Fatma Aydemir - Dschinns

  • ASIN/ISBN: 3446269142


    Herausgeber ‏ : ‎ Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; 2. Edition (14. Februar 2022)

    Sprache ‏ : ‎ Deutsch

    Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 368 Seiten

    ISBN-10 ‏ : ‎ 3446269142

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446269149


    Inhaltsangabe:


    Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet. Voller Wucht und Schönheit fragt „Dschinns“ nach dem Gebilde Familie, den Blick tief hineingerichtet in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte und weit voraus.


    Autoreninfo:


    Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren. Sie lebt in Berlin und ist Kolumnistin und Redakteurin bei der taz. Bei Hanser erschien 2017 ihr Debütroman Ellbogen, für den sie den Klaus-Michael-Kühne-Preis und den Franz-Hessel-Preis erhielt. 2019 war sie gemeinsam mit Hengameh Yaghoobifarah Herausgeberin der Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum. Ihr zweiter Roman "Dschinns" (Hanser, 2022) wurde mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet.


    Meine Meinung:


    Titel: Die Geister, die ich rief...


    Von diesem Buch wurde mir mehrfach vorgeschwärmt, so dass ich mir eine eigene Meinung bilden musste. Und was soll ich sagen? Es ist einfach spitze.


    In der Geschichte geht es um vier Geschwister, die zusammen mit ihrer Mutter den toten Vater beerdigen müssen, der kurz nach Erfüllung seines größten Traums stirbt. Es existieren Spannungen in der Familie. Was ist da nur passiert? Gibt es etwa Geheimnisse?


    Jedes Familienmitglied und seine jeweilige Situation werden in einzelnen Abschnitten aufgezeigt und ein beobachtender Erzähler führt uns durch das Geschehen. Auch wenn es keine Ich- Perspektive gibt, so ist das Geschriebene dennoch sehr intensiv, weil man so enorm nah an den Figuren dran ist mit all ihren Problemen.


    Man bekommt Einblicke in eine Migrantenfamilie, die sehr mit ihrem Schicksal des Auswanderns hadert und je mehr man liest, desto besser kann man sie mit all ihren Problemen auch verstehen. Man bekommt ja doch eher selten bis gar nicht solche Einblicke geboten.


    Jedes Schicksal hatte für sich etwas Besonderes und dennoch fühlte ich mich mit Peri wohl am meisten verbunden, weil sie mit ihrer rebellischen Art mir sehr nah ist.


    Im Buch finden so viele Themen Platz, dass ich sie kaum aufzählen kann. Da stehen Kultur und Religion teilweise der Entwicklung Einzelner im Weg. Es gibt rassistische Begebenheiten. Es gibt Fremdheit im eigenen Kulturkreis, sowie Transgender und auch Homosexualität werden angeschnitten. Vor lauter Themenvielfalt hat man das Gefühl mehr als die knapp 370 Seiten zu lesen.


    Das Ende schlägt dem Fass den Boden aus. Lasst euch überraschen, denn viele Wendungen werdet ihr nicht kommen sehen und sie werden euch überrollen.


    Fazit: Ein intensives Leseerlebnis, dass mich rundum begeistert hat. Man muss oft hart schlucken und kann das Gelesene nicht glauben. Klare Leseempfehlung.


    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten

  • Am 30. Oktober 1961 schließt die Bundesrepublik Deutschland das Anwerbeabkommen mit der Türkei ab. Die Vermittlung von türkischen Arbeitnehmern nach Deutschland wird gesetzlich geregelt & in die Wege geleitet.

    Dieses Anwerbeabkommen bildet den historischen Hintergrund von Fatma Aydemirs sozialkritischem Roman „Dschinns“.


    Worum geht’s?

    Erzählt wird aus dem Leben einer sechsköpfigen Migrantenfamilie.

    Nach 30 Jahren Plackerei hat sich der „Gastarbeiter“ Hüseyin Yilmaz endlich seinen Lebenstraum erfüllt. Ein Haus in der Heimat! Eine Wohnung in Istanbul, um genau zu sein. Er freut sich auf den Lebensabend am Bosporus, doch als er die Wohnung einrichten will, um sie stolz seinen Liebsten in Deutschland zu präsentieren, stirbt er an einem Herzinfarkt. Familiennachzug einmal anders, um es zynisch zu formulieren. Seine Frau Emine und seine vier Kinder müssen also in die „Heimat, fremde Heimat“ um die Beerdigung zu organisieren.

    Jedes Familienmitglied erzählt in „Dschinns“ seine Geschichte. Die Form spiegelt dabei den Inhalt wider. Aydemir arbeitet mit Rückblenden, um ihre Erzählung zu entfalten. Die vier Yilmaz-Kinder sind sehr unterschiedlich, sie haben verschiedene Probleme, aber alle sind sie geprägt von der Sprachlosigkeit innerhalb der Familie und dem (verinnerlichten) Anpassungsdruck von außen. Deutschland ist der Lebensmittelpunkt der Kinder und doch keine richtige Heimat. Die Wurzeln liegen in der Türkei, aber auch sie ist kein Refugium. Haben die Yilmaz-Kinder also zwei Heimatländer – oder kein einziges? Das Nesthäkchen Ümit hat mit der türkischen Sprache Schwierigkeiten und Identitätsprobleme (wenn man es denn als Problem definiert, was ihn beschäftigt). Sein Bruder Hakan ist auf den ersten Blick ein Klischeemacho und Nichtsnutz. Die Schwestern Peri und Sevda haben unterschiedliche Bildungsbiographien. Privilegien, die den Charakter formen.

    Als Hüseyin stirbt, erfahren die Kinder en passant etwas über ihre kurdischen Wurzeln, und die ängstliche Mutter Emine, die von vielen Menschen für einfältig gehalten wird, hat ihren deutschen Mitbürgern die Bilingualität voraus, obwohl sie kein Deutsch spricht.

    „Dschinns“ ist auch ein Spiel mit Klischees, aber vor allem ist er ein kraftvoller Familienroman und eine soziologische Analyse. Die Autorin versucht, alle derzeit gesellschaftlich relevanten Themen (Gender, Feminismus, Rassismus, Klassismus) in die Geschichte zu integrieren, daher wirkt die Handlung stellenweise etwas überladen (die Erzählung ist natürlich character – driven).

    Insgesamt ist „Dschinns“ aber ein absolut glaubwürdiger Roman, der tiefe Wahrheiten transportiert und teilweise traurig macht. Man muss kein türkisch-muslimisches „Gastarbeiter(enkel)kind“ sein, um die Geschichte zu verstehen. Menschen mit Migrationshintergrund werden beim Lesen vielleicht ein Déjà-vu haben, Menschen ohne Migrationshintergrund werden eventuell etwas Neues lernen. Eins ist sicher: „Dschinns“ regt zum Nachdenken an & geht unter die Haut.


    5 von 5 Eulen!


    ASIN/ISBN: 3446269142

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Von mir gibt es 4,5 Sterne.

    Eine eindrucksvolle und bewegende Familiengeschichte oder auch besser gesagt, eine Geschichte der Migration.


    In dem Roman geht es um eine türkische Familie, wo der Vater vor vielen Jahren nach Deutschland, um zu arbeiten, kam. Und dies auch über Jahrzehnte durchgezogen hat, nur mit einem einzigen Traum im Hinterkopf, eine Wohnung in der Türkei zu kaufen. Dabei blieb ihm keine Kraft für den Familienalltag, die Frau oder Kinder. Die Frau des Familienvaters litt an der erlernten Hilflosigkeit und Integrationsproblemen. Die Kinder waren, durch die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, desorientiert und in einem Konflikt mit der Familie. Also nichts anderes, als man das aus allen möglichen Quellen kennt.


    Doch der Roman ist sehr gut erzählt worden. :thumleft: Die Autorin hat es geschafft so einen starken Sog zu erzeugen, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen wollte und habe sehr gern immer weiter gelesen. Ein bewegendes Porträt einer türkischen Familie, nicht frei von Klischees, die sich jedoch harmonisch in die Erzählung einfügten. Ich fand den Einblick in das Leben einer Migrantenfamilie durchaus authentisch.


    Sehr gut hat mir dabei gefallen, dass alle Protagonisten zum Wort kommen. Der Roman widmet sich in gesonderten Kapiteln allen Familienmitgliedern.

    Ich fand es insgesamt sehr interessant und finde das Buch empfehlenswert.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • In "Dschinns" begleiten wir eine kurdische, in Deutschland lebende Familie, die nach dem Tod des Familienoberhaupts in einer Wohnung in Istanbul zusammenkommt, die Hüseyin in Erwartung seines nahenden Ruhestandes vom mühsam Ersparten gekauft hat, um dort seinen Lebensabend zu verbringen.


    Seine Frau Emine und die vier Kinder, Sevda, Hakan, Perihan und Ümit kommen zu Wort und wir erfahren, wie sie die Zeit in Deutschland und ihre Rolle als Auswanderer / Ausländer sehen. Wie gut sie zurecht kommen, wie Klischees eine Rolle spielen in ihrer Integration und dass sie doch oftmals einfach nur Menschen sind - egal welcher Nationalität - , die sich mit ihrem Fortkommen oder ihrer Liebe beschäftigen und ums Gelingen bangen.


    Ich fand den Roman wirklich stark geschrieben, die einzelnen Figuren kommen einem dabei nahe, ich bekam die Möglichkeit, durch ihre Augen zu sehen und konnte nachempfinden, was ihr Problem ist. Sei es die Rolle der kurdischen Tochter, des kurdischen Sohnes oder eben der Ehefrau eines Gastarbeiters. Sie haben ihre Wurzeln verloren und finden in der Fremde keine neuen, wollen es vielleicht auch nicht, weil es ja irgendwann wieder in die Heimat geht. Doch die Heimat ist anders als damals, als Hüseyin sein Glück in Deutschland gefunden hat, wo der Verdienst viel besser war.


    Gerade der Konflikt um Sevda hat mich mitgerissen, was für ein Schicksal sie bewältigen musste. DIe offene Aussprache mit ihrer Mutter hat mich berührt, ihre Worte waren wie Messerstiche. Bewundernswert, dass sie in meinen Augen trotzdem die ist, die ihr Leben am besten gemeistert hat.


    Das Ende war dann wie ein Sog, ich mochte das Buch nicht mehr zur Seite legen.


    Sehr lesenswert in einem angenehmen Schreibstil, auch mit dem Mittel der Sicht der einzelnen Personen ergibt sich ein umfassendes Bild, was diese Generation der Gastarbeiterfamilien erlebt und durchgemacht hat was ihre Identität angeht.