Wallstein, 2022
320 Seiten
OT: L'acqua del lago non è mai dolce
Kurzbeschreibung:
Eine Frage der Klasse. Radikal unversöhnlich erzählt Giulia Caminito von nicht eingelösten Aufstiegsversprechen und den enttäuschten Träumen einer ganzen Generation junger Italiener – ein berührender, zorniger, großer Anti-Bildungsroman: Am Grund des Sees liegt eine versunkene Weihnachtskrippe, sein Wasser schimmert trüb, schmeckt nach Sonnencreme und Benzin. Hier, am Lago di Bracciano, bezieht Gaia mit ihrer Familie eine Sozialwohnung: der Vater, der seit einem Arbeitsunfall im Rollstuhl sitzt, der ältere anarchistische Bruder Mariano, die kleinen Zwillinge – und die Mutter Antonia, die so zupackend wie rücksichtslos alles zusammenhält. Ihre Tochter, blass, sommersprossig, dürr, soll nicht so enden wie sie, Bildung soll der Ausweg für Gaia sein. Doch die erkennt früh, dass Talent und zwanghafter Fleiß nicht ausreichen, um mitzuhalten – wenn man kein liebes Mädchen sein will, den filzstiftgrünen Pullover des Bruders aufträgt und sich kein Handy leisten kann. Konfrontiert mit Herabsetzungen, Leistungsdruck und Orientierungslosigkeit verwandelt sich Gaias stumme Verletzlichkeit in maßlose Wut, die sie zunehmend Grenzen überschreiten lässt. Giulia Caminito hat ein sanftes, raues, wundersam reiches Buch geschrieben: über eine Jugend in der Provinz, lächerliche Lieben, grundstürzende Dramen und eine junge Frau, die ihrer Herkunft nicht entkommt. Ein Roman mit einer unverwechselbaren Erzählstimme und Bildern, die haften bleiben wie ungeliebte Spitznamen.
Über die Autorin:
Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene »Ein Tag wird kommen«. Ihr dritter Roman »Das Wasser des Sees ist niemals süß« stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom.
Mein Eindruck:
Ist ein Roman über das Aufwachsen eines Mädchens in Italien in den Nullerjahren.
Sie ist Icherzählerin und gleichzeitig erbarmungslose Beobachterin.
Sie ist keine einfache Figur und nicht immer Sympathieträgerin, aber man kann sie verstehen.
Da ist eine unterdrückte Wut spürbar.
Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl, die Mutter leicht hysterisch und unberechenbar. Dazu kommen vier Kinder.
Für Gaia ist das Leben in der Schule nicht leicht. Sie ist in einer Außenseiterposition und bleibt lange verschlossen.
Die Mutter hofft, dass ihre Tochter durch Bildung den sozialen Aufstieg schafft, sie soll studieren.
Der Roman erinnert mich mehr an Elena Ferrante als ich erwartet habe, auch wenn er eine ganz andere Energie ausstrahlt. Aber der Druck und die Zwänge unter denen die Protagonistinnen stehen, ist vergleichbar.
Manche, eigentlich interessante Motive scheinen mir nicht vollständig zum Ende gebracht. Zum Beispiel der Konflikt des Vaters mit dem unehelichen Sohn oder auch die Entwicklung der Mutter mit ihrer Rolle in der Familie.
Auch die Nebenfiguren sind nicht immer bis ins letzte ausgearbeitet. Fragezeichen bleiben besonders bei Gaias Freundin Elena und Iris.
Was die Autorin gut kann, sind die Beschreibungen innerer Dramatik, die manchmal auch offen ausbricht. Es gibt sprachlich poetische Momente. Manche Szenen wirkten aber auch etwas übertrieben. Insgesamt ist es aber ein gut lesbarer und kraftvoller Roman und ich denke, es lohnt sich, sich mit dieser Schriftstellerin weiter zu beschäftigen.
ASIN/ISBN: 3803133491 |