Sonntag im Spätherbst

  • Ines, es kam mir absolut nicht auf einen Vergleich an! Ich wollte zum Ausdruck bringen, daß ich mich bremsen muß, weil sofort die diversen Schwäne aus der Geschichte der Lyrik bei mir anklopfen. :grin
    Keine Bange, ich kann das.


    Und mit der Hälfte des Lebens hast du natürlich recht. :wave


    Blaustrumpf, es geht mir noch nicht mal um die Metaebenen -- es geht nur um die Sprache. Dieses »die sich sammeln an dem Wehr« fließt nicht beim Hören, zumal man ja nicht "an dem" sagen würde, sondern "am". Verstehst du mich jetzt?
    Es klingt für mich in dieser Zeile nach Abzählreim. Ich denke, wenn du genauer hinhörst kannst du das -- mit oder ohne Bezug zu Hölderlin oder Celan -- viel besser. :wave

  • Hallo, Ines


    Wer weiß schon, was alles unterbewusst assoziiert wird, wenn es ans Dichten geht – oder gar ans Lesen …


    ;-)


    Natürlich hatte ich auch gar nicht vor, mich in den Vergleich mit Hölderlin zu begegen. Mein Thema ist auch sehr viel kleiner. So im Nachhinein zu denken "hätte ich doch etwas anderes gepostet", ist selbstverständlich wohlfeil.


    Dankeschön für den französischen Beitrag. Der ist hammerhart, auch wenn Klischeeforscher die Funktion des Regens dort vermutlich gerne untersuchen würden.


    Wie kannst du eigentlich behaupten, du hättest keine Ahnung von Lyrik, wenn du solche Dichter wie die von dir genannten schätzt?


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • @Blaustumpf


    ich lese sie einfach nur gern, aber ich habe keine Ahnung von Metrik und all den anderen Sachen, die man dazu noch wissen könnte.


    Ich habe mich mal vor vielen Jahren am Leipziger Literaturinstitut beworben. Zwar bin ich in die Auswahlkategorie gekommen, die persönlich eingeladen wurden, aber dann traf ich dort auf Rainer Kirsch, der meine Lyrik- und Metrikkenntnisse prüfen wollte. Er gab mir ein Gedicht von Rilke, das ich damals noch nicht kannte. Die Flamingos. In jeder zweiten Zeile fehlte ein Wort, das ich ersetzen sollte. Oh, ich bin mit Pauken und Trompeten durch diesen Test geknallt, weil ich immer nach Reimen gesucht habe. Ich werde heute noch rot vor Scham, wenn ich daran denke. So heftig durchgefallen, dass ich die anderen Tests gar nicht erst machen musste. Naja, seitdem halte ich den Schnabel, wenn es um Lyrik geht.


    Gruß von Ines

  • Ihr Lieben und Guten (und alle anderen, die sich bis hierhin durchklicken)


    Uff, da schwant mir etwas: Ich habe eine Vorliebe für Symmetrie. Die Schlusszeile der 2. Strophe und die der 4. haben beide den gleichen "Hüpfer".


    die sich sammeln an dem Wehr – nur die Sehnsucht, die blieb hier.


    Nun habe ich den Modder im See mal durchschnorchelt. Was passiert wenn ich die bemängelte Schwanenbesammlung (Achtung! Helvetizismus!) nicht an dem, sondern vor dem Wehr stattfinden lasse?


    Setzt da das große "Ja, aber" ein? Oder kann Verdichten wirklich so einfach werden?


    Schöne Grüße von blaustrumpf


    * * *


    Sehnsuchtsmüde steh’ ich wieder
    und alleine an dem See.
    Wellen summen ihre Lieder,
    in der Luft riecht es nach Schnee.


    Gestern ging ich noch mit Plänen,
    mutig und gestärkt einher,
    heute schau ich nach den Schwänen,
    die sich sammeln vor dem Wehr.


    Mit den Enten rechten Kinder,
    wer den letzten Brocken kriegt.
    Sieht wohl auch ein braver Finder,
    dass ein Herz im Wasser liegt?


    Warf dir zu im hohen Bogen,
    was dir lieber schien als mir,
    doch du bist davongezogen,
    nur die Sehnsucht, die blieb hier.


    Engumschlungen Pärchen wandern
    zu dem Gasthaus hinterm See.
    Ich find' dort, wie auch die andern,
    statt Geborgenheit nur Tee.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von Ines
    Oh, ich bin mit Pauken und Trompeten durch diesen Test geknallt, weil ich immer nach Reimen gesucht habe. Ich werde heute noch rot vor Scham, wenn ich daran denke. So heftig durchgefallen, dass ich die anderen Tests gar nicht erst machen musste.


    Da hat dieser -- Entschuldige bitte! -- Blödmann dich abschmettern lassen, weil du dich in der Metrik nicht auskennst? Mit Rilke?
    Was glauben die am DLL eigentlich, für wen Dichter dichten und Autoren schreiben? Für 's Feuilleton? :lache


    Die leben ja echt noch im 19. Jh. -- und das war wirklich eines der finstersten Zeiten der Menschheitsgeschichte! :lache

  • Hallo, Ines


    Rainer Kirsch?


    :grin


    Mit anderen Worten: Du Arme.


    Mitleidige Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Sieht schon flüssiger aus. :-)


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Engumschlungen Pärchen wandern
    zu dem Gasthaus hinterm See.
    Ich find' dort, wie auch die andern,
    statt Geborgenheit nur Tee.


    Eine Kleinigkeit: Ich (!) würde aus Gründen der Betonung »Pärchen, engumschlungen, wandern« schreiben -- aber wahrscheinlich geht da wieder meine Liebe zu Goethens Dichtung mit mir durch ... :lache

  • Hallo, Iris


    Da bin ich aber schwer erleichtert.
    :-]


    In Sachen Goethen: Wahrscheinlich.


    ;-)


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Nur mal ein Tip von einer, die es mit der Metrik hat (aber selber nicht dichtet, weil sie einen Heidenrespekt vor dem Können hat, Inhalte zu verdichten, indem man Sprache bindet):


    Du neigst zu einem wechselnden Rhythmus (iambisch, trochäisch) und vor allem zu Mittelzäsuren (Wortgrenzen in der Versmitte), bei denen der Wortanfang mit einer betonten Silbe zusammenfällt -- deshalb kam ich auch darauf, »Engumschlungen | Pärchen wandern« gegen »Pärchen, engumschlungen, wandern« auszutauschen. :-)
    Zäsuren wirken eigentlich nur, wenn sie nicht mit den metrischen Grenzen zusammenfallen, da sie für einen Fluß sorgen, die Stimme über die metrischen Einheiten hinweg weiterziehen.
    Dasselbe gilt für Periodenenden (also Enden von Sätzen, Nebensätzen, Sinnabschnitten) am Versende.


    Das nur mal als Anregung zum Experimentieren. Ich finde sehr interessant, Inhalt, Sprache und Metrum in ein Spannungsverhältnis zu bringen. Dazu muß es sich nicht reimen -- ich denke, diese Technik kann man nutzen, muß aber nicht. Anders der Rhythmus ... da bin ich halt eigen. :-)

  • Ich verstehe nicht:


    warum Wellen summen


    warum Schwäne Plänen widersprechen


    warum ein sehnsüchtiges Herz einen braven Finder braucht


    warum die Pärchen, die doch engumschlungen gehen, wie auch die andern nur Tee finden


    und warum das Versmaß zwischen George und Eugen Roth pendeln muß

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Hallo, magali


    Es wird vermutlich an der normativen Kraft des Faktischen liegen. Mit anderen Worten: Ist eben so.


    Wenn es für dich nicht plausibel genug dargestellt ist, ist das natürlich beklagenswert.


    Allerdings finde ich die Stelle nicht, wo die Schwäne Plänen widersprechen. Ich behaupte auch nirgendwo, dass das Herz sehnsüchtig sei oder einen wie auch immer veranlagten Finder brauche.
    Und vermutlich pendelt das Versmaß noch zwischen ganz anderen AutorInnEn.


    Mit anderen Worten: Schade, dass du keinen Zugang dazu findest. Aber das macht nichts. Vielleicht gelingt es mir ja mit einem anderen Text.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Blaustrumpf


    ein Gedicht spannt einen Bogen. Erzählt etwa ganz verdichtet, konzentriert, mit einen Minimum an Worten.


    Der Bogen reicht bei dir immer nur wenige Zeilen weit. Dann bricht er ab. Und beginnt neu. Mit neuen Assoziationen.


    Jemand wurde verlassen. Ist allein. Spätherbst.
    Hört Wellenschlag, Schnee liegt in der Luft.


    WAS ist das? Etwa endet. Aber die Wellen sind IMMER.
    Das ist ein Bild für Dauer.


    Summen tun sie nicht. Nie. Auch nicht in der Schweiz.


    Gestern Pläne.
    Heute??
    Wofür stehen die Schwäne?
    Sehnsucht nach dem Leben als Paar?
    Wirkt konstruiert, weil man von Schwäne allgemein und als Gruppe auf die Tatsache rekurrieren muß, daß Schwäne Paare bilden bis zum Tod.
    Wenn man außer Acht läßt, daß sie um diese Jahrezeit nicht mehr auf dem Wasser sind.


    Das 'brav': ein ehrlicher Finder? Ein Rückgriff auf eine altmodische Bedeutung um des Versmaßes willen?
    Warum steht der Satz da, wenn es nicht um das Herz geht?



    Und der letzte Vers bleibt unverständlich. Kein Wunder, daß ihn die LeserInnen bisher eher witzig fanden.
    Was bei der Schwere des Themas, die ja auch das Versmaß ausdrücken soll, schade ist.


    Warum finden die Pärchen 'nur' Tee? Sie haben Zweisamkeit, ihnen ist der Tee entweder wurscht oder er VERSTÄRKT ihr Glück. Durch die Wärme z.B., die das Wort assoziiert.
    Das lyrische Ich aber ist allein.
    warum also: wie [U]auch[/]die andern?


    Wer sind die andern???


    Es geht nicht um platte Plausibilität.
    Es gibt jedoch eine 'lyrische Logik'. Die vermisse ich.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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