Beifang - Martin Simons

  • Aufbau-Verlag, 2022

    234 Seiten


    Kurzbeschreibung:

    Die Zechensiedlung Beifang am Rande des Ruhrgebiets: Hier lebt in den Nachkriegsjahren der Hilfsarbeiter und zwölffache Vater Winfried Zimmermann ein Leben zwischen Verzweiflung, Armut und lebensbejahender Anarchie.

    Als Frank, sein Enkel, Jahrzehnte später mit seinem eigenen Vatersein hadert, macht er sich auf Spurensuche. Weil sein Vater schweigt, sucht Frank den Kontakt zu seinen zahlreichen Onkeln und Tanten, die alle von der Kindheit in Armut und der Enge einer Zechenhaushälfte gezeichnet sind.

    Martin Simons erzählt präzise und leicht von dem verborgenen Fortwirken eines von Mittellosigkeit, Gewalt und Stolz geprägten Milieus, das trotz aller äußeren Widrigkeiten kein Selbstmitleid kennt, und vom Vater- und Sohnsein in einer ungewöhnlichen Familie.


    Über den Autor:

    Martin Simons wuchs in Selm auf und lebt heute mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher.


    Mein Eindruck:

    Beifang ist eine Familiengeschichte der anderen Art, angesiedelt im Ruhrgebiet und über mehrere Generationen.

    Diese Generationsgeschichte wird aber nicht konventionell erzählt sondern entsteht aus der Spurensuche des Protagonisten Frank Zimmermann.

    Er, der auch schon einen jugendlichen Sohn hat, beginnt Familienmitglieder aufzusuchen, um das Schweigen zu durchbrechen und mehr über seine Großvater Winfried zu erfahren, der trotz Armit 12 Kinder zeugte und kaum versorgen konnte.

    Die Gespräche mit den Onkel und Tanten (Alf, Olaf, Kalle , Raffi, Gunter, Christa, Martin...) nehmen dann viel Raum im Buch ein.

    Ein wichtiges Thema dabei ist neben der Beengtheit und der tristen Umgebung das gewalttätige Klima, über das Franks Vater überwiegend schweigt.

    Zweifellos hatte das aber Auswirkungen, die über mehrere Generationen ausstrahlt.

    Frank weigert sich, diese in der ganzen Familie angelegte Gewaltbereitschaft als Milieufolge zu akzeptieren.


    Noch ein Wort zum ungewöhnliche Titel: Beifang ist zum einen der Name einer Zechensiedlung, in der die Familie aufgewachsen ist, zum anderen ist Beifang ein Ausdruck in der Fischerei für das, was mit im Netz ist, aber nicht gewollt wird.

    Das ist schon ein beklemmendes Bild, wenn man es auf eine Familie anwendet.


    Martin Simons macht es sich und dem Leser nicht leicht. Auch die Hauptfigur ist kein pflegeleichter Typ. Seine Herkunftssuche dient auch, einen Mangel zu erklären.

    Die Konsequenz des Autors und sein Blick für Details sind beeindruckend. Ich denke, bei Gelegenheit werde ich noch ein weiteres Buch von ihm lesen.


    ASIN/ISBN: 3351038798

  • Der Titel klingt nach Fischfang und Meer, doch das Cover deutet den tatsächlichen Inhalt des Buches an: es geht um den Zechenort Beifang am Rande des Ruhrgebiets. Frank möchte nach dem Verkauf seines Elternhauses mehr über die Geschichte seines Vaters sowie Großvaters erfahren.


    Es ist ein atmosphärisches und dichtes Buch, das sich fast ausschließlich auf die Spurensuche Franks beschränkt. Aus verschiedenen Perspektiven, in erster Linie von Franks Onkel und Tanten, wird die Person des Großvaters betrachtet. Die verschiedenen Erinnerungen und Hinterlassenschaften ergeben so nach und nach ein differenziertes Bild, in dem sich die eine Wahrheit nur schwer finden lässt.


    Die Tiefe des Buches, in dem viel erzählt und wenig gewertet wird, hat mir gut gefallen. „Man macht ständig Kompromisse und merkte erst im Nachhinein, welcher davon der eine zu viel gewesen war.“ (Buch S. 219) Trotzdem fand ich es stellenweise anstrengend zu lesen. Immer wieder musste ich zurückblättern, wer bei den vielen Geschwistern wer ist bzw. wer was gesagt hat. Außerdem konnte es mich bis zum Ende nicht fesseln, die Personen blieben mir fremd und so haben mich auch die Erkenntnisse Franks wenig berührt. Es blieb bei mir (zu) wenig hängen.


    Fazit: Eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Großelterngeneration. Sehr differenziert, aber auch anstrengend zu lesen. Letztlich bleibt für mich zu wenig zurück und so vergebe ich 6 Eulenpunkte (von 10).

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Klappentext

    Der neue Roman von Martin Simons – über die Unfreiheit der Herkunft und eine andere Geschichte aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland.D

    Die Zechensiedlung Beifang am Rande des Ruhrgebiets: Hier lebt in den Nachkriegsjahren der Hilfsarbeiter und zwölffache Vater Winfried Zimmermann ein Leben zwischen Verzweiflung, Armut und lebensbejahender

    Anarchie.

    Als Frank, sein Enkel, Jahrzehnte später mit seinem eigenen Vatersein hadert, macht er sich auf Spurensuche. Weil sein Vater schweigt, sucht Frank den Kontakt zu seinen zahlreichen Onkeln und Tanten, die alle von der Kindheit in Armut und der Enge einer Zechenhaushälfte gezeichnet sind.

    Martin Simons erzählt präzise und leicht von dem verborgenen Fortwirken eines von Mittellosigkeit, Gewalt und Stolz geprägten Milieus, das trotz aller äußeren Widrigkeiten kein Selbstmitleid kennt, und vom Vater- und Sohnsein in einer ungewöhnlichen Familie.


    Zum Autor (Quelle: Verlag)

    Martin Simons wuchs in Selm auf und lebt heute mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Zuletzt erschien von ihm »Jetzt noch nicht, aber irgendwann schon« (2019).


    Mein Lese-Eindruck

    Der Autor stellt seinem Buch ein kluges Zitat des ebenso klugen John Burnside voran, und damit ist die Stoßrichtung des Buches klar: es geht hier um Vaterschaft, um das, was man selber davon erzählt und um das, was andere einem davon erzählen.


    Der Ich-Erzähler Frank hat sich zwar mit Abitur, Studium und Wegzug seiner Familie entzogen, aber seine ehrgeizigen Lebenspläne zerschlagen sich, und er wurschtelt sich beruflich und auch privat mehr recht als schlecht durchs Leben.

    Der Verkauf und die Räumung des großelterlichen Zechenhauses lässt ihn nun auf Spurensuche gehen. Er trifft einige seiner 11 Onkel und Tanten, und wie bei einem Puzzle setzt er sich die Familiengeschichte, vor allem die Geschichte seines Großvaters Winfried zusammen. 12 Kinder in einem 60 qm großen Zechenhaus. Es ist kaum zu glauben, dass es so viel Armut, so viel Hunger und Verwahrlosung im Deutschland des Wirtschaftswunders gegeben hat – und so viel rohe und brutale tägliche Gewalt, Demütigungen und soziale Missachtung.


    Da leuchtet das eigentliche große Thema auf: die Weitergabe von Traumata von einer Generation an die nächste, und der Ich-Erzähler erkennt seinen eigenen und den Platz seines Vaters in dieser Verstrickung.


    Und so erklärt sich auch der Titel: Beifang ist nicht nur der Name der Zechensiedlung bei Selm, sondern Beifang ist in der Fischersprache das, was eher zufällig ins Netz gerät und wieder ins Meer geworfen wird, teilweise schwer verletzt. Hier in diesem beklemmenden Roman wird dem Leser klar, dass vier Generationen der Beifang sind: die Kinder, der Vater und auch der Ich-Erzähler und sein Sohn. Sie haben überlebt, aber sind seelisch verwundet.


    Das alles erzählt Simons in einer unsentimentalen, immer ruhigen Sprache, ohne jede Larmoyanz.

    Ein wichtiges Buch, dem man mehr Leser wünscht.