Stefan Schwarz: Bis ins Mark. Wie ich Krebs bekam und mein Leben aufräumte

  • Das lustigste Krebsbuch des Jahrhunderts


    fuenfsterne.gif


    „Letzte Woche bin ich von der Infektiologie auf die Onkologie verlegt worden. Schriftsteller freuen sich normalerweise, wenn sie verlegt werden.“ Mit Sätzen wie diesen, die dem Laien makaber vorkommen könnten, eröffnet der Bestsellerautor Stefan Schwarz die autobiografische Erzählung von jenen Wochen und Monaten Anfang 2020, als er seine Diagnose bekam – Knochenmarkkrebs, unheilbar und tödlich, aber nicht sofort tödlich –, und mit ihr umzugehen lernte, und Sätze wie diese markieren, was die Leser und -innen erwartet. Vorbereitet ist man natürlich trotzdem nicht auf das, was dann noch kommt.


    Ich kenne Stefan Schwarz schon ein paar Jahre, habe ihn aber noch nie getroffen – wir stehen im lockeren Austausch, und wir sind, meine ich, Sympathisanten des jeweils anderen. Davon, dass es rund um den Jahreswechsel 2020 diese Diagnose gab, habe ich allerdings erst durch die Ankündigung dieses Buchs erfahren, und es hat mir natürlich den Stecker gezogen, um es mit Herrndorf zu sagen. Als ich Stefan dann schrieb und dabei thematisierte, was ich an indirekten Erfahrungen mit dieser Art von Erkrankung bereits eingesammelt hatte und also quasi einbringen könnte (Mutter, Bruder, Schwägerin, bester Freund usw.), tat ich genau das, was er in den Schlusskapiteln dieses wunderbaren, rührenden, sehr persönlichen und ungeheuer komischen Buchs beschreibt: Ich sprach über die Erkrankung statt über ihn oder mich, wählte sie automatisch als gemeinsames Thema. Das ist die erste Lehre aus „Bis ins Mark“: Es ist nicht hilfreich, mit Krebskranken darüber zu sprechen, dass man andere Krebskranke kennt oder, wie das häufig leider ist, kannte. Alle Krebskranken wissen, dass es andere Krebskranke gibt, und zwar ordentlich viele davon. Statistisch gesehen ereilt jeden zweiten von uns das Schicksal, irgendwann irgendeinen Krebs abzukriegen. Viele überleben das oder sitzen es aus, etwa die alten Männer, die es spät an der Prostata erwischt, weil diese Variante so langsam wächst, dass die durchschnittliche Lebenserwartung nicht mehr ausreicht, um sie zur letalen Gefahr werden zu lassen, aber die Mehrheit stirbt daran. Stefan Schwarz hat Knochenmarkkrebs, genauer: Multiples Myelom. Vor zwanzig Jahren hätte man mit der Diagnose noch eine Lebenserwartung von ungefähr zwei Jahren gehabt, je nach Stadium. Inzwischen sind es fünf, es können aber auch viermal so viele werden, und die medizinische Forschung macht rasante Fortschritte. Es gibt also Grund zur Hoffnung.


    Nachdem die Diagnose halbwegs bei ihm angekommen ist, entwickelt sich Schwarz zu einer Art Chuck Norris unter den Krebspatienten. Der Psychologin, die ihn aufsucht, bietet er seinerseits eine Gesprächstherapie an, und wann immer ein Gesundheitsmensch ihm mit möglichen Nebenwirkungen all dessen kommt, was ihm fortan – etwa im Rahmen der hochdosierten Chemotherapie – in den Körper gepumpt werden wird, entwickelt sich daraus ein saukomischer, entwaffnender Dialog, der regelmäßig mit starker Irritation auf Seiten des Gesundheitsmenschen endet. Wird ihm ein Rollstuhl angeboten, rennt er einfach los, und selbst ganz ohne Immunsystem steigt er noch auf das Ergometer im Isolationszimmer. Schwarz, der bis zur Diagnose notorischer Hypochonder war, ist in gewisser Weise nicht wirklich überrascht, und er scheint es sportlich zu nehmen, als Herausforderung.


    Aber das ist natürlich nur eine Seite der Sache.


    Die andere Seite ist das Leben. Das Leben bis hierhin, das Leben, das folgt. Die andere Seite, das sind die Kinder, die Eltern, die Ehepartner, die Freunde, die Leser. Das ist auch Bilanz, das ist ein Abgleich der Erwartungen mit dem Erreichten, eine Selbstverortung, und das ist die Frage nach dem, was noch kommen kann, was noch kommen wird, nicht zuletzt künstlerisch. Selbst Stefan Schwarz lässt an dieser Stelle die Ironiekeule mal im Köcher, wenigstens für ein paar Seiten.


    Ich gebe zu, dass ich ein solches Buch normalerweise nicht mit der Knochenzange anfassen würde – Erfahrungsberichte von Krebspatienten, ob nun prominent oder nicht, nehmen in manchen Buchhandlungen mehrere Regalkilometer ein, und obwohl mir dieses spezielle Schicksal bislang erspart blieb, gehöre ich generell nicht zu den Leuten, die die Solidarität Mitleidender suchen, wenn es ihnen selbst schlecht geht. Ich bin also nicht Zielgruppe. Aber „Bis ins Mark“ ist auch nicht eines von diesen Büchern, sondern ein sehr spannendes Stückchen Autobiografie. Wer Ratschläge sucht oder dem Plan folgen will, nach dem Schwarz da „sein Leben aufräumt“, wie es im Subtitel heißt, wird enttäuscht werden – aber immerhin erfahren, dass der Autor Bettwäsche mit Elefantenmotiven mag, was ihn gleich nochmal sympathischer macht. Wer allerdings ein ehrliches, ziemlich cooles, amüsantes, berührendes, manchmal sogar ergreifendes, sehr gut geschriebenes und wirklich interessantes Buch darüber sucht, wie jemand wie Stefan Schwarz eigentlich so unterwegs ist, wenn es mal ans Eingemachte geht, der sollte dieses Buch unbedingt lesen.

    ASIN/ISBN: 3737101280

  • Auch ich mache eigentlich meist einen großen Bogen um solche Bücher. Dieses Buch habe ich schon mehrmals gesehen und aufgrund des Titels "übersehen". Nun wurde mir klar, dass mir der Autor gar nicht so unbekannt ist. Ich habe schon einige seiner Bücher gelesen und finde seinen Humor großartig. Sehr traurig, dass es auch ihn erwischt hat.

    Als Betroffene kann ich echt nur sagen, es ist teilweise unfreiwillig komisch, dass sich viele bemüßigt fühlen, einem die Krebserkrankungen ihrer Verwandten und Bekannten und von deren Bekannten ausführlich zu schildern. Sehr gut kommt es auch, wenn dann deren Ende noch wunderbar ausgeschmückt geschildert wird...:lache


    Danke für deine Rezi. Ich bin nun doch neugierig auf das Buch geworden und werde es lesen.