Alain Claude Sulzer, Doppelleben

  • ASIN/ISBN: 386971249X

    Klappentext:

    Ein grandioser Roman über die letzten Jahre der zwillingsgleich lebenden Brüder Goncourt und das Doppelleben ihrer Haushälterin, inmitten von Glanz und Elend im Paris zu Zeiten Napoleons III.

    Der Roman nimmt uns mit zu Jules und Edmond de Goncourt, die alles teilten: das Haus, die Gedanken, die Arbeit, die Geliebte. Zu zweit gingen sie zum Treffen mit Flaubert, Zola und anderen Künstlern ins Palais der Cousine des Kaisers, in Ausstellungen und zu Restaurantbesuchen mit Freunden und Bekannten. Und danach lästerten sie ab über alle, die sie getroffen hatten, im geheimen Tagebuch, das sie gemeinsam führten. Berühmt-berüchtigt waren sie für ihren Blick, dem angeblich nichts entging, und ihre spitze Feder, die alles notierte. Bis Jules unheilbar erkrankte …

    Und der Roman nimmt uns mit in die Gegenwelt: zu Rose, ihrer Haushälterin, die zum Hausstand gehört wie ein Möbelstück. Die unbemerkt von den Brüdern existenzielle Dramen durchlebt, sich hoffnungslos in den Falschen verliebt und von ihm schamlos ausgenutzt wird, die ein Kind austrägt, ohne dass die Brüder es bemerken, es gebiert, liebt und später auch verliert; die Trinkerin wird und ihre Dienstherrn hintergeht und bestiehlt, ohne dass diese es merken. Bis sie stirbt und den Brüdern ein Licht aufgeht …

    Ein packendes Epochengemälde in Lebensläufen, die gegensätzlicher kaum sein können.


    Zum historischen Hintergrund:

    Die beiden Brüder Edmond und Jules de Goncourt stammten aus einer vermögenden Familie und lebten ihr Leben lang ausschließlich für ihre Interessen, hauptsächlich die Literatur. Sie lebten und arbeiteten fast symbiotisch zusammen, teilten sich sogar ihre Geliebte. Mit ihrem literarischen Interesse für die niederen Stände gelten sie als die Begründer des Naturalismus.

    Ein besonderes Zeitdokument ist das Tagebuch (ab 1851), das beide Brüder verfassten und das Edmond, der ältere Bruder, nach Jules‘ Tod noch 25 Jahre alleine fortführte. In diesem Tagebuch nehmen die Beiden kein Blatt vor den Mund. Sie beobachten scharf und mitleidlos, notieren unbestechlich genauestens Intimitäten ihres Freundeskreises, zu dem die wichtigsten Literaten ihrer Zeit und auch die Prinzessin Mathilde, Nichte Napoleons und Kusine des Kaisers Napoleon III., gehörten. Das vollständige Tagebuch erschien 2013 erstmals auf Deutsch und ist die Quelle für Sulzers Roman.

    Der Prix Goncourt ging aus einer Stiftung Edmonds Goncourts hervor und gilt inzwischen als der begehrteste Literaturpreis Frankreichs.

    Mein Lese-Eindruck:
    Selten hat mir ein Romantitel so gut gefallen wie „Doppelleben“. Dieser Titel trifft in mehrfacher Weise zu, und zwar auf jeden der verschiedenen Handlungsstränge. Die kapitelweise miteinander verschränkt werden.

    Zunächst betrifft „Doppelleben“ das symbiotische Zusammenleben und -arbeiten der beiden Brüder Goncourt. Jules‘ Syphilis-Erkrankung wird von seinem älteren Bruder beharrlich geleugnet, und hier gelingen Sulzer sehr empathische und berührende Szenen, wenn er die Sorge und auch die Verzweiflung Edmonds erzählt, der sich mit dem geistigen Verfall seines Bruders nicht abfinden kann.

    „Doppelleben“ betrifft aber auch die Magd Rose, die seit den Kindheitstagen der Brüder im Haus lebte und sie wie eine Mutter aufopferungsvoll versorgte. Erst nach ihrem Tod erfahren die Brüder von ihrem Doppelleben: sie hatte sich verschuldet, gestohlen und betrogen, um ihren jungen Geliebten zu finanzieren, dem sie hörig war. Beide Brüder mussten erkennen, dass sie, die so stolz auf ihre scharfe Beobachtungsgabe waren, bei den Tragödien in ihrer direkten Umgebung blind waren. Typisch für sie: sie beschließen einen professionellen, d. h. ästhetischen Umgang mit dem Erlebten und schreiben den Roman Germinie Lacerteux, in dem sie das Leben einer Frau der niederen Stände mit allen abstoßenden Facetten thematisieren.

    „Doppelleben“ betrifft aber auch die Zeit, in die der Autor seinen Leser mitnimmt. Es ist die Zeit Napoleons III., wir erleben den Glanz der Salons, üppige Festmähler und opulente Vergnügungen – und auf der anderen Seite das Elend der Unterschicht: gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, Alkoholismus, Kriminalität, Prostitution. Sulzer verschränkt beide Seiten der Gesellschaft. In Erinnerung bleibt eine pointierte Szene, als im Salon der Prinzessin ein Arzt dieses Elend ins Gespräch bringt, was von der champagnertrinkenden Gesellschaft jedoch als „degoutantes Hirngespinst" abgetan wird.

    Sulzers Buch besticht nicht nur durch die genaue historische Recherche, sondern auch durch die immer ruhige, fast behäbig-altmodische Sprache, in der er erzählt. Dramatisches wechselt mit Lyrischem, Anekdoten aus den Tagebüchern sorgen für Kurzweil. Sulzer erzählt seine Geschichte mit Empathie, ohne larmoyant zu werden, und so gelingt ihm ein spannender Roman, der eine starke Sogwirkung entfaltet.

  • Es freut mich sehr, dass dieses Buch hier vorgestellt wurde.

    Alain Claude Sulzer ist ein Autor, den ich aufgrund seines eleganten Stils schätze. Vor allen bei seinem Roman „Aus den Fugen“.

    Sulzer ist ein kluger, geschickter Autor, ohne dass seine Romane dadurch zu konstruiert wirken.

    Und es gibt Szenen in Doppelleben, die auch Wochen nach dem Lesen noch hängenbleiben.

    Die Brüder Edmond und Jules de Goncourt sind zwei der klügsten Köpfe, aber gegenüber ihrer Köchin Rose sind sie vertrauensvoll bis zum Einfältigen.

    Dabei schafft es Sulzer, Rose durchaus als eine nicht nur negative Figur zu zeichnen, sie ist sympathisch, aber eben nicht nur. Doch bei ihren krankheitsbedingten Abschied fließen Tränen.

    Bewegend ist auch, wie der geistige Zerfall von Jules dargestellt wird.

  • Alain Claude Sulzer ist ein Autor, den ich aufgrund seines eleganten Stils schätze.

    Das freut mich, dass es noch einen Sulzer-Fan hier gibt! Mir gefällt die immer ruhige Art, in der er erzählt, und wie er mit seiner ruhigen, sehr sparsamen Sprache große Gefühle vermitteln kann - da gibt es nichts Übertriebenes, nichts Larmoyantes, sondern er überlässt es dem Leser, diese Gefühle nachzufühlen.


    Ich bin sein Fan durch diesen Roman geworden:

    ASIN/ISBN: 3518457411