Sara Peschke: Wie wir arbeiten wollen. Über Selbstbestimmung und Selbstausbeutung, Hamburg 2022, HarperCollins Deutschland, ISBN 978-3-7499-0329-0, Klappenbroschur, 147 Seiten, Format: 13,6 x 1,3 x 21,5 cm, Buch: EUR 15,00 (D), EUR 15,50 (A), Kindle: EUR 12,99.
„Wir wissen, dass wir Gefahr laufen, im Homeoffice viel zu viel zu arbeiten, dass wir uns häufig mehr Stress machen als nötig, dass wir uns zu wenige Auszeiten nehmen. [...] Wir wissen, dass wir uns mehr bewegen sollten im Alltag, häufiger an die frische Luft gehen und für eine ergonomische Arbeitshaltung sorgen. [...] Wir wissen das alles und handeln trotzdem viel zu oft, als hätten wir keine Ahnung. Warum? Weil wir doof sind?“ (Seite 93/94)
Homeoffice: Traum oder Albtraum?
Wie viele andere „Kopfarbeiter“ gehöre auch ich seit Pandemiebeginn nahezu durchgängig zum Heer der Homeoffice-Insassen. Für mich hat sich damit der Traum meines Arbeitslebens erfüllt: nicht mehr täglich stundenlang mit dem ÖPNV herumgurken zu müssen ... nicht mehr unterwegs zu stranden und blöd im Regen zu stehen, weil kein Bus kommt ... mich während der Arbeitszeit mal kurz abmelden zu können, um kleine private Angelegenheiten zu regeln, für die ich zu Bürozeiten einen halben Tag hätte freinehmen müssen. Die paar Minuten Arbeitszeit, die mir dadurch flöten gehen, kann ich im Homeoffice locker hinten dranhängen. Das müsste doch auch im Sinne des Arbeitgebers sein!
Natürlich ist mir klar, dass nicht alle diese Arbeitssituation so klasse finden. Wer mit dem Laptop am Küchentisch kauert und neben der Arbeit daheim noch Kinder versorgen, erziehen, bespaßen und beschulen muss, zerreißt sich beim Versuch des Multitasking, wird keiner Sache so richtig gerecht und ist irgendwann wahrscheinlich frustriert und erschöpft. Das habe ich, genau wie die Autorin, in meinem Umfeld beobachtet.
Der Job macht sich zuhause breit
Was ich bei sehr vielen Leuten im Homeoffice feststelle, auch bei mir: eine gewisse Entgrenzung der Arbeit. Zu jeder Tages- und Nachtszeit, an Wochenenden und Feiertagen sitzt irgendwer am Rechner, verschickt Mails oder lädt Daten hoch und runter. Kein Wunder, dass wir im Homeoffice produktiver sind als im Büro! Die Arbeit ist nicht mehr auf die Firma beschränkt, sondern hat sich in unserem privaten Bereich breit gemacht. Und wenn einem was Wichtiges einfällt, dann macht man das eben mal schnell. Oder Eltern fahren nochmals den Rechner hoch, wenn die Kinder schlafen. Ist das gut, fragt sich die Autorin, oder macht uns das auf Dauer krank?
Uns muss nicht einmal ein kontrollierender Boss im Nacken sitzen: Wir treiben uns selbst an. Okay, vereinzelt mag es faule Socken geben, die sich morgens am Rechner anmelden und dann irgendwo versickern. Aber der weitaus größere Teil macht sich zum Sklaven der Statusanzeige. Ohgottohgott, was werden der Chef und die Kollegen denken, wenn ich einen Videocall verpasst habe, nur weil ich hektisch zur Tür gesprungen bin, als es klingelte, ohne den Status von „verfügbar“ auf „bin gleich zurück“ zu ändern? Die müssen ja glauben, ich arbeite nichts! – Schon ist man völlig unnötig im Stress.
Ein Job, keine Fußfessel!
Anfangs haben meine Teamkolleg:innen und ich das Handy sogar mit aufs Klo genommen, um nur ja stets erreichbar zu sein. Bis dann einer meinte, das sei doch ein Job und keine Fußfessel. Von da an sahen wir es etwas entspannter. – Überraschung! Laut Sara Peschke geht das nicht nur meinen Kollegen und mir so, sondern einer ganzen Menge Menschen. Dass diese Ängste so weit verbreitet sind, war mir nicht bewusst. Wenn das mit dem Homeoffice also bleibt, müssen wir es irgendwie hinkriegen, dort so zu arbeiten, dass es uns nicht schadet.
Pausen sind kein Luxus
Wenn selbst Gott nach der Arbeit – der Erschaffung der Welt – eine Pause gemacht hat, müsste uns eigentlich einleuchten, dass auch wir manchmal abschalten, etwas anderes tun und uns regenerieren müssen. Pausen sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. „Kein Profisportler gibt immer nur Gas. Pausen und Ruhezeiten verhindern das Vorankommen nicht, sie ermöglichen es erst“, sagt die Autorin in einem Interview mit dem Verlag. Man muss sich Zeit für sich selbst nehmen, und wenn man sich selbst überlisten muss, bis man das gelernt hat. Wie das geht, steht im Buch.
Entgrenzung und Selbstausbeutung
Entgrenzung und Selbstausbeutung sind der eine Problemkreis. Es geht hier aber auch um Vertrauen zu den Teamkolleg:innen (Weiß jede:r, was zu tun ist und tut es auch? An wen kann man sich wenden, wenn es Probleme gibt?) und um Vertrauen des Vorgesetzten zu den Mitarbeitenden. Lässt er/sie die Leute im Homeoffice einfach wursteln, könnte unbemerkt etwas aus dem Ruder laufen. Werden die Mitarbeiter:innen zu streng kontrolliert, demotiviert sie das und sie schieben vielleicht nur noch Dienst nach Vorschrift. Hier muss man, wie so oft im Leben, das richtige Maß finden.
Lösungen?
Bei Sara Peschkes allgemeinen Lösungsansätzen für ein sinnvolles und gesundes Arbeitsleben bin ich zum Teil skeptisch:
- Arbeitszeitreduzierung: Wer seine Arbeitszeit um einen Tag in der Woche reduziert, muss möglicherweise das, was er vorher in fünf Tagen gearbeitet hat, nun in vier Tagen runterreißen, nur für weniger Geld. Das reduziert nicht den Stress, sondern bloß das Gehalt. Von Kolleg:innen getestet und für nicht besonders empfehlenswert befunden.
- Teilzeit plus heruntergeschraubte Ansprüche: Weniger zu arbeiten und mit weniger Geld auszukommen, klappt hauptsächlich bei Doppel- und Gutverdienern. Eine Familie mit einem halben Journalistinnengehalt über die Runden zu bringen, halte ich für sportlich.
- Karriereverzicht: Das ist eine Möglichkeit. Es impliziert jedoch, dass die Leute nur deshalb so viel arbeiten, weil sie sich eine Gehaltserhöhung und/oder eine Beförderung versprechen. Wer das nicht (mehr) anstrebt, kann aber nicht automatisch eine ruhige Kugel schieben. Wenn man für einen Arbeitsbereich verantwortlich ist und genau weiß, dass man seinen Job gut machen muss, damit Ware produziert, verkauft und ausgeliefert werden kann und die Firma etwas verdient, wird man auch ohne Karriereambitionen rödeln – aus Angst. Wer will schon schuld daran sein, dass die Kunden abspringen, die Firma Verluste macht und noch Schlimmeres passiert?
Gelernt habe ich von diesem Buch, dass ich der Selbstausbeutungsproblematik nicht allein bin, dass es Tricks gibt, die einem aus diesem Mechanismus heraushelfen und dass manches – wie z.B. der persönliche Austausch und die damit verbundenen kreativen Impulse – fehlt, wenn alle isoliert zuhause hocken.
Schöne neue Arbeitswelt
Die schöne neue Arbeitswelt hat also ein paar fiese Fallstricke. Die ans Büro gewöhnten Arbeitnehmer:innen bis einschließlich der Generation Y (geb. ca. 1981 bis 1996) werden sich einen vernünftigen Umgang mit dem Homeoffice erst aneignen müssen. Sara Peschke setzt ihre Hoffnungen in die Generation Z (ca. 1997 bis 2012). Die will per se weniger Wettbewerb und Karriere und verteidigt ihr Privatleben vehement gegen Störungen von außen. Das minimiert natürlich das Risiko, in die Selbstausbeutungsfalle zu tappen.
„Womöglich geht es dann nicht immer so schnell voran im Job, womöglich ist das aber gar nicht das Wichtigste. Sondern, dass man gesund und auf lange Sicht sogar motivierter, zufriedener und belastbarer bleibt als jene Menschen, die all ihre Energie in dem einen Job verfeuern und nach ein paar Jahren nicht mehr können.“ (Seite 145)
Das klingt vernünftig, und ich gönne es den jungen Leuten. Wir älteren Mitarbeiter:innen werden ganz schön strampeln müssen, um uns umzugewöhnen und das Arbeiten unter den veränderten Bedingungen neu zu lernen.
Die Autorin
SARA PESCHKE, Jahrgang 1985, ist Redakteurin beim Süddeutschen Zeitung Magazin. Zuvor arbeitete sie u.a. für den Spiegel und die NZZ. Ihr Artikel »Wie ich im Homeoffice verlernte, Pausen zu machen« traf zur Corona-Hochzeit bei vielen einen Nerv, sodass daraus ein Buch entstand. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt sie in München.
PS. Für Insider: Sara Peschke gehört nicht zu meiner Verwandtschaft!
ASIN/ISBN: 3749903298 |