trotzdem noch genügend Bereiche, in denen man konstruktiv zusammenarbeiten könnte.


    Der andere Aspekt ist dieser Punkt, für den mich viele virtuell (aber auf die nette) verkloppen wollen, was mich sehr freut. Warum zur Hölle trennen sich die beiden überhaupt? Warum kämpfen sie nicht für diese Beziehung? Ausgerechnet für diese Beziehung! Und so weiter.


    Diese Frage ist natürlich die Frage, auf die das Buch hinarbeitet, darum geht es. Eine Trennungsgeschichte - auch zwischen so Super-Leuten wie Clemens und Marie - wäre einfach nur eine Trennungsgeschichte wie viele andere. Katastrophe, Seitensprung, Schicksalsschlag, und dann geht es darum, wie man ohne den anderen auskommt, wie man wieder Vertrauen findet. In "Freitags" geht es um einen anderen Kipppunkt. Und es geht um die Frage, wie man die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, den enormen Wert dieser einmaligen Ressource gegen etwas stellt, das zwar immer noch gut ist, aber längst nicht mehr so wie früher. Diese Frage stellen sich viele überhaupt nicht, dabei ist man eigentlich ständig mit ihr konfrontiert, und deshalb wollte ich diesen Text schreiben.


    Wahrscheinlich ist „Freitags bei Paolo“ mein Lieblingsbuchvon Tom. Aber es ist immer gerade das letzte mein Lieblingsbuch, was auch damitzu tun haben kann, dass ich langsam älter werde. Und Tom auch.

    Sehr schön gesagt.


    Und trotzdem bin ich extrem gespannt darauf, was Du zum nächsten sagen wirst. Es erscheint in ungefähr acht Monaten. Mehr darf ich noch nicht sagen.

  • Warum zur Hölle trennen sich die beiden überhaupt? Warum kämpfen sie nicht für diese Beziehung? Ausgerechnet für diese Beziehung! Und so weiter.

    Das habe ich mich ja beim und nach dem Lesen auch gefragt - und frage es mich noch immer.


    iese Frage ist natürlich die Frage, auf die das Buch hinarbeitet, darum geht es. Eine Trennungsgeschichte - auch zwischen so Super-Leuten wie Clemens und Marie - wäre einfach nur eine Trennungsgeschichte wie viele andere. Katastrophe, Seitensprung, Schicksalsschlag, und dann geht es darum, wie man ohne den anderen auskommt, wie man wieder Vertrauen findet. In "Freitags" geht es um einen anderen Kipppunkt. Und es geht um die Frage, wie man die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, den enormen Wert dieser einmaligen Ressource gegen etwas stellt, das zwar immer noch gut ist, aber längst nicht mehr so wie früher. Diese Frage stellen sich viele überhaupt nicht, dabei ist man eigentlich ständig mit ihr konfrontiert, und deshalb wollte ich diesen Text schreiben.

    Das ist eine sehr gute Erklärung, warum das Buch so verlief, wie es eben verlief. Letztlich ist das nach meiner Meinung die Frage nach dem Sinn des Lebens - nicht daß ich auf diese Frage eine Antwort hätte, aber vielleicht ist es genau dieses, weshalb mich das Buch (nach fast einem halben Jahr!) noch immer beschäftigt.

    Was eigentlich nichts anderes bedeutet, als daß der Autor alles richtig gemacht hat. :anbet

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Letztlich ist das nach meiner Meinung die Frage nach dem Sinn des Lebens

    Das ist zutreffend. Aber nicht als allgemeine Frage, sondern als individuelle - was ist für mich der Sinn meines Lebens? Eigentlich aber würde ich das Wort "Sinn" (derja eine übergeordnete Instanz benötigt) durch einige andere ersetzen - zum Beispiel "Wert", "Qualität" usw. Ich gehe dieser Frage im kommenden Roman übrigens weiter nach und vertiefe sie. Tatsächlich kommt eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens da schon auf der zweiten Seite. :)

    Was eigentlich nichts anderes bedeutet, als daß der Autor alles richtig gemacht hat.

    Hach. Jetzt darf das Wochenende kommen. Danke! :anbet