Joachim Ehlers - Die Entstehung des Deutschen Reiches
ASIN/ISBN: 3486592807 |
Konzeption:
Ein Deutsches Reich im Sinne eines "über alles" gedachten Staatswesens in der Tradition des Imperium Romanum, mit dessen einheitlicher Struktur und Kultur, hat es nie gegeben. Das fränkische Reich sah sich in der Tradition der römischen Imperatoren, deren Kaiserwürde ging auf Karl den Großen über und in seiner hochkomplizierten Nachfolge an die deutschen Könige. Erst in klarer Abgrenzung zum Papsttum, auf der Höhe des Investiturstreits, wurde es "Heiliges Römisches Reich" unter Berufung auf die Vier - Reiche - Lehre des biblischen Buchs Daniel. Diese Reichskonstruktion verlor nach dem Ende des Mittelalters im Zuge der sich bildenden Nationalstaaten nach und nach ihre Bedeutung. Die zunehmende Macht der europäischen Monarchien, die "Entdeckung" neuer Erdteile, der monopolisierte Handel und die geringe Hausmacht der Kaiser, ließen die Idee eines übergeordneten "Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation" obsolet und blutleer erscheinen.
Ohne ein "Armageddon", ohne große Zäsur, entkräftet und seiner Bedeutung beraubt, ging das Reich fast lautlos im Sturm der Napoleonischen Erfolge in Europa 1806 unter.
Erst im Zuge der bürgerlichen Revolution von 1848 und dem erwachenden Nationalgedanken, entstand dann 1871 ein Deutsches Kaiserreich, das auf dem 1701 entstandenen Preußischen Königtum aufbaute und 1918 endete.
Beurteilung:
Joachim Ehlers ist ein ausgewiesener Mittelalterfachmann und das HRR ist sein zentrales Forschungsgebiet. Daher ist seine Fragestellung auch eine rein historische:
Welcher Struktur bedurfte das HRR, um den Anforderungen von 1000 Jahren seines Bestehens gerecht zu werden?
Die Antwort muss lauten, durch steten Wandel. Die lockeren Strukturen, die eine direkte Territorialherrschaft ausschließen, setzten nur die Eckpunkte und Richtlinien der imperialen Politik. So war z.B. eine Strategie der Staufer, die Wirtschaftskraft zu fördern, um die kostspieligen militärischen Unternehmen zu ermöglichen. Das gelang trotz der Sperrigkeit etwa der norditalischen Stadtstaaten in der politischen Verbindung der deutschen Territorien bis hin nach Sizilien. Der staufische "Binnenmarkt" wurde zum Erfolgsmodell. Zu keiner Zeit aber war das HRR ein Staat im Sinne eines zentralistisch gesteuerten, straff organisierten Gemeinwesens. Es war vor allem die Idee, die die Strukturen langsam wandeln konnte.
Ehlers macht hier deutlich, die "Legitimation" der Reichsidee, das Deutsche Reich von 1871, entsprang eher bürgerlichen, nationalen Sehnsüchten, als einer historisch herleitbaren Kontinuität zum HRR. Er zeichnet auf, daß neben dem Historischen immer auch das "Unhistorische" für die Traditionen eines Volkes verantwortlich ist, einem Satz Nietzsches folgend.
Der Mythos vom Reich war im Preußischen Kaiserreich zum Ende hin überanstrengt, ausgehöhlt und überlebte zu Recht nicht das Ende des I. Weltkrieges.
Das HRR war nun einmal nicht sein Vorgänger, es war ein gänzlich anderes Gebilde, eine andere Form von Herrschaft. Das HRR verkörperte bei aller Skurrilität und Schwäche in seinen fast 1000jährigen Bestehen auch eine Kontinuität von Frieden und eine frühe Art eines geeinten Europas.
Ehlers führt die Diskussion über die ganze Strecke souverän in der Tradition Gadamers und Rankes.
Die Zyklentheorie impliziert auch immer eine wertende Vorstellung von Höhepunkten, was, wie schon Aristoteles in seiner Naturalis anführt, die Kontinuitätsreflektion hintenanstehen läßt. Dieser theoretischen Verengung entgeht Ehlers für mich überzeugend.
Dieses Buch ist scharfsinnig und hat Hand und Fuß. Joachim Ehlers kann die Dinge auf den Punkt bringen und schlüssig und rational zu seinen Ergebnissen führen.
5 Sterne sind dafür angemessen.
Joachim Ehlers, geb.1938, ist ein deutscher Historiker und Hochschullehrer. Er hatte Lehrstühle in Frankfurt/Main und Braunschweig für die Geschichte des Mittelalters inne. Ehlers ist einer der weltweit besten Fachleute für Heinrich den Löwen und die Geschichte der mittelalterlichen Kaiserdynastien.