„Der Norden liest“ mit Dörte Hansen am 8.Oktober 2022 in Husum
Nicht völlig unerwartet erreicht mich in der letzten Woche eine E-Mail mit der Frage, ob ich zu Dörte Hansens Lesung nach Husum kommen könne; zwei Karten lägen für mich und meine Begleitung bereit. Der Termin passt aufgrund einer weiteren Anreise nicht gut und „Altes Land“ hatte ich vor längerer Zeit abgebrochen, dennoch sage ich zu und mache mich am Samstag nach Husum auf. Hinter Hamburg wird es ruhiger, die starken Schauer lassen nach und in der Mitte Dithmarschens wird es endlich hell am Himmel, vorbei an Schafstedt winke ich der angeheirateten Verwandtschaft zu, die letzte Familienfeier liegt schon zu lange zurück und in Richtung Nordfriesland zeigen sich jetzt nur noch die Marsch, Windräder und Schafe auf den Wiesen entlang der Straße. Nach der Abfahrt St. Peter Ording verschwinden auch die letzten Fahrzeuge mit Kennzeichen aus dem Süden, offensichtlich wollen keine Urlauber nach Husum kommen. Vom Parkplatz zum Husumhus, dem dänischen Kulturzentrum der Stadt, komme ich am Lichtspielhaus der Stadt vorbei, dessen Schaufenster großräumig mit einem Plakat zu „Mittagsstunde“ werben. Die kulturelle Botschaft an Einwohner und Besucher ist eindeutig; mein Mann, der mich an diesem Abend begleite, fragte beiläufig, worum es eigentlich gehe. „Ums Meer. Den Rest lass einfach auf Dich wirken.“
Während ich zu Hause noch damit gekämpft habe, die Tickets aus der E-Mail in eine App einzubinden, die mit einem Barcodescanner eingelesen werden können und ich sie den Damen am Einlass stolz präsentiere, lächeln sie nur und winken durch. Ja, so kann das in Nordfriesland gehen. Der Saal im Husumhus bietet knapp 400 Besuchern Platz und zu meiner Überraschung muss ich kurz nach meinem Eintreffen feststellen, eine halbe Stunde vor Lesungsbeginn nur noch eine begrenzte Platzauswahl vorzufinden.
Eine ortsansässige Buchhändlerin begrüßt das Publikum, sie kennt Dörte Hansen offensichtlich gut und führt mit den Worten ein, wofür Nordfriesland bekannt sei: Schwarze Sonne, Halligen und Dörte Hansen. Im neuen Roman „Zur See“ spiele eine starke Frauenfigur eine Rolle und an diesem Abend seien Ehrengäste eingeladen, eben nicht der Bürgermeister und der Landrat, sondern Frauen wie die Romanfigur Hanne, die „wollen, was sie müssen“. In den letzten Wochen seien viele Kunden in die Buchhandlung gekommen, hätten auf den Roman mit einem „Und?“ gedeutet und sie hätte geantwortet: „Gut.“ Die Kunden hätten bezahlt und das Geschäft verlassen. Man kennt sich und verlässt sich in dieser Stadt aufeinander.
Durch den Abend führt die Moderatorin Julia Westlake, die anfänglich Fragen zum Meer, über die Angst und den Erfolgsdruck eines dritten Romans und perspektivisches Erzählen stellt. Dörte Hansen berichtet davon, Husum für den Roman nicht verlassen zu haben, der Ort sei nah genug am Meer. Wie viele andere Menschen ziehe das Meer auch sie an, gleich ob Menschen ans Meer aus gesundheitlichen Zwecken reisen, die ihre Ursache in körperlichen oder seelischen Beschwerden finden oder zu Urlaubszwecken. Das Meer entfalte eine heilende Wirkung, sei wie eine Apotheke und bestätigte eine mögliche Erstverschlimmerung nach einem ersten Kontakt, doch tatsächlich würde sie niemanden kennen, der das Meer nicht möge, letztlich sei das Leben auf einer Insel, von der Fischerei lebend immer hart gewesen und darum gehe es auch in ihrem neuen Buch. Den fünf Leseabschnitten, die in die fünf Figuren einführen, folgen Nachfragen. Es geht um das Leben am Meer und das der Fischersfrauen, die Verdrängung von Inselbewohnern durch Zugezogene, Metal und Recherche über das Inselleben im Archiv auf Föhr. Nach einer Pause, das Publikum hat sich mittlerweile mit Büchern und Bier eingedeckt, die Flaschen ploppen in merklich guter Stimmung, kommt Julia Westlake auf einen Punkt zu sprechen, der sowohl die Romanfiguren als auch das Publikum betrifft: Wie lebt es sich mit Touristen, wie verändern die Gäste die Einheimischen und wieviel Klischee haftet den Touristen an, die am Ende ihres Urlaubs mit gestreiften oder mit Möwen bedruckten T-Shirts herumlaufen. Dörte Hansen geht von sich selbst aus und erzählt davon, was Orte am Meer mit ihr machen, auch sie sich dem nicht entziehen könne und es ihr nicht anders als den Touristen im Roman ergehe. So sehr die Schriftstellerin die Touristen literarisch vorführt, so sehr zeichnet es das Publikum aus, an diesem Abend kein Anzeichen von Schadenfreude zu zeigen. Erst als die Sprache aufs Krabben pulen und ungeschickte Touristen kommt, lächeln einige Anwesende.
Der Abend schließt mit der Frage nach einer neuen Romanidee, die Dörte Hansen verneint und der Möglichkeit, sich das Buch signieren zu lassen.
Auf dem Weg zum Parkplatz komme ich erneut am Kino vorbei, schaue Charly Hübner an und versuche einen Blick auf das weitere Programm zu erhaschen. „Top Gun“, „The Woman King“ u.a. konkurrieren mit „Mittagsstunde“ um die Gunst der Zuschauer und mein Mann meint plötzlich: „Zur nächsten Lesung kannst Du mich mitnehmen.“
Wer sich die Lesung anhören möchte, hat am 22.Januar 2023, um 20 Uhr im Sonntagsstudio die Gelegenheit dazu.