Tacitus - Germania
ASIN/ISBN: 3150143055 |
Vorgeschichte:
Im Jahre 1455 herrschte in Rom die Familie Borgia , die gerade ihren ersten Papst, Calixt III., auf dem Stuhl Petri positioniert hatte.
Dieser Papst beschäftigte eigene "Bücheragenten", die die wertvollsten und seltensten Schriften nach Rom schaffen sollten. Die Mittel zur Erlangung dieser Bücher waren nicht immer legal. In diesem Fall arbeiteten die Bücherjäger mit Fälschung und Drohungen. 1450 hatte der Bibliothekar des Klosters Hersfeld in dessen Bestand zwei Handschriften mit dem Text des Publius Cornelius Tacitus entdeckt:
Ein Dialog über den Verfall der Redekunst - und die "Germania". Die Bücheragenten des Papstes sorgten mit einigem "Nachdruck" dafür, daß das Kloster die Handschrift an Rom abtrat.
Der "Codex Hersfeldensis", eine Abschrift des Originaltextes aus dem 9. Jahrhundert, bewahrte den Text des Tacitus für die Nachwelt und wurde seitdem in Rom aufbewahrt, wo er in der Bibliothek des Vatikan ab und an zu sehen ist.
Konzeption:
Die "Germania" ( in Folge GA genannt), ist eine ethnographische Handschrift des Römers Publius Cornelius Tacitus (ca. 58 - 120 n. Chr.) über die Germanen. Dabei werden die Germanen als ethnische Einheit betrachtet, auch wenn der Autor eine Differenzierung in Stämme ( Kimbern, Chatten, Euburonen, Cherusker, etc. vornimmt, sieht er diese "Stämme" nicht als eigene Völker an. (Vgl. "Indianer")
Geographisch unterteilt Tacitus Germanien dabei in die römische Provinz "Germania superior et minor",links des Rheins und westlich des Limes, und in das freie, unbesetzte Germanien auf der anderen Seite.
Die Rezeption ist problematisch, Tacitus selbst ist nachweislich nie in Germanien gewesen. Auffällig ist die erhebliche Ähnlichkeit ganzer Passagen mit des Plinius (d.ält.) "Bella Germaniae" und den Schriften des Historikers Titus Livius.
Das werden auch die Hauptinformationsquellen des Autors gewesen sein, einige Passagen zeugen jedoch auch davon, daß Augenzeugenberichte von Germanienreisenden verwendet wurden, z.B. bei Schilderungen von Ritualen und Opferzeremonien.
1. - 5. Teil:
Eine allgemeine geographische Beschreibung unter Berücksichtigung des Klimas und der Tier- und Pflanzenwelt und der wichtigsten Flüsse und Gebirge, die er allesamt als unfruchtbar und trostlos, kalt und unwirtlich beschreibt.
Tacitus glaubt, die Germanen seien "keiner anderen Ethnie ähnlich" ,also "völlig unvermischt".
6. - 15. Kapitel, "Öffentliches Leben"
Wer die Asterix - Comics mag, wird hier große Ähnlichkeit zum beschriebenen Verhalten der Gallier entdecken:
Die Germanen, so Tacitus, lieben wüste Raufereien und alkoholische Getränke. Sie fürchteten sich vor nichts, aber Durst könnten sie nicht ertragen. Ihre Bestattungsbräuche seien würdevoll aber schmucklos, die Landwirtschaft betrieben sie auf niedrigstem Niveau. Sie arbeiteten nur, wenn sie nicht gerade tranken, waren aber tapfer und diszipliniert im Kampf.
16. - 27. Kapitel , "Privates Leben".
Die Germanen sind monogam und den Partnern treu. (Wohl als Grußbotschaft an die römische Society gerichtet!)
Die Kleidung der Germanen ist schmucklos und nachlässig, die Erziehung streng und von hoher Sittsamkeit gekennzeichnet.
Das Erbrecht sei heilig und die Kriminalität fast unbekannt.
(Auch diese Passagen kann man als Paradigmen für die römische Gesellschaft werten.)
28. - 45. Kapitel , "Die Stämme".
Hier stellt Tacitus in aller Ausführlichkeit die "Stämme" (Tribus, Truncus) der Germanen vor, ohne sie aber als eigenständige Völker zu sehen. Es ist mehr eine geographische Einordnung, als eine ethnische Differenzierung.
Er bezieht sich überwiegend auf den "Germanenexkurs" in Caesars "De Bello Gallico", wenn er recht unbekümmert auch die linksrheinischen Belger, Euburonen, Triboker, Vangionen und Nemeter dazurechnet, die sicher z. T. gallischer Ethnie waren, auch keltisch.
Ansonsten fehlt keine wichtige germanische Nation in seinem Kanon:
Chatten, Cherusker, Brukterer. Tenkterer, Kimbern, Markomannen, Semnionen, Boier...etc.
Ganz besonders schlecht kommen dabei die Cherusker weg, sie seien dumm, verwahrlost und treulos.
( Wohl der verlorenen Arminiusschlacht 9. n. Chr. geschuldet)
Fazit:
Die GA war nicht im Kern als Ethnographie im Sinne eines Plinius gedacht. Eher im Sinne des Titus Livius ( De urbe condita), der den vergangenen Tugenden der Römischen Republik den Niedergang im Kaiserreich entgegenhielt.
Es ist eine "Philippika" an die römische Gesellschaft, die ihrem sittlichen und moralischen Verfall die Ursprünglichkeit, Tugend und Kraft der germanischen Gesellschaft gegenüberstellt.
Tacitus hatte wenig Grund, die Germanen zu loben, er sah aber allen Grund, die Römer zu schelten.
"O Tempora, o mores ( Cicero) " könnte man diese Strafpredigt auch überschreiben.
Tacitus, dessen Leben nur fragmentarisch belegt ist, wuchs unter der Herrschaft des Nero auf und starb unter dem Tyrannen Domitian, er hatte allen Grund, den Niedergang der römischen Sitten zu beklagen. Auch seine "Annales", die vom "Hinscheiden des göttlichen Augustus" handeln, zeugen davon.
In dieser Sicht war die GA auch ein Appell an die Freiheit des Denkens und Handelns. Die Nachwelt sollte wissen, daß "tapfere Taten nicht unbeachtet blieben und Furcht vor Schande nicht vergessen würde ".
Tacitus wollte den Römern das "Volk" der Germanen nicht nur vorstellen, er wollte es beispielgebend darstellen, um die Römer an die vergessenen Tugenden eines Cincinnatus zu erinnern, der vom Schlachtenruhm immer wieder an den Pflug zurückkehrte, also im Wortsinn "bodenständig" war.
In diesem Sinn hatte die "Germania" einen pädagogischen Auftrag und sollte der Aufklärung dienen, etwa wie das Lehrtheater des Berthold Brecht im 20. Jahrhundert. Eine primäre und authochtone Ethnographie, wie manche Kommentatoren hier erkennen wollen, kann ich darin weniger sehen.
Lohnenswert ist das Lesen dieses Textes allemal, alleine seine rezeptive Wirkung auf das Germanenbild in der Geschichte ist kaum zu überschätzen. Das Tacitus auch ein begabter Rhetor war, zeigt sich in dem geschmeidigen, stellenweise eleganten Originaltext in lateinischer Sprache.