Sonntag im Spätherbst

  • Sehnsuchtsmüde steh’ ich wieder
    und alleine an dem See.
    Wellen summen ihre Lieder,
    in der Luft riecht es nach Schnee.


    Gestern ging ich noch mit Plänen,
    mutig und gestärkt einher,
    heute schau ich nach den Schwänen,
    die sich sammeln an dem Wehr.


    Mit den Enten rechten Kinder,
    wer den letzten Brocken kriegt.
    Sieht wohl auch ein braver Finder,
    dass ein Herz im Wasser liegt?


    Warf dir zu im hohen Bogen,
    was dir lieber schien als mir,
    doch du bist davongezogen,
    nur die Sehnsucht, die blieb hier.


    Engumschlungen Pärchen wandern
    zu dem Gasthaus hinterm See.
    Ich find' dort, wie auch die andern,
    statt Geborgenheit nur Tee.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Gefällt mir, die Stimmung ist gut eingefangen in sprachlichen Bildern und die letzte Zeile zeigt Humor. :-)


    Nur den Begrifft rechten (mit den Enten rechten Kinder) kannte ich noch nicht. Ist das schweizerisch?

  • Zitat

    Original von Wilma Wattwurm
    Nur den Begrifft rechten (mit den Enten rechten Kinder) kannte ich noch nicht. Ist das schweizerisch?


    Hallo, Wilma


    Es freut mich natürlich , dass dir das gefällt. Ich danke auch fürs Nachfragen: "Rechten" ist ein anderes - wenn auch schon älteres - Wort für "Streiten". Es stellt nichts speziell Schweizerisches dar.


    Ja, und warum schreibe ich nicht "streiten"?
    Weil ich "rechten" für treffender halte. Ich wollte diesen speziellen, schon fast heiligen Ernst andeuten, mit dem Kinder beim Entenfüttern darauf achten, dass nicht der schnellste und gierigste Vogel den größten Teil bekommt (auch wenn das Thema der Verse natürlich nicht die Entsorgung altbackenen Brotes ist).


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Hallo, Blaustrumpf.


    Bin kein Lürikfreund und/oder -kenner, aber bei Gedichten, deren Reimzwang offensichtlich inhaltliche Zugeständnisse gemacht wurden, zerreißts mich immer. Sowas zum Beispiel:


    Gestern ging ich noch mit Plänen,
    mutig und gestärkt einher,
    heute schau ich nach den Schwänen,
    die sich sammeln an dem Wehr.


    Das "mit Plänen mutige und gestärkte einhergehen" (da stimmt doch was nicht, oder? "einhergehen" bezeichnet das gleichzeitige Auftreten zweier Dinge, aber Du meinst eher "dahergehen", m.E., aber auch das ist recht krude) stellt offensichtlich das Gegenteil zu "nach den Schwänen schauen" dar, sonst würde es nicht in dieser Art aufeinanderfolgen. Äpfel und Birnen, Äpfel und Birnen, hätte mein Deutschlehrer ins Klassenzimmer gebrüllt. Und danach gefragt, welche Bilder so eine Strophe enthält, die sich finden lassen und etwas bedeuten. Ich fürchte, zum Beispiel an dieser Stelle nicht allzu viel. Derlei findet sich mehrfach in diesem Gedicht. Das Ende mit dem Tee fand ich sehr lakonisch-ironisch, im Gegensatz zum Rest.


  • Spinnchen...weiß ich doch... :knuddel1... :grin


    Nee, ich überleg die ganze Zeit, woher mir der Stil bekannt vorkommt?...Rilke? Kästner? Ringelnatz?


    Ich kenn nicht allzu viel Lyrik bisher ... aber ich find die Verse recht locker, flockig geschrieben ... und Melancholie mag ich sowieso recht gern mal...ist so ein Schweben für mich zwischen Weinen und Lachen ... beruhigt die Seele irgendwie und ist gesund.


    Ähem, naja...sorry, ich kann mich nicht so gut ausdrücken wie Schriftsteller und Dichter ... *schäm*


  • Hallo, Tom


    Schön, dass du dich trotz bekennender Natur als Nicht-Lyrikfreund so zum Sachwalter der lyrischen Sprache machst. Ich danke dir für deine Mühe.


    Tatsächlich meine ich "einhergehen" und nicht "dahergehen". Im Sprachraum, in dem ich mich derzeit befinde (und in dem die Verse entstanden), ist "daher" als Verb-Bestandteil ein meist abwertend gemeinter Zusatz "zur Verstärkung der Grundbedeutung" (siehe das als Fußnote verlinkte Lexikon).


    Nicht "das Gehen an sich" soll in den von dir zitierten Zeilen als "mutig und gestärkt" aufscheinen, ich beschreibe vielmehr damit das "lyrische Ich". Es freut mich, dass dir der Wechsel vom Aktiven (Gestern) zum Kontemplativen (Heute) aufgefallen ist. Noch mehr freut mich allerdings, dass mir ein brüllender Deutschlehrer erspart blieb.


    Weniger schön ist es natürlich, dass du eine solche "Sprachsozialisation" durchlaufen musstest. Aber vielleicht liegt es ja auch an ihr, dass du dich trotz bekennender Natur als Nicht-Lyrikfreund so zum Sachwalter der lyrischen Sprache machst?


    Also, danke für deine Mühe. Mal schauen, ob und wie ich diesen brennenden Eifer in anderen Texten auch zum Aufleuchten bringen kann.


    :-)


    Schöne Grüße von blaustrumpf


    * * *


    Hallo, Rosenstolz, Little Fairy und Ikarus


    Danke auch für eure Kommentare.


    :-)


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Hallo, Blaustrumpf.


    Zitat

    Tatsächlich meine ich "einhergehen" und nicht "dahergehen". Im Sprachraum, in dem ich mich derzeit befinde (und in dem die Verse entstanden), ist "daher" als Verb-Bestandteil ein meist abwertend gemeinter Zusatz "zur Verstärkung der Grundbedeutung" (siehe das als Fußnote verlinkte Lexikon).


    Die Anmerkung hatte die Stoßrichtung "im Sinne von", und war kein Ersetzungsvorschlag. "Einhergehen" bedeutet jedoch, ohne daß ich ein Lexikon der Wortbedeutungen zu Rate ziehen muß, daß Ereignisse gleichzeitig geschehen. "Der Sonnenuntergang ging mit Verdunkelung einher." Ich kann nicht erkennen, wie sich die zitierte Strophe mit dieser Bedeutung in Übereinstimmung bringen läßt.


    Zitat

    Nicht "das Gehen an sich" soll in den von dir zitierten Zeilen als "mutig und gestärkt" aufscheinen, ich beschreibe vielmehr damit das "lyrische Ich".


    Das sogenannte "lyrische Ich" kann man vereinfachend (in der Prosa) als "Erzähler" bezeichnen, es ist die Stimme des Gedichts, entpersonifiziert sozusagen, nichtsdestotrotz durchaus ein Subjekt in Verbindung zu einer Person. Das alles hilft mir aber beim Verständnis des "mit Plänen mutig und gestärkt einhergehens" nicht. Danke für jeden Tip. :wave

  • Zitat

    Original von Tom
    "Einhergehen" bedeutet jedoch, ohne daß ich ein Lexikon der Wortbedeutungen zu Rate ziehen muß, daß Ereignisse gleichzeitig geschehen.


    Hallo, Tom


    So kategorisch wie du "einhergehen" auf diesen einen Bedeutungskreis einschränkst, kann ich das nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich einer Region lebe, die stark mundartlich geprägtes Deutsch (in verschiedenen Ausprägungen) spricht.


    Daher schlage ich vor, dass wir uns an dieser Stelle darauf einigen, unterschiedliche Deutsch-Varianten zu pflegen, und die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.


    :wave


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von blaustrumpf ()

  • Offen gestanden fand ich das "einhergehen" zwar etwas archaisch, aber keineswegs unpassend. Ich kenne das durchaus in der Bedeutung "vor sich hin gehen", wobei das heute im Sprachgebrauch übliche "einhergehen mit" eigentlich eine metaphorische Bedeutungsvariante ist. :wave


    Allerdings hat es mich bei »den Schwänen, // die sich sammeln an dem Wehr« geschüttelt. Das klingt meiner Ansicht nach wirklich gezwungen ...


    Wobei ich angesichts von Schwänen immer hellhörig werde, weil sich da geradezu automatisch eines meiner Lieblingsgedichte meldet ...

  • Huhu, Blaustrumpf.


    Zitat

    Daher schlage ich vor, dass wir uns an dieser Stelle darauf einigen, unterschiedliche Deutsch-Varianten zu pflegen, und die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.


    Einzerstanden (das sagt man hier :grin).


    Iris : Ich habe das mit den Schwänen, glaube ich, jetzt verstanden. Die Erzählfigur (bzw. die erzählte Figur, wir haben es ja mit einem lürischen Ich zu tun) konstruiert eine Konnexion zwischen der Planhaftigkeit des erzählten Ichs und der Planlosigkeit der Schwäne, die sich am Wehr sammeln, ohne Intention (abseits vom Instinkt), und das Wehr ist zugleich ein Bild für die Schutzbedürftigkeit der (jungfräulich-weißen) Planlosen. Oder irre ich? :lache

  • Hallo, Iris


    Gut, ich denke darüber nach, wie ich deines Schüttelreflexes wehren könnte.


    Schöne Grüße von blaustrumpf,
    die sich fragt, ob du eher an Hölderlin oder an Celan denkst beim Thema "Schwäne"

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Blaustrumpf, es ist der Hölderlin, Celans Eisbewimperter paßt für mich hier nicht. ;)


    Zitat

    Original von Tom
    Oder irre ich? :lache


    Das meinte ich nicht. Bei mir spreizt sich die Formulierung »die sich sammeln an dem Wehr« arg ein, quasi "aus metrischen Gründen" gestelzt ausgedrückt, und dann die Zäsur in Mitte (»die sich sammeln [Zäsur] an dem Wehr«). Diese Konstruktion kann ich nicht als "metaphorisch" durchgehen lassen! :lache

  • Soderla, der Reihe nach


    Hallo, Melkat


    In Sache Ville: Sagst du Wille oder Fille? Das war nämlich eines der Lieblingssteckenpferde eines meiner Lehrer in der Grundschule, wenn er zum Thema "Heimatkunde" kam.


    ;-)


    Danke für deinen Kommentar, sagt blaustrumpf


    * * *


    ät Tom


    :lache


    Schöne Grüße von blaustrumpf


    * * *


    Hallo, Iris


    Das Problem lässt sich aber nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen, dass ich behaupte, es handle sich um real existierende Schwäne, die eine ihnen zugedachte Metaphernfunktion nie im Leben realisieren werden?


    Auf jeden Fall habe ich nun endgültig gelernt, dass ich besser nicht (Kunst-)Lieder höre, bevor ich mich ans Reimen mache, ob der dem mehr oder weniger geneigten Publikum nicht mehr vertrauten Sprachmittel, die sich in klammheimlicher Freude in mein Schreiben einschleichen.


    :grin


    Schöne Grüße von blaustrumpf


    APOKYKNOSIS
    is for the birds

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Iris ,


    meinst du das?


    Mit gelben Birnen hänget
    Und voll mit wilden Rosen
    Das Land in den See,
    Ihr holden Schwäne,
    Und trunken von Küssen
    Tunkt ihr das Haupt
    Ins heilignüchterne Wasser.

    Weh mir, wo nehm ich, wenn
    Es Winter ist, die Blumen, und wo
    Den Sonnenschein,
    Und Schatten der Erde?
    Die Mauern stehn
    Sprachlos und kalt, im Winde
    Klirren die Fahnen.


    Ich bin mir wahrhaftig nicht sicher, ob man Blaustrumpfs Gedicht mit dem von Hölderlin vergleichen sollte. Mir scheint, ihr geht es um etwas anderes. Die Tonalität ist besonders in der letzten Zeile weit weg von Hölderlin.
    Ich habe nicht die geringste Ahnung von Lyrik, obwohl ich bekennender Hölderlin-, Rilke-, Neruda-, und Prevertfan bin und möchte deshalb auch keine Kommentare zu Blaustrumpfs Gedicht beisteuern. DAs kann ich schlichtweg nicht. Jedoch hat mich Prevert gelehrt, wie man mit ganz einfachen Worten ganz viel sagen kann und wie gut sich damit Stimmungen beschreiben lassen.
    Blaustrumpf, sprichst du Französisch? Hier ein kleiner Sonntagsgruß offtopic ohne jedwede Hintergedanken außer vielleicht dem, dass der Text euch erfreuen möge:


    Dejeuner du matin


    Il a mis le cafe`
    Dans la tasse
    Il a mis le lait
    Dans la tasse de cafe´
    Avec la petite cuiller
    Il a tourne´
    Il a bu le cafe´au lait
    Et il repose´la tasse
    Sans me parler
    Il a allume`
    Une cigarette
    Il a fait des ronds
    Avec la fumee´
    Il a mis les cendres (Asche abstreifen)
    DAns le cendrier
    Sans me parler
    Sans me regarder
    Il s`est leve´
    Il a mis
    Son chapeau sur sa tete
    Il a mis
    Son manteau de pluie
    Parce qu`il pleuvait
    Et il est partie
    Sous la pluie
    Sans une parole
    Sans me regarder
    Et moi j`ai pris
    Ma tete dans ma main
    Et j`ai pleure`.