Zum Inhalt (lt. Amazon):
Gut Mohlenberg, 1923: Die Wirtschaftskrise hat Deutschland fest im Griff. Friederike von Aalen ist froh um jeden Patienten, der die Behandlung in ihrer Einrichtung für psychisch Kranke noch bezahlen kann. Als Neupatientin kommt die aufmüpfige Luise nach Gut Mohlenberg. Die Eltern der 17-Jährigen möchten sie vor allem weitab vom kriminellen Einfluss ihrer Freunde wissen. Unerwartet trifft eine weitere junge Frau ein: eine traumatisierte Schwangere, die hartnäckig schweigt. Gelingt es Friederike, hinter ihr Geheimnis zu kommen, um ihr zu helfen?(Den letzten Satz der Inhaltsangabe setze ich in einen Spoiler. Ich hätte mir gewünscht, dass dies nicht im Klappentext gestanden hätte, weil es zu viel verrät.)
Schließlich bringt die Unbekannte ein dunkelhäutiges Kind zur Welt. Ein Skandal im Lüneburg der 1920er-Jahre.
Zur Autorin:
Melanie Metzenthin lebt in Hamburg, wo sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen psychische Erkrankungen oft eine wichtige Rolle spielen, zuletzt die beiden Bestseller »Im Lautlosen« und »Die Stimmlosen«. Für »Mehr als die Erinnerung«, den Auftakt zu ihrer »Gut Mohlenberg«-Reihe, wurde Melanie Metzenthin mit dem DELIA-Literaturpreis ausgezeichnet.
Beim Schreiben greift die Autorin gern auf ihre berufliche Erfahrung zurück, um aus ihren fiktiven Charakteren glaubhafte Figuren vor einem realistischen Hintergrund zu machen.
Meine Meinung:
Zum zweiten Mal begeben wir uns mit der Autorin auf das Gut Mohlenberg, eine Einrichtung, in der psychisch erkrankte Menschen leben und arbeiten und dabei liebevoll und auf sehr menschliche und moderne Weise medizinisch betreut werden. Friederike von Aalen und ihr Vater leiten die Einrichtung noch immer. Sie hat den Tod ihres geliebten Mannes nur schwer verwunden, aber die kleine Tochter Charlotte ist ihr ganzer Sonnenschein. Und die Arbeit mit jungen psychisch auffälligen Frauen ist nicht nur eine gute Ablenkung, sondern bringt auch zusätzlichs Geld in die Kasse, denn die Inflation hat Deutschland im Würgegriff. Erneut gelingt des Melanie Metzenthil vortrefflich, das Lebensgefühl und die Situation der Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts darzustellen. Die bereits bekannten und liebgewonnenen Figuren bekommen Zuwachs durch eine hochschwangere Frau, die nach einem Unfall am Bahngleis scheinbar die Sprache verloren hat. Außerdem wird die 17jährige Luise von ihren Eltern auf das Gut gebracht, wo ihre Verhaltensauffälligkeiten untersucht werden sollen.
Die Stärken dieses Buches sind die menschlichen Geschichten, die die Autorin hier auf sehr psychologische und kluge Art in Szene setzt. Seelische Erkrankungen werden aufgedröselt als Verkettung von Kindheitstraumata, familiärer Gewalt, gesellschaftlicher Zwänge und dem Wunsch nach Selbstbestimmung der Frauen. Sowohl die Suche nach den Ursachen für das ungewöhnliche Verhalten der jungen Menschen, als auch Friederikes Kampf um deren Vertrauen und Zukunft sind spannend und bewegend gleichermaßen. Man lernt etwas über die Psyche des Menschen, erfährt einiges darüber, wie damals die Gesellschaft über Frauen, die Wissenschaft, Kindererziehung dachte. Auch politische Entwicklungen und Gegebenheiten fließen harmonisch in das Geschehen mit ein. Ein rundrum gelungenes Sittengemälde.
Hervorheben muss ich noch eine energische Gouvernante, die mehr als einen großartigen Auftritt hat in dieser Geschichte und die sich sehr überraschend in mein Herz geschlichten hat.
Ich freu mich sehr, dass es noch zwei weitere Geschichten über das Gut Mohlenberg geben wird und kann es kaum erwarten.