Matthias Politycki - Mein Abschied von Deutschland. Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede

  • Titel: Mein Abschied von Deutschland

    Autor: Matthias Politycki

    Verlag: Hoffmann und Campe

    Erschienen: März 2022

    Seitenzahl: 144

    ISBN-10: 3455014399

    Preis: 16.00 EUR

    Untertitel: Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede.


    Und warum habt Ihr denn Deutschland verlassen?“ fragte ich ich diese armen Leute. „Das Land ist gut und wären gern dageblieben“, antworteten sie, „aber wir konntens nicht länger aushalten.“ (Heinrich Heine, Vorrede zu Salon I, 1833)


    Der Autor spricht vom deutschen Debattensumpf; wenn überhaupt noch echte Debatten geführt werden. Heute geben kleine Gruppe den Ton an, sie übertrumpfen mit ihrer Lautstärke die Mehrheit. „Woke“ ist das neue Zauberwort.

    Und die Wokisten haben zwar kein Argumente, die brauchen sie eben auch nicht, da sie andere Meinung niedermachen und ausgrenzen.

    Dieses Verhalten erinnert stark an das Wahrheitsministeriums aus Orwells „1984“.

    Kultur wird auf wokes Verhalten abgeklopft. Und Betroffenen müssen pausenlos einen Gang nach Canossa antreten. Kultur und Diskussionen sind nicht mehr frei.

    Bestes Beispiel dafür ist die Diskussion über die Dreadlocks einer jungen Künstlerin. Und diese „Fridays for future“ Bewegung zeigt ihr wahres Gesicht.

    Und darum geht es:

    Die Organisation schreibt darin, dass Dreadlocks bei weißen Menschen eine „Form der kulturellen Aneignung“ seien. Weiter heißt es, dass weiße Menschen diese Frisur nicht tragen sollten, da sie sich „einen Teil einer anderen Kultur aneignen“, ohne die systematische Unterdrückung schwarzer Menschen zu erleben.

    Dieses ist nur ein Beispiel. Politycki wendet sich auch gegen den Absolutheitsanspruch der Wokkisten und er zeigt auf, welche Gefahren von diesen Menschen ausgehen. Es geht eben auch um unsere Demokratie und Meinungsfreiheit. Die Freiheit von Schrift, Wort und Bild ist bedroht – und es wäre zu wünschen, das die schweigende Mehrheit endlich ihren Arsch hoch kriegt und diesen Meinungsfaschisten die Stirn bietet.

    In einem Leserbrief fragte heute jemand, ob man einen farbigen Menschen auch ausladen würde, wenn dieser seine Haare blond färben würde.

    In dem Film „Nachrichtenfieber“ sagte der kürzlich verstorbene Schauspieler William Hurt sinngemäß: Natürlich kommt der Teufel haute nicht mit Schwefelgestank und Pferdefuß daher, nein, er macht es viel perfider. Er sorgt dafür das die Menschen jeden Tag ein wenig oberflächlicher werden. Die Frage, Teufel oder nicht Teufel ist dabei absolut nicht von Belang.

    Und das die Menschen immer oberflächlicher werden steht wohl außer Frage.

    Dieses Buch hat mich sehr nachdenklich gemacht, denn der Autor spricht etwas aus, was wohl viele Menschen gar nicht so gern hören.

    Die Wokisten sind im Verbund mit den Veganern und Genderfaschisten. Gruppen für die es nur die eigene Wahrheit gibt.

    Die Störche fliegen wieder in den Süden – und was ist mit den Störchinnen, bleiben die hier.

    Ein sehr lesenswertes Buch.

    Der Autor:

    Matthias Politycki ist einer der vielseitigsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein Werk besteht aus über dreißig Büchern, darunter Romane, Erzähl- und Gedichtbände sowie vielbeachtete Sachbücher und Reisereportagen. Bis zur Verhängung des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 war er einen Großteil des Jahres unterwegs, auch um immer wieder Abstand zu den deutschen Befindlichkeiten zu gewinnen. Im Frühjahr 2021 nahm er Abschied von Deutschland. Der Essay, in dem er diesen Schritt begründete – veröffentlicht in der FAZ –, zog ein überwältigendes Echo nach sich, sodass sich Politycki herausgefordert fühlte, die Umstände dieses Abschieds noch einmal neu zu reflektieren und zu begründen. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Das kann uns keiner nehmen", vom Spiegel als „Deutschland-Roman vor afrikanischer Kulisse“ gerühmt, der ein großer Publikumserfolg wurde.


    Ich verabschiede mich mit wokeren, veganen und genderistischen Grüßen.


    ASIN/ISBN: 3455014399

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Du vermischst in Deiner Rezension Wokeness und Identitätspolitik. "Woke" Leute geben sich besonders hellhörig, wenn es um die Unterdrückung von Minderheiten, um Ungleichbehandlung, natürlich Rassismus, aber auch viele andere Spielarten gesellschaftlicher Ungerechtigkeit geht. "Woke" von "wach" oder "aufgewacht" steht dafür, dass - nach Meinung derer, die sich so geben - viel zu lange Ungleichbehandlungen hingenommen wurden, sogar internalisiert sind und tatsächlich ein gesellschaftliches Fundament bilden.


    Möglicherweise halten sich die Leute, die in dieser Dreadlockssache die Rädelsführer sind, für woke, aber bei der Sache selbst geht es um Identitätspolitik. Diese stellt vor allem marginalisierte und/oder für lange Zeit unterdrückte Gruppen, die sie als homogen annimmt, und denen man automatisch angehört, wenn man die Eigenschaft besitzt (Hautfarbe, sexuelle Orientierung, religiöse Neigung, Ethnie, Herkunft usw.), in den Mittelpunkt ihres politischen Handelns. Damit geht u.a. der stark ausgeweitete Rassismusbegriff einher, der in seiner aktuellen Definition bereits von vorhandenem Rassismus ausgeht, wenn man - ganz gleich, aus welchen Gründen (also auch aus nachvollziehbaren!) - gegen eine Person argumentiert, die einer aus ethnischen oder religiösen Gründen marginalisierten Gruppe angehört, der man selbst nicht angehört, oder immer, wenn man weiß ist. Nach der Critical Race Theory, die identitätspolitische Aspekte formuliert, ist Rassismus ganz automatisch ein Schicksal Weißer. Das hat die Kolonialzeit quasi in die Gene implantiert, und es spielt bei all diesen Betrachtungen nicht die geringste Rolle, inwieweit man jemals diskriminierend unterwegs war oder ob all diese Leute, die man solchen Gruppen zuordnet, jemals diskriminiert oder benachteiligt wurden. An dieser Stelle kommen dann vermeintliche Privilegien ins Spiel.


    Die Idee von der kulturellen Aneignung entstammt der Identitätspolitik. Sie besagt, dass Geschichte und Kulturgut einer Gruppe Eigentum der Gruppe ist, und somit für andere Gruppen, vor allem aber für Weiße ein Tabu. Das ist ein sehr schwieriger Ansatz, denn alle Kulturen der Erde dürften zum allergrößten Teil aus Aneignung bestehen. So ist beispielsweise die Idee der Haarpflege - also überhaupt irgendwas mit den eigenen Haaren zu veranstalten - vor ungefähr 4.000 Jahren bei den Ägyptern entstanden, die mit Dreadlocks im wahrsten Sinne des Wortes nicht das geringste am Hut hatten. Die Idee, sich die Haare verfilzen zu lassen, ist aber auch nicht in Jamaika entstanden, sondern an vielen Orten auf der Welt, u.a. auch in Mitteleuropa im 16. Jahrhundert.


    Dies nur zur Klarstellung. Ich habe versucht, sachlich zu bleiben, was bei diesem Unsinn, der meiner Überzeugung nach unser kulturelles und soziales Miteinander ganz erheblich bedroht (und übrigens oft ohne Mandat der Gruppen, für die man da einzutreten vorgibt, erfolgt), nicht ganz einfach ist.

  • Der Autor:

    ... Im Frühjahr 2021 nahm er Abschied von Deutschland. Der Essay, in dem er diesen Schritt begründete – veröffentlicht in der FAZ –, zog ein überwältigendes Echo nach sich, sodass sich Politycki herausgefordert fühlte, die Umstände dieses Abschieds noch einmal neu zu reflektieren und zu begründen.

    Und dann zieht er nach Wien? :wow

  • Und dann zieht er nach Wien? :wow

    Danke. Das waren auch meine Gedanken. Ich habe große Zweifel, ob er die Idee von Freiheit in Wien völlig anders und nach seinen Vorstellungen leben kann.

    Möglich jedoch, dass Matthias Politycki auch nur seinen deutschen akademischen Dunstkreis verlassen wollte.

    Insgesamt halte ich die Frage, an welchem Ort man sein freiheitliches Gedankengut am besten ausleben kann, für höchstspannend. Die Antwort auf die Frage dürfte ebenso so unterschiedlich ausfallen wie die Vorstellungen eines liberalen Lebens.

  • Dieses Essay habe ich ebenfalls mit Interesse gelesen und die angesprochenen Themen sollten auch wirklich diskutiert werden, denn sie sind nicht ohne Problematik und werden sich in der Zukunft vermutlich noch weiter verschärfen.


    Dennoch wundert mich, warum Matthias Politycki meinte, durch Umzug nach Wien ein Zeichen setzen zu müssen. Aber nun gut, das ist seine persönliche Entscheidung.

    Auch spürt man jederzeit, wie es in dem Autor kocht und manchmal hätte ich mir gewünscht, er hätte auf die eine oder andere Polemik verzichtet, die doch nur Wasser auf die Mühlen sind.


    An den besseren Passagen des Buches gibt es aber durchaus pointierte Stellen.