Orhan Pamuk las am 25.März 2022 in Hamburg

  • Orhan Pamuk las am 25.März 2022 in Hamburg


    Nach Leseabenden in Berlin und Köln stellte Orhan Pamuk am 25.März 2022 im wunderbaren Magazin-Filmkunsttheater seinen vor sechs Wochen neuerschienenen Roman in Hamburg vor.

    Nach wenigen einleitenden Worten, in denen der türkische Literaturnobelpreisträger die Zuhörer mit den Worten "Wir werden heute über mein Buch 'Die Nacht der Pest' sprechen. Ich bin sehr glücklich, dass Sie alle da sind" begrüßte und die Unterschiede zwischen Corona und der Pest mit ihren verheerendenren Auswirkungen erklärte, las die Schauspielerin Franziska Hartmann einen ersten Abschnitt zur Einstimmung auf den Roman vor.

    Wer sich wie ich gewundert hatte, dass bis zu diesem Zeit keine Vorstellung der weiteren Gäste erfolgt war, fühlte sich fast erleichtert, als der NDR Moderator und Literaturkritiker Alexander Solloch den Übersetzer Recai Hallac, Orhan Pamuk, Franziska Hartmann und sich selbst vorstellte.

    Der Schriftsteller stellte frühzeitig klar, dass er mit seinem Buchprojekt im Jahr 2016 begonnen hätte, also lange vor Beginn der Coronapandemie.

    Die Geschichte ist auf der fiktiven Insel Minger angesiedelt, auf der er die Pest im Jahr 1901 ausbrechen lässt.

    Eingebunden in die Geschichte sind sowohl fiktive als auch reale Personen und seine Aufgabe als Schriftsteller sei es, die Geschichte so zu erzählen,

    als sei er selbst während dieser historischen Ereignisse dabei gewesen.

    Alexander Solloch stellte anfänglich Fragen, wie sich Orhan Pamuks Verhältnis sowohl zum Westen als auch Osten gestalte und wie er es mit Hass und Liebe halte.

    Recht ausschweifend antwortete Orhan Pamuk, der es dem Übersetzer an diesem Abend nicht immer einfach machte, die langen Ausführungen zu übertragen.

    Hass jedenfalls empfinde er nicht, so der Schriftsteller.

    Ausgangspunkt seines Romanprojekts sei das Buch "Die Pest" von Albert Camus gewesen, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Pandemie folgte.

    Allein der Umgang mit der Pest in der Zeit der Renaissance und der harte Umgang mit Quarantänemaßnahmen von Staaten wie Polen, Russland und Italien hätten dazu geführt, ihn für diesen Roman zu motivieren.

    Seine Figur des Gefängniswärters Bayram im Roman sei fiktiv, die des Sultans Abdülhamit II. nicht. Über die Figur des Sultans äußerte sich Orhan Pamuk ausführlicher, erzählte von der Vorliebe des Sultans für Kriminal- und Detektivgeschichten, die von einer Vielzahl von Übersetzern ins Türkische übertragen wurden.

    Auch Arthur Conan Doyle habe Istanbul besucht, doch der paranoide Sultan habe ihn nicht empfangen,

    aus Angst davor, dass Arthur Conan Doyle den Palast in seiner nächsten Geschichte als Tatort fungieren ließe.

    Moderator Alexander Solloch stellte daraufhin eingehendere Fragen, so nach der Rolle des Staates bei der Pandemiebekämpfung als auch

    nach der Sicht eines männlichen Schriftstellers, die die Geschichte mit den Augen einer Frau erzähle.

    Ganz offensichtlich wollte der Literaturnobelpreisträger diese Fragen nicht beantworten, übernahm die Moderation kurzerhand selbst

    und forderte Franziska Hartmann auf, neue Textpassagen zu lesen.

    Nach anderthalb Stunden erklärte Orhan Pamuk die Veranstaltung für beendet, stand auf und verließ die Bühne.

    Moderator Alexander Solloch blieb verdutzt zurück und nur noch der Hinweis, dass vorsignierte Bücher am Verkaufstisch im Foyer erhältlich seien und es keine Möglichkeit zum Signieren gäbe.

    Ganz offensichtlich hatte Orhan Pamuk an diesem Abend eine Lesungschoreographie vorbereitet, die besser ohne Moderator ausgekommen wäre und nur durch die brilliante und sehr literarische Übersetzungsleistung Recai Hallac gerettet wurde.

    Einige Sympathiepunkte und Buchverkäufe dürfte diese Lesung den hochkarätigen Gast jedenfalls gekostet haben.

    Wer dennoch diesen Leseabend nachhören möchte, hat dazu am 17.April 2022, um 20 Uhr im NDR Sonntagsstudio die Gelegenheit.

  • Salonlöwin . Danke für den interessanten Lesungsbericht.


    Bei NDR kann man auch über die Veranstaltung lesen,

    so zum Beispiel:

    "Ich habe vier Bücher von ihm dabei. Ich habe gehofft, dass er mir was unterschreibt da", sagt ein Besucher der Lesung nach dem Abend. Eine Enttäuschung - nicht nur bei diesem Herrn.


    https://www.ndr.de/kultur/buch…-in-Hamburg,pamuk180.html


    Als ich damals bei einer Pamuk-Lesung war, hatte er noch signiert.

    Aber das sollte nicht das wichtigste bei einer Lesung sein.

    Ich werde mir die Sendung im Radio aber sicher anhören.

  • Hallo Ihr beiden,

    wenn man den obigen NDR Beitrag liest und ihn mit meinem vergleicht, dann ist gut zu erkennen, dass ich mich mit meiner Schilderung des Abends zurückgehalten habe.

    Im NDR Beitrag steht etwas von Pflichtveranstaltung und Bücherverkauf und genau diesen Eindruck hatte offensichtlich nicht nur ich.

    Am Anfang der Veranstaltung überraschte mich sehr, wie selbstbewusst Orhan Pamuk auftrat.

    Das Zusammenspiel zwischen ihm und dem Übersetzer funktionierte hervorragend, jenes mit dem Moderator überhaupt nicht, auch wenn Pamuk sich zwischendurch sehr charmant gab und sowohl kenntnisreich erzählte als auch über wissenwerte Details der realen Figuren seiner Geschichte plauderte.

    Alexander Sollochs Fragen empfand ich als sehr literaturtheoretisch und analysierend und das Publikum konnte deutlich wahrnehmen, dass Pamuk keine Lust verspürte einerseits auf die Fragen zu antworten und andererseits sich auf den Moderator einzulassen. Um es deutlich zu formulieren: Pamuk würgte den Moderator ganz deutlich ab und riss die Veranstaltung an sich.

    Als er nach knapp 95 Minuten die Veranstaltung beendete, hatte Alexander Solloch bereits resigniert.

    Orhan Pamuks Art und seine einstudierten Äußerungen haben dem Abend eine Menge an Vergnüglichkeit genommen, so dass die Weigerung zu signieren letztlich nur das Fass zum Überlaufen brachte.

    Ich hatte nicht die Absicht, den Roman signieren zu lassen, da ich ihn zum einen nicht gekauft habe und zum anderen davon Abstand genommen hätte, da in Hamburg ganz offensichtlich Corona abgeschafft wurde und sowohl während der Lesung keine einzelnen Plätze mehr freigelassen wurden als auch mir das Gedränge beim Betreten und Verlassen des Gebäudes zuviel war. Der Kinossal bot ungefähr für 420 Besucher Platz, wovon gut 90 Prozent mit Zuhörern belegt wurde, womit ich tatsächlich nicht gerechnet hatte. Meine Sitznachbarn links und rechts von mir übrigens auch nicht, murmelten sie doch etwas von Hamburg und strengsten Coronaregeln bundesweit.