Elinor Cleghorn – Die kranke Frau / Unwell Women

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)

    Von den antiken Anfängen der Medizin bis in die Gegenwart, von der »wandernden Gebärmutter« bis zur Entdeckung von Autoimmunerkrankungen und Endometriose: Die englische Feministin Elinor Cleghorn präsentiert eine bahnbrechende und aufwühlende Kulturgeschichte über das Verhältnis von Frauen, Krankheit und Medizin. […]


    Autorin (Quelle: Verlagsseite)

    Elinor Cleghorn ist promovierte Kulturhistorikerin und Feministin. Sie arbeitete an einem medizinisch-geisteswissenschaftlichen Forschungsprojekt der Universität Oxford, ehe sie motiviert durch persönliche Erfahrungen mit der Recherche zu »Die kranke Frau« begann. Heute lebt und arbeitet sie als Autorin in Sussex.


    Allgemeines

    Titel der Originalausgabe: „Unwell Women“, ins Deutsche übersetzt von Anne Emmert und Judith Elze

    Erschienen am 18. August 2022 bei Kiepenheuer & Witsch als HC mit 496 Seiten

    Gliederung: Einleitung – Drei Hauptteile mit insgesamt 18 Kapiteln – Resümee – Danksagung – Anmerkung zum Quellenmaterial – Fußnoten


    Inhalt und Beurteilung

    Die Autorin erkrankte 2001 an der Autoimmunerkrankung Lupus, die erst Jahre später diagnostiziert wurde. Während ihrer langen Ärzte-Odyssee fühlte sie sich nicht in guten Händen und erlebte es mehrfach, dass ratlose Ärzte ihre diffusen Symptome auf seelische, bzw. nervliche Ursachen schieben wollten, weil nach immer noch(!) in Medizinerkreisen verbreiteten Vorstellungen Frauen zu „eingebildeten“ Krankheiten neigten. Diese Vorstellungen haben ihren Ursprung bereits in der Antike, als Frauenleiden jeglicher Art auf die Gebärmutter zurückgeführt wurden. Die Rolle der Frau bestand nach Auffassung antiker Ärzte ausschließlich in der Fortpflanzung zur Arterhaltung, dementsprechend wurde der Uterus als das wichtigste Organ gesehen, das den Körper einer Frau dominierte, im Körper herumwandern oder ersticken konnte und Ursache weiblicher Hysterie war.

    Im Mittelalter hatte man zwar erkannt, dass Gebärmütter an Ort und Stelle bleiben, doch Frauenleiden wurden weiterhin mit der schwächeren Natur des weiblichen Körpers begründet. Die Kirche erlaubte nur wenige Leichensektionen, die an gehenkten Verbrechern – fast ausschließlich Männern - vorgenommen wurden. Der weibliche Körper war mit großer Scham besetzt und wurde von den männlichen Ärzten nicht begutachtet und untersucht, geschweige denn seziert.

    Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren bedeutende medizinische Fortschritte zu verzeichnen. Durch die Erfindung der Anästhesie und Einführung der Antisepsis und Asepsis waren umfangreiche Operationen ermöglicht worden. Die männlichen Chirurgen konnten erkrankte Gebärmütter oder Brüste entfernen, sie gingen dabei jedoch sehr radikal vor und nahmen keine Rücksicht auf die Folgen für ihre Patientinnen, die häufig nach der Operation keine Lebensqualität mehr hatten. Erst als es zunehmend auch Frauen im Ärzteberuf gab, achteten diese darauf, dass Frauen schonender behandelt wurden und forschten im Sinne der Interessen weiblicher Patienten.

    Nach wie vor wurde die Rolle der Frau vornehmlich als Hausfrau und Mutter gesehen, ärztliche Bemühungen richteten sich darauf, die Frau wieder „funktional“ zu machen, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts z.B. durch Einsatz nicht ausreichend erforschter Hormone, der aus einer übellaunigen Frau in den Wechseljahren wieder eine jugendlich attraktive und anschmiegsame Gefährtin für den Ehemann machen sollte. Mit der Anfälligkeit der Frau für physische (beispielsweise Menstruationsprobleme) und psychische/ psychosomatische (nervliche Überlastung, „eingebildete“ Krankheiten) Unpässlichkeiten wurde die mangelnde Eignung von Frauen für Tätigkeiten außerhalb ihrer ehelichen und mütterlichen Rolle zu begründen versucht. Noch im 21. Jahrhundert werden Beschwerden von Frauen oft nicht so ernst genommen wie die Klagen von Männern. Selbst die Forschung hat einen gewissen „Sexismus“ noch immer nicht abgelegt: Medikamente werden zu häufig nur an Männern getestet und Krankheitssymptome von Männern undifferenziert für Frauen angenommen, sodass Herzinfarkte, die sich im weiblichen Körper anders äußern können als im männlichen Körper, nicht selten (zu) spät diagnostiziert werden.

    Das Buch besteht aus drei Teilen, in denen die Medizingeschichte in Bezug auf die Behandlung von Frauen vom antiken Griechenland bis ins 19. Jahrhundert, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre und von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart präsentiert wird. Allen Epochen ist es gemeinsam, dass Frauen in unterschiedlicher Weise diskriminiert oder vernachlässigt wurden und werden. Das gilt in besonderem Maße für nicht-weiße Frauen. Selbst heute besteht bei der medizinischen Versorgung der Frauen noch Optimierungsbedarf, worauf hinzuweisen Hauptanliegen der Autorin ist. Dies gelingt ihr mit dem verständlich verfassten Sachbuch, das auch den medizinischen Laien nicht überfordert, gut.

    Das Sachbuch wird durch Anmerkungen zum Quellenmaterial und äußerst umfangreiche Fußnoten ergänzt. Wünschenswert wäre noch ein alphabetisches Verzeichnis der zahllosen Ärzte/Ärztinnen und Forscher/innen gewesen, da es nicht immer einfach ist, über alle diese Persönlichkeiten den Überblick zu behalten.


    Fazit

    Ein in verständlichem und flüssig lesbarem Stil geschriebenes Sachbuch zur Geschichte der (mangelhaften) ärztlichen Versorgung von Frauen von der Antike bis zur Gegenwart, das jedem an Medizingeschichte und feministischen Themen interessierten Leser empfohlen werden kann!

    9 Punkte


    ASIN/ISBN: 3462000152

  • Worum es geht:

    Die Kulturhistorikerin Elinor Cleghorn wurde krank. Ihre Odyssee, bis die richtige Diagnose gestellt worden ist, ist nicht ungewöhnlich. Denn sehr viele Frauen, die Zugang zur medizinischen Versorgung haben, leiden darunter. Die Findung der Diagnose wird dadurch erschwert, dass es einige Meinungen in Bezug auf das weibliche Geschlecht immer noch vorherrschend sind. Die Frauen sind ein schwächeres Geschlecht, haben empfindliche Physis, und außerdem viele Leiden der Frauen, hängen mit ihrer Psyche zusammen. Also, auch heutzutage wird es vielen Frauen nicht rechtzeitig geholfen, weil die schlicht und ergreifend nicht ernst genommen werden.


    Meine Meinung:

    Die Erfahrungen der Autorin brachten sie dazu, eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen, um zu schauen, wie sich das Verhältnis Arzt – Frau geändert hat. In ihrem Buch konzentriert sie sich auf drei zeitliche Abschnitte. Zunächst wird die Antike bis zum 19. Jahrhundert betrachten, dann die Zeitspanne bis 1940 und anschließend die Gegenwart.


    Die Thematik ist für mich nicht neu, dennoch habe ich ganz vieles Wissenswertes aus dem Buch der Autorin erfahren. Lebendig und keineswegs trocken berichtet Elinor Cleghorn über ihre Recherchen und ihre Erfahrungen.


    Einen Beispiel aus der Antike werde ich wohl nicht mehr vergessen. Es geschah im Rom. Ein sehr junges Mädchen wurde krank. Der Arzt hat sie weder untersucht noch befragt, da die körperliche Untersuchung sich nicht ziemte und die Befragung nicht möglich war, da die Frauen unter einem schweren Schamgefühl leiden, und nicht in der Lage sind sich dementsprechend mitzuteilen. Es wurde ärztlich empfohlen das Mädchen ganz schnell zu verheiraten, damit sie regelmäßig einen Geschlechtsverkehr hat, dann wird sie genesen. Schockierend...


    Es wurde lange Zeit nicht besser, viele Jahre galten "wandernde Gebärmutter" oder "erstickende Gebärmutter" als Ursache für viele Leiden der Frauen. Die Meinung, dass die Frauen ein schwaches Geschlecht sind und viele Erkrankungen der Frauen auf die Psyche zurückzuführen sind, ist leider, auch in der modernen Welt noch durchaus gängig.


    Dieses Buch informiert zugänglich und leicht verständlich über die Situation der Behandlung der Frauen. Aber auch über die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Erschreckend und wütend machend, dass die Frauen immer noch stellenweise nicht ernst genommen werden. An Interessierte für diese Thematik würde ich das Buch auf jeden Fall empfehlen. Informativ, fesselnd und bewegend. Mir hat es gut gefallen. :)

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume