Ich frage mich, wie die Autorin und der Verlag auf die Nachricht reagiert haben, dass 2005, kaum dass das Buch erschienen ist, Neuwahlen stattfinden würden. Damit kriegt dieses Buch nämlich einerseits eine grosse Aktualität ("wie geht es im Wahlkampf hinter den Kulissen zu?"), und andererseits ist es damit endgültig veraltet, denn im Mittelpunkt steht der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2002. Während im richtigen Leben Angela Merkel mit Gerhard Schröder hinter verschlossenen Türen um die Kanzlerschaft streitet, tritt SIE in Susanne Fenglers Roman zugunsten des "Herausforderers aus dem Süden" ins zweite Glied der eigenen Partei ab. Die Partei wird nie genannt - aber "so viel Union gab es nie".
Aber von vorne - ich klaue mal die Kurzbeschreibung eines Amazon-Rezensenten:
Miriam interessiert Politik eigentlich nur, wenn sie mindestens zweitausend Jahre alt ist. Unter der Dusche rezitiert sie altgriechische Verse. Beim Friseur trifft sie einen Mann, der sie fragt, was sie von IHM halte. Mit IHM ist der Kandidat aus dem Süden gemeint, der 2002 IHR die Kandidatur streitig macht. Kein Zweifel wer gemeint ist: Stoiber und Merkel. Zu beiden hat Miriam keine Meinung. Wohl aber zu Kalimachos. Der war der Hofpoet einer ptolomäischen Königin. Heute würde man sagen: Er war ihr PR-Manager. Und über ihn hat Miriam Schröder ihre Dokterarbeit geschrieben. Leider wurde diese abgelehnt, weil einer der Gutachter ihrem Doktorvater nicht grün war.
Miriam hat keine Ahnung, was sie von diesem Kampf um die Kanzlerkandidatur halten soll, also antwortet sie mit Kalimachos: "Er ist ein Intrigant." Kalimachos bezog das zwar auf Sosibios, den Konkurrenten der Königin Berenike, aber es trifft auch die aktuelle Lage am Hofe der Angela Merkel.
Bald findet sich Miriam in der Parteizentrale wieder. Denn ihre treffenden Kommentare zu dem aktuellen Geschehen, ihre prägnanten Artikel wecken Begeisterung. Dass diese von einem altgriechischen Dichter stammen, weiß keiner. Passen tun sie dennoch - oder grade deswegen.
So entwickelt die Autorin uns das Hofleben in Berlin, wie die Kontrahenten ihre Spielchen treiben und die eigenen Ambitionen mit Deutschland verwechseln.
Die Autorin (von der Verlags-Website)
Susanne Fengler, 1971 in Dortmund, geboren, ging zunächst an eine Schauspielschule in New York und studierte dann Kommunikationswissenschaft in Berlin. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zwei Jahre lang für eine große Partei. Sie lehrt Kommunikationswissenschaft in Zürich und lebt in Berlin.
Meine Meinung:
Nennt man sowas Schlüsselroman? Wenn haargenau die Realität abgebildet wird, ohne dass auch nur ein einziger Name genannt wird? Falls ja, ist er gelungen.
Es wäre leichter zu lesen gewesen, wenn ER und SIE Fantasienamen bekommen hätten - wer sie sind, weiss man ohnehin. Oder welche Naturwissenschaftlerin aus dem Osten Deutschlands wäre sonst jemals für einen Kanzlerposten im Gespräch gewesen? Inzwischen hat die Geschichte sie ja nun eingeholt, längst hat sie sich selbst der Wahl gestellt. Aber ihr Haar war damals schon ein wichtiges Thema in der Nation - genau wie "Das Haar der Berenike", das der treue Kalimachos zu preisen gelobt hat. Eigentlich ist es ja verrückt, eine Parallele zu ziehen zwischen den altägyptischen Ptolemäern und der Berliner Republik des 21. Jahrhunderts, aber bei Susanne Fengler funktioniert es!
Die Einschübe, in kursiv gesetzt, die Quellentexte darstellen sollen, fand ich schwer zu lesen und habe sie deshalb meistens nur überflogen, aber so viele waren es nicht, und ich bin sicher, dass mir da einiges an Parallelen und Spitzfindigkeiten entgangen ist. Was lehrt uns die Geschichte? Kann sie uns tatsächlich Hinweise auf das aktuelle Geschehen geben und einer Partei bei der Wahlkampfstrategie helfen? In diesem Buch kann sie - oder hätte gekonnt, wenn man auf sie gehört hätte? Miriam versucht es nach Kräften, aber sie hat's nicht leicht, einerseits inmitten der Partei-Mechanismen (in denen sie lediglich "als Frau und als Aussenstehende" einen Platz gefunden hat) und andererseits inmitten von Intrigen zwischen rivalisierenden "Erben" einer Altertumsprofessorin, die den Nachlass unter sich aufteilen mussten und mit allen Waffen um ihre Pfründe kämpfen, sodass Miriam zwischen die Ritzen fällt.
Man merkt, dass die Autorin selbst einen Wahlkampf begleitet hat - sie weiss genau, wovon sie schreibt. Wer weiss, wer ausser den bekannten Grössen sonst noch sein Fett abbekommen hat? Das alleine wäre aber noch kein Lesevergnügen - sie hat es geschafft, das Ganze in einen locker-leichten Roman zu packen... mir lockt es in den Fingern, ihn als "modernen Frauenroman" zu bezeichnen, denn das ist er - AUCH.
Batty - lesen.