Marina Zwetajewa -Liebesgedichte
ASIN/ISBN: 3458350489 |
Marina Zwetajewa wurde 1892 in Moskau geboren, Tochter aus einer gebildeten und musischen Familie unter der Herrschaft Zar Nikolaus II.
Die enormen Spannungen in der russischen Gesellschaft bis hin zur Revolution erlebte sie als junge Frau, die längst ihren dichterischen und intellektuellen Platz gefunden hatte. Alles, was Marina tat und schrieb, tat sie mit Unbedingtheit, Radikalität und Kompromisslosigkeit. Das galt für das Politische ebenso wie für das Private, besonders für ihre Auffassung von der Liebe.
ZitatAlles anzeigenHarrt man der Post?
So harrt man - des Briefs.
Stück lappiger Stoff
Die Borte beschmiert
Mit Leim, Drinnen-ein Gruß,
Und Glück. Und - aus.
Zwetajewa geht ihren Weg in Unbedingtheit, selbstbewußt und selbstbestimmt.
ZitatAlles anzeigenMich freut, daß Sie toll sind, nicht nach mir,
Daß nie die Erde, das schwere Quartier,
Hinwegschwimmen wird unter mir und Ihnen,
Mich freut, dass ich weiterhin undressiert
Und lustig bleib, ohne die Dame zu mimen,
Und nicht erröte in schlechterstickter Gier,
Weil unsere Ärmel sich zu streifen schienen.
Die neuen Machthaber waren zwar Revolutionäre, konnten jedoch tatsächlich wenig anfangen mit einer mittlerweile für ihre rauhe Lyrik bekannten, unabhängigen und selbstbewussten Frau wie der Zwetajewa. 1922 wurde ihr die Luft zu stickig, sie ging nach Berlin, von wo aus sie über die Schweiz bis nach Paris zog. Es waren ihre fruchtbarsten Jahre, vor dem Weltkrieg, die Zwetajewa mit verschiedenen Partnern verbrachte, am intensivsten war wohl ihre Beziehung zu Ossip Mandelstam, beide unbehaust, beide auf der Wanderschaft, beide Lyriker, beide von intellektueller Schärfe.
ZitatAlles anzeigenZusammengezuckt - die Qual
Total: Unsre Bar! Der Saal,
Die Insel - der Ort,
Hort, wo wir immerfort
Uns trafen - ein loses Paar!
Die Bar - unser Tempel war's!
Der zweite Weltkrieg machte Europa für Zwetajewa genauso unsicher und feindselig wie Russland, sie fühlte, daß sie keine Wahl hatte und kehrte 1939 nach Moskau zurück, in das System des Stalinismus. Die Regierung behandelte alle, die aus dem Ausland kamen mit Misstrauen.
Ausserdem hatte man nicht vergessen, daß Zwetajewa 1914 ihre Beziehung zu der lesbischen Dichterin Sophia Parnok in ihrem Gedichtzyklus "Die Freundin" verewigt hatte. Unter Stalin war das ebenso verpönt, wie Zwetajewas bourgoise Herkunft.
1941 wurde Zwetajewa in die Autonome Tatarische Republik verbannt, ohne Sicherung ihrer Lebensgrundlage.
Am 31. August 1941 erhängte sich Marina Zwetajewa in ihrem Verbannungsort.
Meine Meinung:
Was gleich für die Lyrik Zwetajewas einnimmt, ist ihre Unbedingtheit, ihre sprachliche Wucht und Stärke, die dann wieder mit Elementen von poetischer Zartheit versetzt erscheint, die an Farbenkraft und Licht ihresgleichen suchen.
ZitatAlles anzeigenUnd du - der Mund eine Lohe.
Aber die Miene - gotthold!
Und die Iberische, Hohe
Glüht wie ein Kästchen von Gold,
Nun lass den Übermut. In den
Kerzenkranz schau mit mir still.
Damit nicht in dieser blinden
Nacht mit uns wird, was ich will.
Liebe, Leidenschaft, Leben, Literatur, der Kanon der Unbedingtheit Marina Zwetajewas, aus dem es kein Entrinnen gab, ihre Lebenswirklichkeit blieb nie hinter ihren Ansprüchen zurück. Sie liebte die deutschen Dichter Hölderlin, Novalis und Heine, mit denen sie die Spannung zwischen Himmel und Erde verband, oder zwischen "Eros und Thanatos", wie es Zwetajewa ausdrückte. Darum lasse ich Marina Zwetajewa selbst sprechen, ihrem Brief an Rainer Maria Rilke vom 2. August 1926 entnommen:
ZitatIch habe den Körper immer in die Seele übersetzt, die "physische" Liebe - um sie lieben zu können - so verherrlicht, daß plötzlich nichts von ihr blieb. Mich in sie vertiefend, sie ausgehöhlt, in sie eindringend, sie verdrängt. Nichts blieb von ihr, als ich selbst.
Das Unterlaufen von Schmerz und Versagen, die Verdrängung zu umgehen, gelingt der Dichterin nur in der Selbstentäusserung. Diese Selbstverdrängung galt bei Zwetajewa jedoch nie dem Geliebten, immer nur der Liebe als ontischem Subjekt.
Es ist die schüchterne Reife, die zaghafte Unverzagtheit und die sanft daherkommende Stärke, die für mich Zwetajewas sprachlich und gedanklich reife Lyrik ausmachen.
ZitatAlles anzeigenBist fort: ich schneide
Das Brot mir nicht mehr.
Alles ist Kreide,
Was ich berühr.
...Warst, duftend heiß,
Mein Brot. Warst mein Schnee.
Und der Schnee ist nicht weiß,
Und das Brot tut weh.