Blinde Rezensionen?

  • Die Samstagsausgabe unserer Zeitung hatte mal wieder einen Literaturteil dabei. Und der grosse Artikel heute war ueber die Frage, ob man das wie beim Wein uebliche blinde Testtrinken nicht auch als blindes lesen fuer Literaturrezensionen einfuehren sollte. Also lesen und bewerten ohne zu wissen wer der Autor ist. Hier der komplette Artikel:


    http://www.canada.com/national…66-4b8d-9d9e-aa4e68161500


    Sind bekannte Autoren vor harscher Kritik geschuetzt? Sollte man mit frueheren Werken vergleichen?


    Was meint ihr waeren Vor- und Nachteile blinder Rezensionen?

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Interessant fände ich das schon mal. Ich könnte mir nämlich durchaus vorstellen, das auch bei Literaturrezensoren ein Autor schon mal einen kleinen Vorteil hat, wenn er einen bekannten Namen trägt.


    Wenn man mal von sich selbst ausgeht, wie oft kauft man sich ein Buch eines Autores, ohne irgendwas vom Inhalt zu wissen, nur weil es von XY geschrieben wurde?! Das Buch daneben lässt man unbeachtet liegen, ohne ihm auch nur eine Chance zu geben, weil es vielleicht das Erstlingswerk eines Autoren ist. Schließlich will man ja nur ein Buch kaufen und bei xy weiß man, was man kauft. Obwohl das natürlich so nicht stimmt - auch ein namhafter Autor kann mal ein schwächeres Buch schreiben und es gibt durchaus sehr gut Erstlingswerke!

  • Sind bekannte Autoren vor harscher Kritik geschuetzt? Sollte man mit frueheren Werken vergleichen? Was meint ihr waeren Vor- und Nachteile blinder Rezensionen?


    Also... jeder, der irgendwo etwas veröffentlicht, sollte auf Kritik vorbereitet sein. Wenn es berechtigt ist, auch harsche - solange sie sachlich bleibt.


    Allerdings soll es tatsächlich Leute geben, die ihre Meinung über den Autor mit in ihre Kritik einfließen lassen - also: Den mag, ich, also finde ich alles gut. Oder aber: Den finde ich kacke, also sind auch alle seine Bücher kacke.


    Für solche Leute wären Blindrezis sicher der geeignete Weg zu neutralen Bewertungen. ;-)


    Ich gebe zu, bei Autoren, die ich kenne, bin ich auch erst mal etwas unkritischer. Aber nur einmal. Wenn ich dann einmal ein Buch erwische, das nicht "gewohnt gut" ist, wird auch der zukünftig ganz kritisch unter die Lupe genommen. Und evtl. auch nicht mehr gekauft.


    Neuen Autoren gebe ich jederzeit eine Chance - aber die lese ich auf jeden Fall gründlicher an. Ich will mir ja einen Reinfall ersparen. Wenn der Autor aber gut ist, interessiere ich mich auch dafür, was der bisher so veröffentlicht hat.


    Ich selbst bin aber eine neugierige Seele. So wie ich bei einem Lied im Radio wissen möchte, wer es singt, so will ich auch bei einem Text, den ich lese den Autor wissen. :-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • So ein ähnliches Thema gab es auch schon mal bei unserem Eulen-Schreibwettbewerb. Ich halte das für Nonsens und halte jeden Leser für mündig genug, sich unabhängig vom Namen des Autors ein Urteil zu bilden. Wenn ein namentlich hoch dekorierter Autor ein Drecksbuch abliefert, dann ist und bleibt es ein Drecksbuch. Genauso kann ein bis dato völlig unbekannter Autor plötzlich ein Buch schreiben, das überwältigend gut ist.


    Das Werk muss zählen, nicht der Name der darüber steht. Das sich natürlich Leser vom Namen eines Autors auch blenden lassen und sich auch noch dazu verleiten lassen das dritte miese Buch in Folge von ihm zu kaufen, liegt einfach in der menschlichen uneinsichtigen Natur. Manchmal will man einfach nicht wahrhaben, daß ein so bekannter Name auch Mist abliefern kann. :-)



    Gruss,


    Doc

  • Finde ich eine spannende Frage.


    Ich denke, der Punkt liegt jedoch schon viel früher, nämlich bei der Buchauswahl, sei es im Laden oder auch in der Bibliothek.


    Wenn ich von jemandem zuerst ein "schlechtes" Buch gelesen habe, greife ich doch meist nicht wieder zu einem von diesem Autor, selbst wenn es mich durchaus interessieren könnte.
    Umgekehrt erschüttert mich nach einem "guten" Buch und damit einer guten Meinung vom einem Autor wiederum auch weniger wenn ich ein schlechteres erwische.


    Von daher ist es schon eine Frage.


    Mein persönliches Beispiel ist Nick Hornby. Ich verstehe einfach nicht, warum mir seine Bücher nicht gefallen! Ich lese immer ca. 50 Seiten und dann finde ich es langweilig, langatmig... Dabei finde ich seine Geschichten an sich immer so interessant!
    Und in diesem Fall greife ich immer wieder zu seinen Büchern und probiere es immer wieder, nur weil er bekannt ist.
    Bei weniger bekannten würde ich es glaube ich nicht tun.
    Nur hier ist immer auch so eine gewisse gesellschaftliche Einstellung dahinter a lá "Du musst doch die Bücher von Nick Hornby kennen!"

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Manchmal will man einfach nicht wahrhaben, daß ein so bekannter Name auch Mist abliefern kann. :-)


    Hmm, und genau diese menschliche Natur wird die meisten Leser dazu verleiten, in diesen Kästchenschemata zu denken, zu lesen und wahrscheinlich zu urteilen.
    Nimm mal den umgekehrten zugegebenermaßen unwahrscheinlichen Fall, dass ein Dan Brown plötzlich einen brillant recherchierten und sprachlich herausragenden Roman verfasst. Wenige seiner Kritiker würden sich damit unvoreingenommen auseinandersetzen. Und ich meine damit nicht die hier anwesenden Brownkritiker!

  • @ Sterntaler


    Von Nick Hornby habe ich High Fidelity gelesen und fand es mäßig witzig, aber ganz nett. In die weiteren habe ich nur reingelesen und für mich festgestellt, er reitet einfach auf derselben Welle immer weiter. Das ist einmal ganz witzig, zieht aber kein zweites Mal. Zumindest bei mir nicht.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    @ Sterntaler


    Von Nick Hornby habe ich High Fidelity gelesen und fand es mäßig witzig, aber ganz nett. In die weiteren habe ich nur reingelesen und für mich festgestellt, er reitet einfach auf derselben Welle immer weiter. Das ist einmal ganz witzig, zieht aber kein zweites Mal. Zumindest bei mir nicht.



    High Fidelity hatte ich noch nicht in der Hand. Ich hatte "About a boy", "How to be good" und was war das noch... komme nicht drauf. Neulich angefangen "How to beo good" und same procedure: angelesen bis S. 45 und dann weggelegt. Irgendwie einfach nicht mein Ding.

  • Grundsätzlich würde ich nicht fordern, dass Rezensionen "blind" sein sollen, denn es gefällt mir auch, wenn in Rezensionen Bezug auf andere Werke desselben Autors genommen wird. "Den Fehler yyyy aus ihrem letzten Band hat sie hier nicht wiederholt" oder "Wem xxx von dieser Autorin gefallen hat, der liest dieses sicher auch gerne". Dann steht das Buch nicht so ganz alleine da, sondern ich erfahre auch noch ein bisschen mehr über den Lesegeschmack des Rezensenten, was mir wiederum die Einschätzung erleichtert, ob ein Buch etwas für mich ist oder nicht.


    Ich bin aber fest überzeugt, dass das Wissen um die AutorInnenschaft in die Beurteilung eines Buches einfliesst. @Doc - das kann ja auch umgekehrt funktionieren. Ich lese zum ersten Mal ein Buch von xy, es ist ein sehr bekannter Name, der Erwartungsdruck ist extrem hoch.... es gefällt mir überhaupt nicht. Dasselbe Buch von einer neuen Autorin - aha, doch, nicht perfekt, aber für ein Debut recht vielversprechend. Ich behaupte, man kann nicht umhin, Zusatzinformationen wie die Identität des Autors in die Rezeption einfliessen zu lassen. Genauso wie viele Druckfehler mich an der Qualität eines Buchs an sich zweifeln lassen oder ein aufwändig gestalteter Band eine Qualität suggeriert, die vielleicht gar nicht da ist.


    Daher fände ich solche Experimente gelegentlich ausgesprochen interessant! Es gibt AutorInnen, deren Bücher ich nicht mehr mit der Zange anfassen würde - wer weiss, blind und ohne Vorurteile gelesen würde mir vielleicht sogar ein Stephen King oder eine Margaret Atwood gefallen?

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Habt ihr eigentlich auch den von mir verlinkten Artikel gelesen?


    Dort nannte der Schreiber auch als Beispiel, dass er selber eine Rezension zu Carol Shields Roman "Unless" schrieb, zu einer Zeit als sie im Sterben lag, und ganz Kanada sich auf den Tod einer der groessten kanadischen Schriftstellerin gedanklich vorbereitete. Da schreibt "man" eben keine vernichtende Rezension, auch wenn das Buch vielleicht nicht ganz so gut war wie andere von ihr ...


    Ich selber mag es eigentlich sehr wenn ich etwas ueber den Autoren weiss. Weil doch oft ein klein bischen von der Biographie des Autoren mit in seine Arbeit einfliesst. Und damit mein ich jetzt nicht mal typisch autobiographisches, sondern Dinge wie Rebecca Gables Mediavistik Studium, wo ich dann schon denke, dass ihre mittelalterlichen Romane gut recherchiert sind. Oder wie gerade Juergen Kehrers Krimis, wo ich als alte Muensteranerin eben schon wissen wollte wie lange Kehrer schon in Muenster lebt und was er dort gemacht hat, weil seine Buecher dort spielen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich finde blinde Rezensionen eine gute Idee.
    Nicht umsonst arbeitet Stiftung Warentest nach dieser Methode. Sicher ist es einfacher Sonnencreme von Aldi mit der von l'Oréal zu vergleichen, aber die Erwartungshaltung in Bezug auf das Ergebnis nach dem Motto bekannt=gut fällt weg. Auch bei klinischen Studien macht man das ja so.
    MaryRead : Natürlich kann man mit dieser Methode nur dass aktuelle Werk beurteilen, die Entwicklung eines Autors - ob nun zum Besseren oder zum Schlechteren - lässt sich so natürlich nicht nachvollziehen. Aber diesen Bezug könnte man ja am Ende noch hinzufügen.

  • Ich würde so eine blinde Rezension wahnsinnig gerne mal ausprobieren!


    Meiner Meinung nach lässt man sich bewusst oder unbewusst vom Namen des Autors beeinflussen.


    Man liest ein Buch immer mit einer bestimmten Erwartung. Ob diese Erwartung durch den Namen des Autors entsteht, durch eine Empfehlung, durch eine Warnung oder auch durch Cover, Titel oder Verlag.



    Wenn einem das Buch allerdings extrem gut gefällt oder eben gar nicht, dann wird an der Richtung der Meinung auch Autorenname oder Titel nichts ändern. Die Stärke der Empfindung kann es allerdings schon beeinflussen. Der Leser würde sich denken: Hey, gefällt mir sehr gut,
    obwohl das Cover rosa ist, der Titel irgendwas mit "Hochzeit wider Willen" enthällt und die Autorin bis jetzt nur mäßige -Single sucht Traumprinz zum Sekttrinken und Kichern- Geschichtchen geschrieben hat.


    Vielleicht hat sich die Autorin gewandelt - und keiner hat ihr es noch zugetraut - man würde von ihr eh nie ein Buch kaufen - der Verlag hat das Cover verunstaltet und den Titel von einem Schnulzen-Titel-Generator erstellen lassen... Aber die Geschichte ist plötzlich wirklich richtig gut und intelligent geschrieben...



    Also würde ich am liebsten ein paar Bücher so "blind" lesen, dass ich nicht nur den Autor nicht kenne, sondern auch nicht den Verlag, Titel und das Cover.

  • Ich fände blinde Rezensionen als Ergänzung zu den "normalen" sehr gut.


    Natürlich wird das nicht immer funktionieren, z. B. bei Serien. Selbst jemand der Harry Potter noch nie gelesen hat, wird wissen, welches Buch er da vor sich hat, wenn er den 6. Band lesen soll... :lache


    Aber für eigenständige (damit meine ich nicht zu einer Reihe/Serie gehörende Bücher) finde ich es ausgesprochen interessant. Denn wenn ich mich für ein Buch entscheide, dann doch weil ich die Geschichte interessant finde. Und neben einer schönen, spannenden, traurigen... Geschichte wünsche ich mir einen Spannungsbogen, guten Schreibstil und gut recherchierte Hintergründe (z.B. bei historischen Romanen). Das alles lässt sich in einer blinden Rzension wunderbar herausarbeiten.


    Wenn ich mich - aufgrund der blinden Rezension - für ein bestimmtes Buch entscheide, dann möchte ich auch Informationen zum Autor, Verlag usw. Sozusagen um das Erlebnis "Buch" abzurunden :grin
    Aber diese Infos sind ja leicht zu beschaffen.


    Leider sehe ich auch einen Nachteil an blinden Rezensionen: Es können immer nur wenige eine entsprechende Rezension verfassen, denn wer kommt schon an einen Text ohne Autor, Verlag, Cover... Das wäre für mich ein echtes Manko :-( , denn mich interessiert bei Rezensionen auch die Gesamtheit der Meinungen. Deswegen lese ich so gern die Eulen-Rezensionen :-)


    Aber - langer Rede kurzer Sinn :grin - ein Versuch wäre es allemal wert!