Anne-M. Keßel – Gefährliche Gischt

    • Piper Taschenbuch; 1. Edition (31. März 2022),416 Seiten, 11,00 €

    Enttäuschender Erstling

    Vieles in diesem Roman sei realistisch und wahr, vieles aber auch nicht, warnt die Autorin sicherheitshalber schon mal ganz vorn im Buch und wünscht „In diesem Sinne: Gute Unterhaltung!“. Der Erfüllung dieses Wunsches stehen jedoch genau die vielen Unschärfen und Ungereimtheiten entgegen, die sie in diesen Krimi packt. An allzu vielen Stellen, bei den Orts- und Objektbeschreibungen ebenso wie bei den handelnden Figuren, wird deutlich, dass hier jemand, der in München lebt, das Grenzland zwischen Nord- und Ostsee offenbar allenfalls aus der gelegentlichen Urlauberperspektive kennt. Das zeigt sich immerfort im Buch, zum Beispiel bei einer Autofahrt von der Westküste nach Kiel, die – statt über die Autobahn, die jeder dafür nutzen würde –, auf irgendeiner imaginären Landstraße stattfindet. Auch hat Flensburg keine Universitätsklinik, und Verbrennungsopfer werden im Norden stets sofort in die dafür eingerichtete Fachabteilung des UKSH nach Lübeck gebracht, wie mit sauberer Recherchearbeit leicht herauszufinden gewesen wäre.

    Besonders ärgerlich sind zudem die vielen Schnitzer bei den Figuren der Handlung. So würden sich Nordfriesen bestimmt nicht auf ihrem Marktplatz treffen, um dort zu „tratschen“, denn das ist ein Wort, das sie gar nicht kennen. Und das bajuwarische „Depp“ käme ihnen ebenfalls niemals über die Lippen.

    Auch die grenzübergreifende Polizeizusammenarbeit zwischen Deutschland und Dänemark wird frei von jeglicher Kenntnis der Realität beschrieben. Eine dänische Kriminalbeamtin, die auf eigene Faust auf einer deutschen Polizeiwache auftaucht und sich in laufende Ermittlungen einschaltet, mag ein witziger Einfall sein, ist jedoch genauso lächerlich wie die sich allein daraus ergebende deutsch-dänische Polizeikooperation. Dass es für solche Fälle eine gemeinsame Behörde in Pattburg (Padborg) direkt an der Grenze gibt, scheint die Autorin nicht zu wissen – oder sie ignoriert es schlicht.

    Was das schlecht recherchierte, oberflächliche Buch dennoch halbwegs rettet, ist die flotte, originelle Erzählweise, der durchaus fesselnde Stil der Autorin, die (wenngleich weitab von faktischer Genauigkeit) durchaus einen Spannungsbogen aufbaut.

    Dieser Erstling der jungen Autorin wirft die Frage auf, wie unrealistisch ein Kriminalroman sein darf, in dem konkrete polizeiliche Organisationen und Strukturen (grenzübergreifende zumal) eine wichtige Rolle spielen und moderne ermittlungstechnische Arbeit beschrieben wird. In diesem Buch jedenfalls wird all dem ebenso wenig Bedeutung beigemessen wie der authentischen Darstellung von Land und Leuten.

    Mich hat das Buch geärgert.

    ASIN/ISBN: 3492318045

  • Danke für die Rezi.

    Ich hab das Buch hier gerade aus der Bücherhalle liegen und wollte es als Nächstes lesen.

    Aber da ich es ja nur geliehen haben, wird es nicht soo schlimm sein, es ungelesen zurückzugeben, denke ich :grin

  • Danke für die Rezi.

    Ich hab das Buch hier gerade aus der Bücherhalle liegen und wollte es als Nächstes lesen.

    Aber da ich es ja nur geliehen haben, wird es nicht soo schlimm sein, es ungelesen zurückzugeben, denke ich :grin

    Nun ja, du kannst ja mal versuchen. Wie gesagt, es ist durchaus flott und recht spannend geschrieben. Kann auch sein, dass ich zu pingelig bin, was Lokalkolorit und Faktengenauigkeit angeht. In dieser Hinsicht ist das Buch einfach schlecht.


    Nachtrag: Da gibt es übrigens noch etwas, das jedem, der auch nur flüchtige Ahnung von Schiffen und Häfen hat, jedes Mal zusammenfahren lässt: In diesem bayerischen Möchtegern-Küstenkrimi liegen Schiffe im Hafen stets "an ihren Ankerplätzen", statt am Kai festgemacht zu haben. Als ob die alle immer ihre Anker in den Hafenschlick werfen ... Gruselig.

  • Es ist leider so, das oftmals schlampig oder gar nicht recherchiert wird. In meinen Augen ein Unding, passt aber leider offenbar auch in die Zeit.


    Man schaue sich enfach nur mal die Serie "Rosenheim Cops" an - da stimmt eigentlich hinten und vorne nichts. Und so scheint es auch vielen Romanen der Krimi-Literatur zu sein.


    Es ist schlimm wenn ein Buch zum Ärgernis wird weil der Autor/die Autorin das Handwerkszeug für einen guten Krimi offenbar unauffindbar verlegt haben.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Es ist leider so, das oftmals schlampig oder gar nicht recherchiert wird. In meinen Augen ein Unding, passt aber leider offenbar auch in die Zeit.

    Da kann ich dir nur zustimmen.

    Weil ich eine saubere und tiefgehende Recherche gerade bei aktuellen Spannungsromanen - und insbesondere bei solchen, die bewusst auf ein bestimmtes Lokalkolorit abstellen - für extrem wichtig erachte (und mir damit selbst jedes Mal viel Mühe gebe), ärgert es mich furchtbar, solche lässig runtergeschriebenen Bücher zu lesen. Man findet sie übrigens nicht nur in der Welt des ausufernden Selfpublishings, sondern - wie hier - sogar bei Piper (was mich besonders stört, wie sich jeder denken kann ...)