Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Chirurgie / The Facemaker

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)

    Als Harold Gillies die Verheerungen des Ersten Weltkriegs mit eigenen Augen sieht, ist er schockiert. Zu viele junge Männer werden nach nur einem falschen Augenblick ihrem Schicksal überlassen: für immer entstellt, für immer Monster in den Augen der Gesellschaft. Nach seiner Rückkehr ins Königreich setzt der junge Arzt alles daran, einen Weg zu finden, um das Leiden zu verringern. Mit stetem Einsatz, vielen Verbündeten und unkonventionellen Methoden baut er die erste »Schönheitsklinik« der Welt auf und kämpft fortan gegen das Stigma einer Generation. Sein Leben wird zum Gründungsakt einer Disziplin, die unsere Gegenwart unmissverständlich prägt.


    Autorin (Quelle: Verlagsseite)

    Lindsey Fitzharris promovierte in Oxford in Medizingeschichte. Ihre YouTube-Serie Under the Knife über Wissenswertes und Gruseliges aus der Welt der Chirurgie verhalf Fitzharris zu größerer Bekanntheit. Sie schreibt regelmäßig für The Guardian, The Huffington Post, The Lancet und New Scientist . Ihr Buch Der Horror der frühen Medizin war ein internationaler Erfolg, wurde in 15 Sprachen übersetzt und stand 19 Wochen lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.


    Allgemeines

    Titel der Originalausgabe: „The Facemaker“, ins Deutsche übersetzt von Volker Oldenburg

    Erschienen am 10. Oktober 2022 im Suhrkamp Verlag als TB mit 322 Seiten

    Gliederung: Vorbemerkung – Prolog – 13 Kapitel, jeweils mit Titeln überschrieben – Epilog – Erläuterungen zu den Fußnoten – Danksagung


    Inhalt und Beurteilung

    „Der Horror der frühen Chirurgie“ beschäftigt sich mit einer besonderen medizinischen Disziplin, der plastischen Chirurgie. Diese Disziplin, in unseren Zeiten von vielen Menschen als „Schönheitschirurgie“ genutzt, entstand vor dem Hintergrund der Gräuel des Ersten Weltkriegs. In diesem Krieg kam es aufgrund neuartiger Waffen zu besonders schrecklichen Verletzungen der Soldaten, viele von ihnen erlitten durch Schüsse oder Granatsplitter fürchterliche Gesichtsverletzungen. Kugeln durchschlugen Wangen oder ganze Unterkiefer wurden herausgerissen. Nicht selten lagen schwerverletzte Soldaten tagelang im Schlamm der Schlachtfelder, bis jemand bemerkte, dass noch Leben in ihnen war. Dann wurden sie ins Feldlazarett transportiert und die Ärzte gaben ihr Bestes, was oft nur darin bestand, Wunden zu säubern und notdürftig zusammenzuziehen, was Vernarbungen und Inflexibilität des Gewebes zur Folge hatte, vom abstoßenden Äußeren der entstellten Männer ganz zu schweigen.

    Dr. Harold Gillies (1882 – 1960) wollte sich mit dem Schicksal dieser unglücklichen Menschen nicht abfinden und ihnen – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Gesicht geben. Es war sein erklärtes Ziel, die Soldaten wieder soweit herzustellen, dass sie wieder „funktional“ wurden (Nahrungsaufnahme, Sprache) und dass sie ein Äußeres bekamen, mit dem sie wieder unter die Menschen gehen konnten.

    Die plastische Chirurgie steckte noch in den Kinderschuhen. Erst seit der Einführung der Anästhesie Mitte des 19. Jahrhunderts waren überhaupt längere Operationen ermöglicht worden. Doch Infektionen stellten immer noch eine große Gefahr dar – Wunden wurden seit Einführung der Antisepsis zwar desinfiziert, aber es gab noch keine Antibiotika. Trotz dieser Widrigkeiten forschte und experimentierte Gillies unermüdlich mit Hauttransplantationen, Dehnung von Kieferknochen durch Schrauben etc. Dabei kooperierte er mit anderen Medizinern, von deren Kenntnissen er profitierte, wie z.B. dem Zahnarzt Auguste Charles Valadier, der in seinem Rolls Royce eine mobile Zahnarztpraxis betrieb und zahllose verletzte Soldaten behandelte.

    Im Queen´s Hospital in Sidcup operierte Gillies unzählige Patienten, denen er nicht nur mit großem fachlichen Können, sondern auch mit viel Einfühlsamkeit und menschlicher Wärme begegnete.

    Die Autorin schildert die Schlachten des Ersten Weltkriegs und deren entsetzliche Folgen so anschaulich und eindrücklich, dass das Buch als Plädoyer gegen den Krieg verstanden werden kann und die Lektüre manchmal kaum zu ertragen ist. In diesem Kontext stellt sie einige Mediziner, darunter herausragend Dr. Harold Gillies, vor, die angesichts aller Widrigkeiten und Rückschläge nie aufgaben, vom Wunsch getrieben, den schwerverletzten Soldaten zumindest einen Teil ihrer Lebensqualität zurückzugeben. Die medizinischen Details, z.B. die Anlage eines Rundstiellappens zur Gewinnung von Haut zur Eigentransplantation, werden überaus detailliert und kenntnisreich beschrieben. Hier ist es ein wenig zu bedauern, dass die deutsche Ausgabe keine Illustrationen von OP-Techniken und Fotos der behandelten Soldaten vor und nach ihren Eingriffen enthält.

    Im Epilog des auch für den medizinischen Laien verständlich geschriebenen, anschaulichen Sachbuchs geht Lindsey Fitzharris noch auf die Tätigkeiten von Harold Gillies nach Kriegsende ein, als er eine Praxis für plastische Chirurgie eröffnete und nicht nur durch Unfälle und Krankheiten entstellte Menschen, sondern auch gesunde Patienten mit (selbst empfundenen) „Schönheitsmängeln behandelte.


    Fazit

    Ein fesselndes, aber angesichts der anschaulichen Schilderungen nicht immer leicht verdauliches Sachbuch über die Frühzeit der plastischen Chirurgie – äußerst lesenswert!

    9 Punkte

    ASIN/ISBN: 3518472798

  • Das Cover kam mir sehr bekannt vor, da hat der Verlag auf den Wiedererkennungswert gesetzt. Ich fand den ersten Band zwar schwer zu verdauen, aber sehr interessant und werde auch dieses Buch irgendwann lesen.


    ASIN/ISBN: B076VSNMZJ

  • Der Gesichtermacher


    Der Horror der frühen Chirurgie, Sachbuch von Lindsey Fitzharris, 322 Seiten erschienen im Suhrkamp-Verlag.
    Die berührende Geschichte des Medizinpioniers der wiederherstellenden Chirurgie. Harold Gillies war ein junger visionärer Chirurg, durch ihn wurde die plastische Chirurgie zu einem wichtigen Teil der modernen Medizin.
    Der erste Weltkrieg hatte bedingt durch seine neuen Waffen- und Kampftechniken besonders viele verheerende Gesichts- und Kopfverletzungen zur Folge. Doch die Wissenschaft stand dieser Zerstörung ratlos gegenüber. Während Soldaten, die einen Arm oder ein Bein verloren haben als Helden gefeiert wurden, lösten Gesichtsversehrte Ekel und Abneigung aus. Eine solche Entstellung ist schlimmer als der Tod, hieß es, ein „normales Leben“ war nicht mehr möglich, nicht selten lösten Gesichtszerstörungen Selbstmorde aus. Prothesen für verlorene Gliedmaßen waren unkomplizierter herzustellen und anzupassen. Doch durch eine Gesichtsverletzung war manchmal selbst die Nahrungsaufnahme, oder die Atmung erschwert. Harold Gillies machte es sich zur Aufgabe, diesen Opfern wieder ein Gesicht und somit ein normales Leben zurückzugeben. Unermüdlich entwickelte er neue Methoden und Operationstechniken um den bemitleidenswerten Opfern zu helfen. Nach dem Krieg brachte er diese Fähigkeit zur Vervollkommnung und wirkte als rekonstruierender und kosmetischer Chirurg, ein Pionier der modernen Schönheitschirurgie. Sein Einfühlungsvermögen und seine Menschlichkeit waren legendär.
    Das Buch besteht aus 13 Kapiteln, Die Überschriften weisen auf den Inhalt hin. Am Ende des Buches befindet sich ein über 30 Seiten starker Teil mit Anmerkungen, die ich nach einigen Seiten jedoch vernachlässigt habe. Im Epilog ist vermerkt, was nach dem Krieg weiter geschah, bemerkenswert finde ich, dass Generäle zuhauf für ihre Kriegstaten mit Auszeichnungen geehrt wurden, doch Gillies erst nach etlichen Jahren in den Ritterstand erhoben wurde.
    Band zwei war wie auch schon der erste Band, nicht für zimperliche Leser geeignet. Verstümmelung, die Grausamkeit des Krieges, Blut und das Leid der Verletzten ist so bildhaft beschrieben, dass es wie ein Film im Kopf abläuft. Dazu kommt, dass ich weitere Recherchen über Gesichtsverletzte und Rekonstruktionen sowie Operationsmethoden im Internet geführt habe. Was für ein überwältigendes Thema, die Autorin konnte mich, wie auch schon im vorangegangenen Teil, vollkommen überzeugen. Die promovierte Medizinhistorikerin veröffentlicht regelmäßig in verschiedenen Zeitungen, auch medizinischen. Eine gründliche Recherchearbeit kann ich nur bestätigen. Leselust hat sich hier bei mir unweigerlich eingestellt. Ich bin restlos begeistert und hoffe, dass von Fitzharris noch einiges zu erwarten ist. Sicher macht es mit etwas medizinischer Vorbildung mehr Spaß das Buch zu genießen, dies ist aber zum Verständnis nicht notwendig. Ein Sachbuch, welches sich wie ein spannender Aktionroman liest.
    Interessant fand ich die Kapitel über die verschiedenen Operationstechniken, Bluttransfusionen, Gesichtsprothesen und Masken sowie Operationen und Behandlungen die nicht den gewünschten Erfolg brachten. „Kriegsreporter bezeichnen Gesichtsverletzungen als den härtesten Schlag, den der Krieg einem Menschen versetzen kann. Sie nehmen den Betroffenen ihre sichtbare Identität“ diese Sätze haben mich nicht mehr losgelassen.
    Wer sich für Medizingeschichte interessiert und etwas Fachkenntnisse mitbringt fühlt sich hier sicher gut unterhalten. Dafür von mir volle Punktzahl, 10 Punkte.