Joachim Wollasch - Cluny - Licht der Welt
ASIN/ISBN: 3491690358 |
Zur Zeit, als der Salierkaiser Heinrich III. (1016 - 1056) über das Heilige Römische Reich (HRR) herrschte, erlebte die europäische Christenheit ihre erste tiefgehende Sinnkrise. Die Erfolge der Christianisierung und der damit verbundene Schwung schienen zu erlahmen, die Amtsträger der Kirche rückten in den Mittelpunkt der Kritik, ob ihrer Lebensweise und Amtsführung, der zunehmende Reichtum, vor allem der Abteien und der großen Orden, führte zu degenerativen Erscheinungen.
Im heutigen französischen Department Saone-et-Loire führte nun die Abtei von Cluny eine Reformbewegung an, die die gesamte christliche Welt erfassen sollte, obwohl diese Idee schon lange vorher entstanden war, zur Zeit Ottos des Großen.
Die Auswirkungen dieser Reformbewegung, die man auf den Nenner bringen könnte:
- Die Gemeinschaft der Gläubigen muss einfacher werden, ärmer werden, spiritueller werden, sie soll die Ausrichtung auf das Jenseits erhalten, weniger weltlich sein und sie soll endlich das Reich Gottes überall auf der Welt errichten, wo Menschen leben -
Kaum geringer als die Auswirkung der Französischen Revolution für die Neuzeit waren die Reformbewegungen von Cluny für das europäische Mittelalter. Auch wenn diese Bewegung in ihrem Ursprung keinesfalls progressiv war, sondern eher "reaktionär konservativ" ,eine fundamentalistische Bewegung.
Man wollte zu den apostolischen Prinzipien des Urchristentums zurückkehren. Man könnte es also eine "Back-to-the-Roots" - Bewegung nennen, zurück zu den einfachen Strukturen des apostolischen Christentums.
Diese Bewegung erreichte zu dieser Zeit, im 11/12. Jahrhundert aber bei weitem nicht nur die kirchlichen Einrichtungen, die Debatte mischte sich in fast alle Bereiche des täglichen Lebens ein und wurde von Anhängern und Gegnern so öffentlich und engagiert ausgetragen, wie heutzutage etwa die Klimadebatte.
Die cluniazensischen Reformer, fast ausschließlich aus den Reihen der Geistlichkeit, wandten sich vor allem gegen jede Einmischung in kirchliche Belange von außen, was noch welthistorische Folgen haben sollte.
Die Überzeugungskraft der Idee und ihrer Verfechter war groß, jedes Kloster sollte sich entscheiden, ob es nach der reformierten Weise leben wollte, eine Art basisdemokratische Abstimmung sollte darüber befinden. Der Erfolg war enorm.
Bis zum Ende der Regierungszeit Heinrichs III. unterwarfen sich ca. 2000 Klöster in Frankreich, Italien, Spanien, England und über das Elsass auch im Reich, dem Mutterhaus von Cluny, mit mehr als 20 000 Mönchen, es gab cluniazensische Bischöfe und der Einfluss auf Rom nahm rasch zu, so gab es bald auch cluniazensisch gesinnte Päpste.
"Simonie, Investitur, Zölibat" hieß das Motto der Bewegung.
Gegen Ämterkauf, Einsetzung von Geistlichen durch Laien und für die Ehelosigkeit von Priestern und Mönchen.
Diese zunächst unspektakulär klingenden Ziele führten tatsächlich zu erheblichen Erschütterungen und brachten das Gleichgewicht der politischen Kräfte ins Wanken.
So hatten weltliche Herrscher durchaus die Gewohnheit, Abteien und Bischofssitze zu vergeben und mit dem Erlös ihre Hofhaltung zu finanzieren ,beziehungsweise, ihren Einfluß zu vergrößern und Territorien zu arrangieren. Die Reformer forderten, nur die Kirche dürfe geistliche Ämter vergeben.
Die weltlichen Machthaber verfügten bis dahin aber über eine riesige Anzahl von Kirchen und Klöster, die sie mit reichen Stiftungen und Schenkungen ausstatteten. Das waren Lehens- also Eigentumsverhältnisse - die "Eigenkirchen" und "Eigenklöster", die einen erheblichen Teil der Machtbasis der Herrscher ausmachten.
Die zukünftigen Konflikte über Spolien und Regalien, wie die Investitur etwa, waren also vorprogrammiert. Der sich durch das gesamte weitere Mittelalter ziehende Dualismus Kaiser - Päpste, oder Herrscherhaus - Kirche, nahm hier direkt seinen Ursprung.
Die dritte Forderung von Cluny, der "Zölibat", war zum ersten Mal von Papst Gregor I. (Dem Großen) erhoben worden, wurde aber nie etabliert und sehr locker gehandhabt. Sowohl der niedere Klerus lebte mit Ehepartnern oder in Lebensgemeinschaft zusammen, wie es auch in vielen Klöstern Ehepaare gab, viele Jahre ignorieren die kirchlichen Amtsträger das Keuschheitsgebot der Mönche und Priester.
Die Cluniazenser nun erklärten die Priesterehe zur Todsünde und erreichten, das jeder Kleriker bei Androhung des Bannes seine Frau zu verlassen hatte. Die Priesterehe sei einem Konkubinat gleich. Wer sich weigerte, wurde einem Untersuchungsausschuss vorgeführt.
Fazit:
Für die weitere Entwicklung in der Geschichte, vor allem der des HRR, war das Entscheidende bei der Reformbewegung von Cluny die politische Aufwertung des Papstes und der Papstkirche und die damit korrespondierende Abwertung der weltlichen Autorität. Das hat Wollasch klar erkannt, es ging hier zwar um kirchliche Belange, aber mit dem Hintergrund der Machtpolitik. Der dem Kaiser zu leistenden Treueeid wurde als unvereinbar mit dem Mönchsgelübde erklärt. Die Kirche solle sich der weltlichen Macht entziehen um selbst stärkste weltliche Macht zu werden. Der Papst solle sich zum Kaiser verhalten, wie die "Sonne zum Mond".
Das Sinnbild war die nun eingeführte Doppelkrone Tiara:
Zeichen der Vorrangstellung von Kirche und Papst vor Kaiser und König.
Die Cluniazensischen Bewegungen waren, wie alle fundamentalistischen Bewegungen, ein Krisensymptom.
Sie waren Zeichen einer allgemeinen Sinnkrise in der europäischen Christenheit. Aber wie alle Fundamentalisten, waren auch die Cluniazenser antifreiheitlich, modernisierungsfeindlich und autoritär.
Der Hintergrund war eben nicht rein spirituell, er war auch politisch. Diese Ideen befeuerten die ab 1099 propagierten Kreuzzüge,vereinheitlichten den christlichen Glauben auf dogmatische Weise und führten zu Verwerfungen im Gefüge der Gesellschaften.
Dabei waren die Motive durchaus ehrenhaft, die spirituelle Substanz fraglos unverfälscht, aber eben auch zutiefst antiliberal.
Eine ganz ausgezeichnete Vorstellung der Ideen von Cluny, die viel Licht in die Probleme bringt, mit denen die katholische Kirche bis in die Jetztzeit zu kämpfen hat und die doch Altlasten und Schlacken einer ehemals großen Idee sind.
Joachim Wollasch war Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster und ist einer der führenden Cluny - Forscher der Welt.