• „Für Sie und Ihre Arbeit, wenn man das was Sie hier machen überhaupt so nennen kann, fällt mir nur ein Wort ein. Können Sie sich denken welches?“, brüllte sein Abteilungsleiter herum, daß die dünnen Scheiben, die das Büro zu den anderen hin abgrenzte, leicht vibrierten.
    Seine Kollegen in den umliegenden Räumen versuchten verstohlen ein paar Blicke zu erhaschen, er konnte das Getuschel förmlich spüren, wie es seinen Rücken entlang hinauf in den Nacken kroch, um sich dort festzusetzen und seinen Kopf nach unten zu drücken. Und so stand er wieder einmal vor diesem Menschen, für den er nichts weiter als abgrundtiefen Hass empfand. Zusammengesunken, die Augen auf den abgetretenen Teppichboden gerichtet und mit einem Selbstwertgefühl ausgestattet, das wahrscheinlich dem einer Amöbe gleichkam, schüttelte er nur stumm den Kopf.
    „Unfähig. Einfach nur unfähig, Herr Krasnik“, sagte sein Gegenüber nun mit etwas gemässigterer Stimme und starrte ihn finster dabei an. „Damit haben Sie sich definitiv die zweite Abmahnung eingehandelt, ich werde anschließend gleich mit Herrn Protzelt darüber sprechen.“
    Die Worte hämmerten auf ihn ein. Es tat weh, viel zu weh. Sein Magen verkrampfte sich und er drückte mit der Hand gegen seinen Bauch.
    „Unterstehen Sie sich hier alles vollzukotzen!“, fuhr ihn der Scheißkerl giftig an und stemmte dabei seine Hände gegen den Schreibtisch.
    Ein paar Schweißtropfen verirrten sich in die Augen und er musste das brennende Gefühl wegblinzeln. Noch immer drückte seine Hand gegen den Bauch, doch langsam schob sie sich in Richtung seiner Jackeninnentasche.
    „Sie geben wirklich eine jämmerliche Figur ab, Herr Krasnik, aber das passt ja ganz zur Arbeit, die Sie hier immer wieder abliefern.“
    Er hörte das Gezetere dieses Unmenschen nur noch undeutlich, wie durch ein dickes Schaumstoffpolster hindurch. Und auf einmal hörte er gar nichts mehr, er sah nur noch, wie sich die Lippen seines Gegenübers bewegten, wie die Augen fegefeuerartig versuchten ihn fertig zu machen. Dann hatte er plötzlich die Waffe in der Hand.
    „Sind Sie verrückt geworden, Krasnik?“, las er von den Lippen dieses Monsters in Menschengestalt ab. Die Augen des Ungeheuers brannten nicht mehr lichterloh, sondern suchten in den umliegenden Büros nach Hilfe. Telefonhörer wurden hochgehoben, manche Leute rannten davon. Lautlos.
    Er hörte nur sein Herz pumpen, wie die Schläge der Turmuhr, die er jede Nacht mitzählte, jede Nacht in der er nicht schlafen konnte, weil es ihm so vor dem nächsten Morgen graute. Sein Kopf ruckte herum, als das Monster versuchte sich aus seinem Stuhl zu hieven. Er machte einen Schritt auf dieses panische Etwas zu und streckte den Arm mit der Waffe aus. Ein Auge zukneifend, um besser zielen zu können, drückte er ab. Das zuvor noch zappelnde Ding sank in seinem Stuhl zusammen, ein Loch zwischen den Augen. Blut, das sich, einem seltsamen Heiligenschein gleich, an der Wand hinter dem Schreibtisch verteilt hatte, lief langsam die weiße Fläche hinunter. Sein Herz schlug gleichmäßig, wie die Turmuhr Nacht für Nacht.


    Er zählte die Glockenschläge mit und stand dann auf. Gerädert und unausgeschlafen warf er einen Blick durch die grauen Vorhänge hindurch auf den Turm. Die große weißgelbe Scheibe, deren römische Ziffern und Zeiger sechs Uhr anzeigten, leuchtete ihm entgegen, wie ein fahl gewordener Mond, der an den alten Turm angekettet schien. Angekettet, wie er in seiner Existenz war, seinem Leben zwischen dem täglichen Alptraum im Büro und der Schlaflosigkeit, die ihn nachts quälte. Müde und mit geröteten Augen zog er sich nach einem kurzen Abstecher ins Badezimmer an und verließ die Wohnung.


    Seit einer Stunde saß er in seinem Büro und musste sich schon die Tiraden seines Kollegen gegenüber anhören. Alles müsste man ihm dreimal erklären. Ja. Wegen ihm würde nun der wichtige Termin platzen. Ja. So eine Arbeitsweise, wäre hier nicht üblich. Ja. Er nickte stumm und ließ es über sich ergehen. Zwischendurch riskierte er einen misstrauischen Blick durch die Glasscheiben hinüber in das Büro des Abteilungsleiters, der wie immer schlecht gelaunt hinter seinem Schreibtisch saß und gerade zum Telefonhörer griff.
    Sein Apparat läutete. Er starrte das Gerät an, dessen rote Ruftaste mit jedem Klingelton aufblinkte. Sein Magen verkrampfte sich und er spürte, wie ihm langsam der Schweiß auf die Stirn kroch. Er hob ab.
    „Ich muß Sie sprechen, kommen Sie bitte in mein Büro“, hörte er die unangenehme Stimme seines Abteilungsleiters sagen. Bevor er etwas erwidern konnte, wurde am anderen Ende der Leitung die Verbindung unterbrochen.
    Er schloß kurz die Augen und versuchte durchzuatmen, doch die Schmerzen in seinem Bauch nahmen zu. Er tastete nach seiner Jackeninntasche, als ihn ein Schrei zusammenzucken ließ. Er riss die Augen auf und sah, wie seine Kollegen aufgesprungen waren und nach nebenan deuteten. Sein Blick fiel auf die blutbespritzte Wand im nächsten Raum, auf die zusammengesackte Gestalt hinter dem Schreibtisch und ihm wurde schlecht. Er drehte sich weg und griff in seine Jackentasche. Mühsam fingerte er ein Taschentuch aus der bisher ungeöffneten Packung und wischte sich damit den Schweiß aus dem Gesicht.


    Die Polizei ließ die Mitarbeiter erst nach langwierigen Befragungen nach Hause gehen. Stundenlang wurde Spurensicherung betrieben, das Gebäude und das Personal durchsucht, doch nirgendwo war die Tatwaffe zu finden, geschweige denn ein Täter. Niemand hatte etwas bemerkt und auch er selbst konnte nur aussagen, daß anscheinend Sekunden vor der Tat das Opfer mit ihm telefoniert hatte. Gerüchte um einen seltsamen Selbstmord machten schnell die Runde und alle waren froh, endlich gehen zu dürfen.
    Er war müde und ausgelaugt, als er sich nach einem Blick auf die Turmuhr ins Bett legte und an die Decke starrte. Er zählte wieder die Schläge der Uhr, schloß die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf.


    „Krasnik, mir reichts mit Ihnen! Mein Vorgänger hätte schon längst mit Ihnen reinen Tisch machen sollen, jetzt fällt eben mir diese Aufgabe zu. Heute Nachmittag werden wir zwei ein Gespräch mit Herrn Protzelt führen, der sicherlich begeistert sein wird, Ihnen die zweite Abmahnung in die Personalakte heften zu dürfen“, schnauzte ihn sein ehemaliger Zimmerkollege an und würdigte ihn dabei nicht einmal eines Blickes. Stattdessen stand er mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor der Scheibe und sah dem Maler zu, der die Rückwand seines zukünftigen Büros mit einem kräftigen Weiß versah.
    „Wer hat Sie eigentlich eingestellt, Krasnik?“, wollte dieser aalglatte Typ im dunklen Anzug von ihm wissen. Ohne eine Antwort abzuwarten, redete er weiter.
    „Egal. Ich bin es jedenfalls, der Sie rausschmeißen wird, Krasnik. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche.“
    Der Schmerz in seinem Bauch war wieder da, er krümmte sich unmerklich auf seinem Stuhl zusammen und tastete nach seinen Taschentüchern. Als er den kalten Stahl der Waffe zwischen seinen Fingern fühlte, hörte er diesem anzugtragenden Ding nicht mehr zu. Er hörte gar nichts mehr, außer dem gleichmäßigen Schlagen seines Herzens, der Turmuhr seiner Existenz. Mit dem letzten Schlagen der Nacht löste sich ein Schuß und er machte neugierig auf den anbrechenden Tag die Augen auf.



    © 2005, Doc

  • Hallo!



    Eine sehr interessante und spannende Geschichte! Sehr flüssig zu lesen und was mir am besten gefällt - du spannst sehr gut den Spannungsbogen auf. MAn bleibt bis zum Schluss ind er Geschichte drin. Es gab nur paar klitzekleine Momente, wo ich ins stocken kam.
    ZB.
    "brüllte sein Abteilungsleiter herum,"
    Dieses sein ist irgendwie zu unpersönlich, besonders am Anfang. Und daher distanziert man sich von der Geschcihte weg. Ist aber nur meine Meinung.


    Habe gern gelesen!


    Liebe Grüße,
    Ira


    __________________
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  • Nichts ist so wie es scheint. Interessante Geschichte mit unerwarteten Wendungen. MIr gefiel die Art, wie Du das Gefühl vermittelt hast, seine Arbeit zu hassen, bzw. Angst vor dem nächsten Arbeitstag zu haben.

  • Zitat

    Original von Ira
    Und daher distanziert man sich von der Geschcihte weg. Ist aber nur meine Meinung.


    Einspruch, euer Ehren!


    Das "man" im ersten Satz weist daraufhin, daß deine Aussage Allgemeingültigkeit in Anspruch nimmt. da hilft es auch nicht, diese Aussage im Nachklapp als eigenen Meinung zu relativieren.


    Und woher kommt eigentlich der Eindruck, daß dieses "sein" wäre unpersönlich? Sprachpsychologisch gesehen führt ein Ausdruck der Bezüglichkeit ohne vorherigen "objektive" Darstellung der betreffenden Person quasi auftomatisch dazu, daß ein Leser dessen Perspektive einnimmt -- also zu Distanzverlust bis hin zur Identifikation. Nicht nur meine Meinung, sondern eine in der Literaturkritik weithin vertretene Ansicht.

  • magali
    Ich gehe mal davon aus, daß Du mit dem Text nicht sehr viel anfangen kannst, wenn Du mir solche Fragen stellst und Tipps abverlangst, oder?


    Ich hab das Ding aus reinem Spaß an der Freud' vorgestern in meiner Mittagspause runtergetippt und zugegebenermaßen nicht überarbeitet, sondern hier gepostet. Einfach so, ohne Hintergedanken - sozusagen aus reiner Schreiblust heraus.


    War das jetzt ein Tipp? Oder soll ich gelbe Linien auf weißer Leinwand erklären? :-)


    Gruss,


    Doc

  • jau,
    Spaß an der Freud merkt man dem Ding auch an.
    Ich suchte nur den Sinn dahinter.
    SchreibLUST gilt allemal.


    Mehr wollte ich gar nicht wissen.
    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Also ich hätte es lieber im Präsens gehabt, beonders am Anfang war es wegen dem Prätreritum schwierig, reinzukommen... aber sonst ganz gut... ist nicht so mein Stil... aber immerhin hab ichs bis zum Ende gelesen ;-)