'Glasgow Girls' - Seiten 188 - 281

  • Interessant in diesem Abschnitt immer wieder die Gedanken, dass man Frauenkleidung neu erfinden müsse und dass jeder Gegenstand doch schön gestaltet werden könne. Da wird einem erst bewusst, dass hier erst mal ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden musste und dass die Künstler ihren Teil dazu beigetragen haben. Wenn ich denke, wie wichtig es mir heute ist, wenn mein neuer Wasserkocher nicht nur Wasser kocht und gut zu reinigen ist sondern hübsch muss er auch noch sein. :grin Da hat sich doch viel getan.

    Zum einen hat sich in Bezug auf "Design" von Alltagsgegenständen sicher viel getan, auf der anderen Seite finde ich es sehr schade, dass gerade im Bezug auf Handarbeiten der Begriff "Kunst" völlig verschwunden ist. Im Buch kommt ja immer wieder zur Sprache, dass (hier) Stickerei Kunst ist und aus Kunst hervorgeht und diese Wertschätzung finde ich toll. Leider gibt es die heute gar nicht mehr, zumindest nehme ich es so nicht wahr. Die heutige Sichtweise auf Kunst finde ich sehr viel enger, als sie damals wohl war, was ich sehr schade finde. Oder habt ihr eine andere Wahrnehmung?


    Weiß jemand von euch, ob Handarbeiten im angelsächsischen Raum immer schon mehr wertgeschätzt wurden als hier bei uns bzw. das auch heute noch so ist? Wenn ich an Literatur denke, in denen textile Handarbeit hochgehalten wird, dann fallen mir spontan nur Bücher aus England/USA ein (Violet von Tracy Chevalier z. B.). Bauhaus wurde hier schon erwähnt, aber auch da denke ich an Architektur und bildende Kunst und nicht an Textilarbeit.

    Mich überrascht ein wenig, dass eine 18 jährige eine kleine Wohnung mieten kann, volljährig war man doch wohl in Schottland damals auch erst mit 21.

    Auch abgesehen davon empfand ich das Mieten einer eigenen Wohnung überraschend einfach für Olivia. War das damals gesellschaftlich so akzeptiert? Der Hinweis, dass es in ihrer Gesellschaftsschicht keine Anstandsdame gibt, fand ich gut und nachvollziehbar, allerdings ist das Alleinleben einer jungen Frau dann doch nochmal eine ganz andere Hausnummer.


    Das kritische Nachfragen von Miss Cranston muss sie sich meiner Meinung nach gefallen lassen. Diese weiß ja nichts vom Geldsegen und so muss es doch seltsam erscheinen, wenn sich Olivia, die sich nur durch ihre Förderung den Schulbesuch leisten kann, plötzlich den Luxus einer eigenen Wohnung leisten kann. Obwohl Olivia an sich sehr glücklich mit ihrer neuen Freiheit ist, ist ihr wohl selber nicht so ganz wohl mit der eigenen Wohnung - zumindest interpretiere ich ihre Geheimniskrämerei gegenüber Miss Cranston und auch Gabriel so.


    Gabriel ist wieder da und hat sich erstaunlich schnell und konfliktlos von seinem bisherigen Partner getrennt (oder dieser von ihm). Hmm, ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, was ich von ihm halten soll. :/Er ist sehr zuvorkommend zu Olivia, aber so ganz lässt er sich nicht ein auf sie. Ich kann aber gut damit leben, wenn die beiden ein Paar werden - Hauptsache Olivia wird (mit ihm) glücklich. Vielleicht braucht sie ja einen komplizierten Künstler. Optisch finde ich deinen Vorschlag Susanne Goga sehr gelungen - so toll habe ich ihn mir gar nicht vorgestellt. :grin

    Ja, sie hätte es der Chefin sagen können aber so ganz kann ich die aufkommende Krise nicht einordnen.

    Ich befürchte zwar auch, dass es einen Konflikt um Olivias Arbeiten geben wird (mit Olivia kann es ja nicht das ganze Buch nur aufwärts gehen ;)), mir geht es aber ähnlich wie hollyhollunder - ich kann es momentan nicht einordnen. Natürlich wäre es saudumm, wenn Olivias Arbeiten der Konkurrenz von Miss Cranston zugute kommen würden. Aber Olivia hat nichts falsches gemacht: sie hat "nur" ihre Entwürfe verkauft. Allerdings würde ich mir wünschen, sie würde mal darüber reden und nicht so ein Geheimnis draus machen - Verschwiegenheit hin oder her. Sie braucht es ja nicht an die große Glocke zu hängen, aber z. B. ein offenes Gespräch mit Miss Cranston (und die Gelegenheit dazu liegt ja jeden Monat auf der Hand!) würde es für Olivia sicher einfacher machen. Miss Cranston könnte ihr als erfahrene Geschäftsfrau sicherlich gute Tipps geben und die ganze Sache einordnen helfen!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Gabriel scheint Robinson ja zu kennen und ach schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Vermutlich hat das aber auch mit seiner Bisexualität zu tun und da will Gabriel natürlich nicht, dass Olivia etwas darüber erfährt, also warnt er sie auch nicht...

    So ähnlich befürchte ich es auch. Habe ich es richtig verstanden und Robinson war Lehrer am Slade in London? Geht man dann freiwillig von einer angesehenen Kunstschule in der Großstadt in die "Provinz", wo er sich auch noch sagen lassen muss, was er unterrichten soll? Oder musste er gehen?


    Die kassierten Provisionen bei der Vermittlung von Aufträgen sind mir da zu wenig, das ist wohl ganz normales Geschäftsgebaren. Und mein anfänglicher Verdacht, er würde Olivias Entwürfe als eigene ausgeben, hat sich nicht betätigt, da habe ich ihm Unrecht getan. Ich bin gespannt ...

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zum einen hat sich in Bezug auf "Design" von Alltagsgegenständen sicher viel getan, auf der anderen Seite finde ich es sehr schade, dass gerade im Bezug auf Handarbeiten der Begriff "Kunst" völlig verschwunden ist. Im Buch kommt ja immer wieder zur Sprache, dass (hier) Stickerei Kunst ist und aus Kunst hervorgeht und diese Wertschätzung finde ich toll. ...


    Bauhaus wurde hier schon erwähnt, aber auch da denke ich an Architektur und bildende Kunst und nicht an Textilarbeit.

    Textilkunst war auch ein größerer Ausbildungsbereich im Bauhaus.

    Zitat

    Bauhaus - textil

    Vor allem Frauen absolvierten eine Ausbildung in der Textilwerkstatt – auch, weil der Meisterrat des Bauhauses die wenigen anderen Werkstattplätze für angeblich besser geeignete Männer reservierte. Gunta Stölzl leitete die Werkstatt ab 1927, als Nachfolgerin von Johannes Itten und Georg Muche. Sie erarbeitete einen achtsemestrigen Ausbildungsgang, der ab 1929 mit dem Bauhaus-Diplom abgeschlossen werden konnte. Den Unterricht teilte sie in zwei Bereiche auf: „Die Entwicklung zum Gebrauchsstoff für den Innenausbau (Typen für die Industrie)“ und „Spekulative Auseinandersetzung mit Materie, Form, Farbe in Gobelin und Teppich“. Stölzls Nachfolgerinnen Lilly Reich und Otti Berger konzentrierten sich ab 1931 dagegen verstärkt auf die Zusammenarbeit mit der Industrie. Die in den letzten beiden Jahren des Bauhauses erschienenen drei Textilmusterbücher kamen jedoch zu spät für eine gewinnbringende industrielle Fertigung.


    Buch: bauhaus-textilien. kunst und künstlerinnen der webwerkstatt

    ASIN/ISBN: 3905514095

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Die heutige Sichtweise auf Kunst finde ich sehr viel enger, als sie damals wohl war, was ich sehr schade finde. Oder habt ihr eine andere Wahrnehmung?

    Das empfinde ich tatsächlich anders. Der Begriff Kunst wurde für mich tatsächlich durch die Medien und neue Techniken noch um viele neue Gesichter erweitert. Ja, natürlich hat sich da einiges verändert. Es geht heute oft weniger um die Grafik eines Tellers sondern mehr um das ganze Design, die Form, die Ergonomie etc. Das meinte ich mit meinem Wasserkocher-Beispiel. Kunst ist heute aber auch, wenn man ein Gebäude verhüllt oder fotografiert oder Körper bemalt. Das hätte früher sicher nicht als Kunst gegolten. Also zumindest nicht bei der Normalbevölkerung. Ich würde sagen, dass alles kurzlebiger geworden ist. Und das es oft wichtiger ist, dass es neu ist, als gut. Deshalb verschwinden viele Kunstformen schnell wieder in der Versenkung und machen immer neuem Platz. Vieles empfinde ich nur als "künstlich" aber nicht als Kunst. Aber für mich sind die Grenzen nicht enger sondern viel weiter als früher. (Immer auf den Normalo wie mich bezogen. Künstler hatten schon immer einen offeneren Blick.)

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Im Deutschen gibt es ja den Begriff "Kunstgewerbe", der immerhin noch Kunst beinhaltet, auch wenn Gewerbe dem so ein bisschen entgegensteht. Im Englischen gibt es "Applied Arts" oder "Decorative Arts" im Gegensatz zur "Fine Art", das war auch damals an der GSA schon so.

  • Danke für eure Gedanken zum Begriff "Kunst". :waveIch finde es interessant, was wir eigentlich als Kunst wahrnehmen und das Thema beschäftigt mich heute schon den ganzen Tag. Ich habe mich - angeregt durch Gucci s Beitrag etwas mit "Bauhaus" beschäftigt, ein Thema, zu dem ich zugegebenermaßen viel zu wenig weiß. Da bin ich im Wikipedia-Artikel zu Anni Albers, einer Textilkünstlerin des Bauhauses, über folgende Aussage gestolpert: „Das große Dilemma ihres Lebens hat Anni Albers selbst einmal auf den Punkt gebracht. ‚Wenn eine Arbeit mit Fäden entsteht, dann wird sie als Handwerk betrachtet; auf Papier wird sie als Kunst angesehen.‘“, so Hannah Pilarczyk 2018 im Spiegel. Genau das meinte ich und ich persönlich finde das sehr schade.


    Susanne Goga Danke für diese Informationen, so hat wohl jede Sprache ihre Möglichkeiten, Kunstformen voneinander abzugrenzen. Bei uns gibt es ja auch noch das "Kunsthandwerk", aber genauso wie das "Kunstgewerbe" empfinde ich den Begriff abwertender als nur "Kunst". Wobei aber doch eigentlich hinter (fast) jeder Kunst ein gewisses handwerkliches Können steht?


    Der Begriff Kunst wurde für mich tatsächlich durch die Medien und neue Techniken noch um viele neue Gesichter erweitert....Und das es oft wichtiger ist, dass es neu ist, als gut.

    Da hast du natürlich recht, an die ganzen "neuen" Kunstformen habe ich gar nicht gedacht. Da hat sich der Kunstbegriff durchaus erweitert. :thumbup:Wobei sich mir die Frage stellt, inwieweit das "dauerhafte" Kunst ist z. B. bei Christo und seinen verhüllten Gebäuden. Das empfinde ich durchaus als Kunst, aber ist es auch noch Kunst, wenn jetzt x-Leute anfangen, Gebäude zu verhüllen?


    Auf alle Fälle beschäftigt mich das Thema derzeit und wenn jemand einen weiterführenden Buchtipp dazu hat (am besten in Romanform), gerne her damit :grin.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Gabriel und Olivia kommen sich näher - einerseits finde ich das sehr schön, andererseits mache ich mir ein bisschen Sorgen um Olivia. Wird Gabriel ehrlich zu ihr sein und Olivia erzählen, dass er auch Männer liebt? Und wie wird Olivia damit klar kommen.

    Aber Gabriels Umgang mit Olivia mag ich, er ist zugewandt und wertschätzend und die Idee des "Geschenks des besonderen Ausblicks" hat mein kleines romantisches Herz höher schlagen lassen... Da bin ich wirklich sehr neugierig, wie sich die Beziehung zwischen den beiden weiterentwickeln wird... Und überhaupt auf das Ende...

    Darauf bin ich auch sehr gespannt - die beiden sind ja eindeutig auf einer Wellenlänge, also habe ich die leise Hoffnung, dass sie ihren Weg finden. Aber es wird sicher nicht einfach werden.


    Interessant in diesem Abschnitt immer wieder die Gedanken, dass man Frauenkleidung neu erfinden müsse und dass jeder Gegenstand doch schön gestaltet werden könne. Da wird einem erst bewusst, dass hier erst mal ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden musste und dass die Künstler ihren Teil dazu beigetragen haben.

    Das fand ich auch sehr interessant. Ich habe mir früher nie Gedanken darüber gemacht, wie sehr Kunst auch im Alltag eine Rolle spielt, Kunst ist eben nicht nur ein Bild, das man sich an die Wand hängt, sondern spielt auch eine ganz praktische Rolle. Und Frauenbekleidung ist dafür ein schönes Beispiel, ebenso wie die Gestaltung der Speisekarte, die Olivia als Auftrag übernommen hat, oder die Tischdecken, die sie für Allies Restaurant anfertigt.


    Olivias Entwicklung in diesem Abschnitt gefällt mir sehr - sie fühlt sich an der School of Arts immer wohler, integriert sich, schließt Freundschaften. Und es gelingt ihr, sich von ihrer Mutter abzunabeln, ohne dass das Verhältnis zu ihr darunter leidet. Ganz ehrlich, Respekt! Ich finde es bewundernswert, wie sie ihren Weg geht und dass sie sich nicht davon abbringen lässt.


    Mr. Robinson und seine "Aufträge" sind mir aber immer noch suspekt - sehr sonderbar, dass er so ein Geheimnis um seinen Auftraggeber macht. Und ich fürchte, da kommt ein Problem auf Olivia zu, wenn die Tischwäsche etc., die sie entworfen hat, in einem Teesalon benutzt wird, der quasi Konkurrenz zum Teesalon ihrer Gönnerin Miss Cranston ist. Hoffentlich hat sie sich damit nicht unwissentlich selbst geschadet.


    Wie schade, dass der kommende Abschnitt schon der letzte ist - aber natürlich will ich unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht.

  • Das fand ich auch sehr interessant. Ich habe mir früher nie Gedanken darüber gemacht, wie sehr Kunst auch im Alltag eine Rolle spielt, Kunst ist eben nicht nur ein Bild, das man sich an die Wand hängt, sondern spielt auch eine ganz praktische Rolle.

    Ja, Kunst ist so eine Mischung. Zum einen spiegelt es die jeweilige Zeit wieder. Zum anderen befeuert es neue Denkansätze und Veränderungen in der Gesellschaft. Mich faszinieren Menschen, die den Drang verspüren sich künstlerisch zu betätigen und dafür viele Mühen in Kauf nehmen.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)