Walahfrid Strabo - De cultura hortorum (Lateinisch/ Deutsch)
ZitatInstantia cultoris et fructus operis
( Beharrlichkeit des Gärtners und Frucht seiner Arbeit)
Die Etablierung des Karolingischen Reiches verlangte nach einer Sicherung der materiellen Grundlagen durch Hofgüter, die verstreut im ganzen Reich zur Verfügung standen. Dazu gehörten neben den Eigengütern auch Reichsklöster, deren Grundbesitz zur erweiterten Machtgrundlage der Krone zählte und die Versorgung sicherte. Auch im Sinne einer geistigen Erneuerung sollten diese Reichsklöster mit der Verbreitung der lateinischen Schrift, in der Karolingischen Minuskel verfasst, für Strahlkraft in das Umland sorgen und so Pionierarbeit leisten. Karl der Große kümmerte sich dabei nicht nur um die Leitung dieser Reichsgüter, sondern auch um Details der Bewirtschaftung, bis hin zum Gartenbau:
"Frauenminze, Salbei und Raute, Rosmarin, Feldkümmel und Anis, Liebstöckel, Weißwurz und Korriander, etc. ...sind anzubauen"
(Aus 'Capitulare de villis',etwa 795)
Auch das Kloster Reichenau, im Bodensee gelegen und gegründet durch Bischof Pirminus um 725, war ein solches Reichskloster, eines der bedeutendsten dazu. Walahfrid Strabo (geb.um 807 - etwa.849) war einer der Äbte der Reichenau, der sich ausser als Dichter, Chronist und Übersetzer auch als Botaniker und Gartenbauer einen Namen machte und sich immer wieder auf die Vorgaben Karls des Großen dabei bezog. Als Abt eines Reichsklosters war er der uneingeschränkte Vorstand über alle Mönche, Freisassen, Hörige und Eigenbauern der Abteifreiheit und der damit verbundenen Güter. Pachthöfe, Mühlen und Gewerke, ebenso war er Gerichts- und Lehensherr. Darüber hinaus war er aber vor allem Theologe, Dichter und Botaniker und nur als solcher stellt er sich uns in diesem kleinen Werk vor.
Das hier vorliegende kleine Buch, das 'Liber de cultura hortorum' ,ist in der Walahfrid eigenen Poetik und bilderreichen Sprache als ein Lehrgedicht geschrieben. Dabei sind zwei Teile vorherrschend. Im ersten Teil beschreibt Walahfrid die Arbeit des Gärtners als Bestandteil des täglichen Werkes vor Gott, stellt die Gartenarbeit als Teil des Gebets dar. Beten durch Arbeit im Garten des Herrn, also ganz im Sinne der benediktinischen Regel.
Im zweiten Teil werden dann die Pflanzen einzeln in ihrem Wesen beschrieben, in wissenschaftlicher Genauigkeit in ihrer Morphologie, Physiologie und Wirkung. Beschrieben werden dabei Gemüse- und Heilpflanzen, die Zusammenstellung gibt einen hervorragenden Einblick in die pflanzliche Ernährung und die Heilkunde in einem begüterten Kloster des 9. Jahrhunderts.
Die Klöster waren durch die Beherbergung von Pilgern und die Fürsorge für Kranke und Sieche die einzigen Heilstätten im Hochmittelalter, in denen eine therapeutische Versorgung von Kranken versucht wurde.
Reichenau korrespondierte dabei in geistlicher wie auch in administrativer Hinsicht ständig mit der benachbarten Abtei St. Gallen, Walahfrid Strabos Vorstellungen eines idealen Klostergartens gingen dabei auch in den St. Galler Klosterplan ein, der die wohl nie so verwirklichte Idealform einer Karolingischen Reichsabtei vorstellte.
Dieses kleine botanische Lehrbuch hat bis heute die Gültigkeit in der Beobachtung der Pflanzen und ihren Wirkungen nicht verloren:
ZitatFerventem domuisse sitim, depellere febres...
(Er ( Der Wermut) stillt brennenden Durst und vertreibt das Fieber.
ZitatGern erwähne ich hier im leichten Gedicht auch den Schlafmohn der Ceres...
(Cereale quidem nugarum in parte papaver...)
Das zeigt, es gab auch zu dieser Zeit wirksame Arzneien, sogar zur Beruhigung und Schmerzstillung, was wohl dem Zugang der Klosterbibliotheken zu antiken griechischen Werken und deren griechische Übersetzungen aus dem Arabischen geschuldet war.
Beurteilung:
Walahfrid Strabo, der vermutlich 849 starb, brachte als Dichter, Theologe und Botaniker Werke in den fruchtbaren Kanon der Reichenauer Schriften ein, die zu den schönsten und interessantesten der sog. "Karolingischen Renaissance" gehörten. Anregungen dafür lieferte ihm die Poetik Vergils und Ovids, die Dichtungen des Prudentius und die Fabeln des Aesop. Vor allem aber Vergils Gedicht vom Landleben dürfte Walahfrid dabei vor Augen gehabt haben.
Besonders ansprechend ist die klare, Formen- und bilderreiche Sprache, die nachvollziehbare Metaphorik und die damit in nur scheinbarem Gegensatz erscheinende wissenschaftliche Exaktheit der Beobachtung.
Walahfrid hatte einen in frühscholastischer Dialektik geschulten Verstand, seine Bildung war, für seine Zeit gesehen, stupend.
Seine geistigen Lehrer Hrabanus Maurus und Wiligis garantierten für geschärfte Sinne in der Beobachtung.
Was dieses Gedicht aber so besonders macht, ist seine feine Naturbeobachtung und die mit Liebe zu den Pflanzen getragene Art der Gestaltung, man erkennt die Freude des Autors am Wachsen und Gedeihen, am Gärtnern und an der Vielfalt der Natur. Und man erkennt, Walahfrid will uns diese Freude mitteilen in der schönsten Sprachform, die er zu bieten hat und das ist sehr viel.
Darum möchte ich dieses Büchlein allen empfehlen, die sich für ein paar schöne Stunden in die Welt der Pflanzen und Gewächse begeben möchten, auch ruhig zum Vergleich in dieser kraftvollen und anmutigen lateinischen Sprache Walahfrid Strabos.
Nach einigen Bedenken habe ich "De cultura hortorum" als Sachbuch eingeordnet, weil das, wie ich vermute, dem Anliegen des Verfassers wohl am nächsten kommt, nämlich es in erster Linie als botanisches Werk zu sehen, in der Form des Gedichtes.