'Die rote Tänzerin' - Seiten 132 - Ende

  • ... und schon ist es ausgelesen, das schöne Buch. ;( Ja, Anita Berbers Geschichte ist am Ende erzählt, aber trotzdem hätte ich gern noch weitergelesen. ;)


    So richtig kommt man erst in diesem letzten Abschnitt dahinter, was für ein Mensch "die Berber" doch war. So zerbrechlich hinter einer doch schon bröckelnden Fassade. Ich fand ihre "normalen" Moment schon sehr bezeichnend, also z.B. die Szenen, in denen sie kocht, oder als sie - ganz hausfrauisch - das Chaos ihres Gatten beseitigt. Da kam sie mir weitaus menschlicher vor als bei ihrem attitüdenhaften Auftreten in der Öffentlichkeit.


    Du lässt sie ja von drei verschiedenen Personen in ihrem Kopf denken, Joan Weng . Ist eine Schizophrenie in irgendeiner Weise verbürgt? Wobei das sicher zu weit hergeholt ist, also dass man eine solche Diagnose zu jener Zeit übersteht. Ich finde die Idee und die Umsetzung dieser inneren Zerissenheit aber gut dargestellt.


    Auch wie sie zum Schluss Otto Dix begegnet. Er hatte recht - sie ist eine Gefahr für ihn. Nicht, weil sie sich jeden Mann einfach nimmt, sondern weil sie ihm (und er ihr) mehr bedeutet. Ich konnte mir die beiden mit den Beinen baumelnd auf dem Balkon richtig bildlich vorstellen. So ein Abend täte mir auch gefallen, mit tausenden Sternen über einem! (Damals war das Thema Lichtverschmutzung sicher noch kein so großes.) Und sehr angenehm und passend fand ich es, dass du zu dieser Szene keinen Hund in der Ferne bellen, sondern sich zwei Katzen hast streiten lassen.


    Mit Susi und Dr. Klapper hat sie zwei echte Freunde fürs Leben. Ich glaube, da hat sie mehr als so manch andere/r in ihrem Metier.


    Gab es die von Otto Dix angefertigte Zeichnung, die sie im Roman neben das Bild von Fritz stellt, tatsächlich?


    Bei der Szene mit dem Äffchen (ich glaube, das wird auch an früherer Stelle schon erwähnt), musste ich unweigerlich an Josephine Baker denken, die ja wohl auch ein Faible für exotische Tiere hatte. Mir scheint, diese beiden Frauen ähneln sich auf eine Weise, auch wenn ihre Leben ganz unterschiedlich verlaufen sind.


    Was soll ich sagen? Mir hat das Buch wieder einmal rundum gut gefallen. Und schon mal vielen Dank für die engagierte Begleitung der Leserunde, liebe Joan Weng !

  • Mit Susi und Dr. Klapper hat sie zwei echte Freunde fürs Leben. Ich glaube, da hat sie mehr als so manch andere/r in ihrem Metier.


    Die beiden gab es ja zum Glück wirklich und sie haben auch gemeinsam an der ersten Romanbiographie mitgewirkt, weshalb ich vieles von dem was dort steht - bei aller Fremdheit zur Dargestellten Anita - auch als Tatsache genommen habe. Und sie haben auch beide bis zum Schluss zu ihr gestanden - Henri hatte am Tag ihres Todes Premiere mit einer neuen Frau auf einer neuen Bühne (das hab ich absichtlich nicht reingenommen, weil ich das einfach so heftig fand, dass es eine ausführliche Behandlung verlangt hätte und nicht in den Schluss gepasst hat)


    Bezüglich der drei Personen von denen sie über sich selbst denkt, es gibt da keine Diagnose, aber in ihren erhaltenen Briefen schreibt sie teilweise von "der Berber" und der "Tänzerin Anita" in der dritten Person, das hat mich darauf gebracht.


    Und das Bild von Otto Dix gibt es nicht bzw. nicht mehr, sie hat sich bei ihm in Realität für eine kleine Zeichnung bedankt, diese ist aber nicht erhalten (wie fast alles, was in ihrem Besitz war) . In diesem Brief klagt sie auch, dass bei ihr und Henri mal wieder "Dallas" ist, was wohl eine zeitgenössische Bezeichnung für "Pleite" ist, ob Otto ihr geholfen hat, ist aber nicht bekannt - weil sein Antwortbrief mal wieder nicht erhalten ist ;)


    Es freut mich sehr, dass du Spaß am Lesen hattest :)

  • Henri hatte am Tag ihres Todes Premiere mit einer neuen Frau auf einer neuen Bühne (das hab ich absichtlich nicht reingenommen, weil ich das einfach so heftig fand, dass es eine ausführliche Behandlung verlangt hätte und nicht in den Schluss gepasst hat)

    Das ist wirklich heftig, zeigt aber auch, wie wenig ihm an ihr lag (neben den Eskapaden, die ja auch im Buch erwähnt werden). Mir scheint, einen echten Partner hat Anita Berber nie an ihrer Seite gehabt.


    Es freut mich sehr, dass du Spaß am Lesen hattest :)

    Den hatte ich! Und an der Leserunde und den vielen "Drumherum"-Informationen sowieso! :anbet

  • Dieser Roman war eine gewisse Herausforderung, vor allem, wenn man die anderen Romane von dir, Joan, kennt. Aber nach dem ich mich eingelesen hatte, und eben akzeptiert hatte, dass es anders ist, konnte ich mich auch einfinden. Allerdings hat das Lesen länger gedauert, man liest es nicht so in einem weg. Was mir aber gut gefallen hat, war der Humor, der doch immer wieder durchblitzte (z. B. wie Martha Dix fortfuhr, sich keine Sorgen zu machen ...)


    Anita Berber, der Name war mir schon ein Begriff, aber ich habe mich nie wirklich mit ihr beschäftigt. Ihr Leben hat schon etwas Schockierendes, ich glaube, ich hätte sie zwar gerne mal auf der Bühne gesehen, aber im wirklich Leben hätte ich ihr nicht unbedingt begegnen wollen (und auch nicht alles miterleben wollen, was sie so in der Öffentlichkeit gemacht hat). Hier sieht man halt auch einmal wieder, dass man die Hände von den Drogen lassen sollte. Ihre Ehemänner haben ihr auch nicht gutgetan, und wahrscheinlich hatte sie auch große psychische Probleme - warum auch immer. Susi war offenbar der einzige stabile Halt den sie hatte.


    Mir war schon relativ früh klar, dass Fritz Leopold und seine Familie nur eine Phantasievorstellung war, aber schade ist das schon, es wirkte sehr harmonisch, und womöglich hätte es Anitas Leben tatsächlich eine andere Entwicklung geben können, hätte er überlebt - aber nun ja, er war ja gar nicht real, und wer weiß, ob es so jemanden überhaupt in ihrem Leben gab.


    Hätte Anita sich wirklich ändern können (wie sie es nach dem Gespräch mit Morgenstern zunächst in Erwägung zieht? So leicht kommt man nicht von Drogen los ...


    Von Otto Dix wusste ich, dass seine Gedanken und Gefühle bzgl. Mutzli zwar schön klingen, er aber nur wenig später eine Geliebte hatte, mir der er auch ein Kind hatte, also auch hier leider nicht alles so, wie es zunächst scheint. Ich mochte es allerdings nicht, dass er im Roman mit Anita ins Bett ging, mir hätte besser gefallen, die beiden hätten nur dran gedacht, und es dann doch sein lassen.


    Johanna Ey hat mir sehr gut gefallen. Von ihr gibt es ja auch ein Porträt von Otto Dix.


    Und das Nachwort ist natürlich auch lesenswert

  • Ich weiß natürlich auch nicht, ob die beiden in Realität miteinander geschlafen haben, aber ich wurde im Roman eher sagen, dass nicht - wie kommst du denn darauf? Das war mir nämlich eigentlich wichtig, dass sie die Zeit gemeinsam verbringen und als Freunde auf dem Balkon sitzen, aber es bei dem einen Kuss und dem "ge dachten" Ehebruch bleibt. Das ist ja eigentlich das besondere an der Beziehung.

    Vielleicht ist da etwas zu unglücklich formuliert von mir?

  • Zwar bin ich noch nicht fertig mit dem Buch (und habe deswegen auch eure Kommentare dazu noch nicht gelesen), aber ich will kurz was loswerden: Mit gefällt es sehr gut, dass sich die Sprache und der gesamte Buchaufbau an Anitas Wesensänderung anpasst. Nach dem sprunghaften, impulsiven, wilden jetzt ganz eine andere Anita und damit auch ein anderer Erzählstil. :thumbup:

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich weiß natürlich auch nicht, ob die beiden in Realität miteinander geschlafen haben, aber ich wurde im Roman eher sagen, dass nicht - wie kommst du denn darauf? Das war mir nämlich eigentlich wichtig, dass sie die Zeit gemeinsam verbringen und als Freunde auf dem Balkon sitzen, aber es bei dem einen Kuss und dem "ge dachten" Ehebruch bleibt. Das ist ja eigentlich das besondere an der Beziehung.

    Vielleicht ist da etwas zu unglücklich formuliert von mir?

    Anita wollte Otto gerade erklären, dass sie nicht mit ihm schlafen wollte, als er ihr ins Ohr flüstert, es rieche wohl doch nach Meer - und am nächsten Morgen liefen sie halbnackt herum, Anita im Männerhemd und Otto in Henris Bademantel - für mich war da klar, dass sie doch miteinander geschlafen haben. Tja, ich habe es so verstanden, leider. Eigentlich hätte ich sonst erwartet, dass Otto nach Hause geht, wenn sie sich klar gemacht haben, dass sie "es nicht tun werden" ...


    Leider interpretieren wir Leser:innen das Geschehen nicht immer so, wie es Autor:innen sich vorgestellt haben ...

  • Anita wollte Otto gerade erklären, dass sie nicht mit ihm schlafen wollte, als er ihr ins Ohr flüstert, es rieche wohl doch nach Meer - und am nächsten Morgen liefen sie halbnackt herum, Anita im Männerhemd und Otto in Henris Bademantel - für mich war da klar, dass sie doch miteinander geschlafen haben. Tja, ich habe es so verstanden, leider. Eigentlich hätte ich sonst erwartet, dass Otto nach Hause geht, wenn sie sich klar gemacht haben, dass sie "es nicht tun werden" ...


    Leider interpretieren wir Leser:innen das Geschehen nicht immer so, wie es Autor:innen sich vorgestellt haben ...

    Das ist ja auch gar nicht schlimm, es ist nur für mich als Autorin auch immer spannend, wie die Leser*innen zu ihren Schlüssen kommen, deshalb hab ich nachgefragt.

  • Anita wollte Otto gerade erklären, dass sie nicht mit ihm schlafen wollte, als er ihr ins Ohr flüstert, es rieche wohl doch nach Meer - und am nächsten Morgen liefen sie halbnackt herum, Anita im Männerhemd und Otto in Henris Bademantel - für mich war da klar, dass sie doch miteinander geschlafen haben. Tja, ich habe es so verstanden, leider. Eigentlich hätte ich sonst erwartet, dass Otto nach Hause geht, wenn sie sich klar gemacht haben, dass sie "es nicht tun werden" ...


    Leider interpretieren wir Leser:innen das Geschehen nicht immer so, wie es Autor:innen sich vorgestellt haben ...

    Anita (das Mädchen) ficht in dieser Szene einen inneren Disput mit ihrem "Alter Ego" Anita Berber aus und meines Erachtens geht es um viel mehr als nur um den Wunsch, mit Otto zu schlafen. Sie stellt sich ihn als ihren Partner vor und hat gleichzeitig ein schlechtes Gewissen der kleinen Nelly gegenüber, weil eine offizielle Beziehung zwischen ihnen beiden der Tochter den Vater rauben würde. Sie muss erkennen, das sie beide keine gemeinsame Zukunft haben. Eigentlich ist es doch das, was sie ihm erklären möchte.


    Was tatsächlich in dieser Nacht noch geschehen ist, bleibt wohl beider Geheimnis. ;) Ich könnte jedoch nicht sicher sagen, ob diesem Abend auf dem Balkon noch eine Bettgeschichte gefolgt ist. Ein übergeworfenes Männerhemd ist mir da als Beweis zu wenig.


    Und ich vermute es auch eher nicht, schließlich war Anita in ihren Gedanken Otto gegenüber total klar und konnte das Bedürfnis der "wilden" Anita Berber komplett ausblenden.

  • Also, ich muss hier einfach was loswerden! Ich finde das so toll, wie ihr hier - aber auch an anderen Stellen - über das Buch und die Interpretation verschiedener Szenen diskutiert und analysiert. Das ist wirklich richtig schön 😍 Da macht mir die Leserunde gleich noch mehr Spaß:)

  • Aktuell hängt Anita nicht in Stuttgart, sie ist in Paris ;) Aber sie kehrt nächstes Jahr für eine sehr schöne Ausstellung zum Typenporträt der Weimarer Republik heim - ich habe gehört es soll da dann auch eine Lesung im Museum geben ;)

  • Allerdings hat das Lesen länger gedauert, man liest es nicht so in einem weg.

    Das kann ich so nur :write. Ich finde gerade das aber viel mehr als Qualitätsmerkmal als andersrum, denn es ist ein Buch, das tiefer geht und nachhallt und nicht mal so schnell, schnell runtergelesen werden will. Trotzdem habe ich jetzt ganz schön lange dafür gebraucht, was aber auch am Leben drumherum lag ;).


    Ich hab ja schon geschrieben, dass mir der Wechsel in der Erzählweise sehr gut gefallen hat. :thumbup:Das hat es für mich noch interessanter und "greifbarer" gemacht. Eine sehr schöne Komposition!

    Zitat

    Hätte Anita sich wirklich ändern können (wie sie es nach dem Gespräch mit Morgenstern zunächst in Erwägung zieht? So leicht kommt man nicht von Drogen los ...

    Für mich hat es sich so gelesen, als würde sie die Realität der neuen Zeit erkennen und glauben, darin keine Zukunft mehr zu haben. Und deswegen den Freitod wählen. Das Treffen mit Otto Dix zeigt ihr dann, dass es trotzdem noch Schönes und Gutes gibt und lässt sie wieder neuen Lebensmut fassen. So zumindest meine Interpretation.


    Für mich war es auch zweitrangig, ob die beiden miteinander schlafen oder nicht. Ich habe eher überlegt, ob ich es glaubwürdig finde, dass Anita nach ihrem bewegten Leben so ein Drama daraus macht. Sollen sie doch ihren Spaß haben, wichtig ist doch (und das fand ich wieder glaubhaft), dass sie die Ehe nicht zerstören will.


    Du lässt sie ja von drei verschiedenen Personen in ihrem Kopf denken, Joan Weng . Ist eine Schizophrenie in irgendeiner Weise verbürgt? Wobei das sicher zu weit hergeholt ist, also dass man eine solche Diagnose zu jener Zeit übersteht. Ich finde die Idee und die Umsetzung dieser inneren Zerissenheit aber gut dargestellt.

    Anitas innere Zerissenheit kommt wirklich sehr gut an. Es muss ja nicht mal Schizophrenie sein, sie kann ja auch in ihren verschiedenen "Rollen" - die verruchte Tänzerin, die verkannte Künstlerin, das verlassene Mädchen oder auch der unerfüllte Traum der Familienmutter - voll und ganz aufgehen. Und je nach Situation schlüpft sie in die ein oder andere Rolle und geht darin auf. Jede(r) von uns bedient doch verschiedene Rolle im Leben und je nachdem verhält man sich mehr oder weniger unterschiedlich. Bei Anita Berber war es halt extrem - aber genau das passt zu ihr.


    Ich fand es schön, dass zumindest das Buch für sie versöhnlich endet, auch wenn es im wirklich Leben wohl nicht so war. Zumindest durfte sie noch ein paar Erfolge im Orient haben. Mir hat der Einblick in ihr Leben gut gefallen und ich danke dir dafür recht herzlich Joan Weng - und natürlich auch allen für die schöne Leserunde!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021