Könnten Geisteswissenschaften in Schulen die Bildungsmisere lösen?

  • Solange du nicht jetzt auch noch in den Tenor einstimmst, cmoi, man könne deshalb in der Schule auf alle Fächer verzichten, die keinen meßbaren Nutzen bringen, soll 's mir recht sein.


    Ich kenne einen selbständigen Handwerker mit profunden Latein-Kenntnissen, speziell was Literatur und Geschichte der späten Republik angeht -- das hat er sich von seiner Tochter beibringen lassen, nachdem diese sich gegen seinen ausdrücklichen Willen den Besuch des Gymnasiums ertrotzt hatte.
    Gäbe es das Fach nicht, so sagte er selbst, hätte seine Tochter es nicht -- egal aus welchem Grund! -- in der Schule belegt, er wäre niemals auf die Idee gekommen, daran Interesse zu finden.


    Man muß nicht, man kann -- aber um zu können, braucht es Gelegenheit zum Kennenlernen.
    Wenn die erschwert und versperrt werden, wenn man sich bei der Interessensbildung auf irgendwelche ominösen Zufälle, auf Begabung aufgrund der Genetik oder auf göttliche Eingebung verläßt, dann ist das ein Sargnagel für die eigene Zukunft.

  • Im Prinzip stimme ich magali zu. Es ist verkehrt, wenn man den Menschen nur anhand seiner derzeitigen Tätigkeit beurteilt. Aber das hat Alex glaube ich auch nicht gemeint.


    Die von magali aufgezählten Beispiele scheinen für mich Expertenwissen der speziellen Hobbies dieser Menschen zu sein. Jeder lernt ja viel lieber und intensiver die Dinge, die einen interessieren.


    Klar braucht ein Maurer in seinem Beruf kein Latein, aber als ich Latein in der Schule gelernt habe, war ich im 7. Schuljahr und konnte überhaupt noch nicht wissen, ob und wieviel ich davon für mein späteres Leben brauche. Deshalb bin ich auch eher der Meinung, man sollte weiterhin soviel Wissen, wie möglich anbieten und dabei das Hauptaugenmerk auf ein solides Grundwissen im sprachlichen und mathematischen Bereich legen. Wer nie gelernt hat, sich korrekt und fehlerfrei auszudrücken, dem wird auch Latein und Philosophie, oder Kunst und Musik nicht aus der Patsche helfen. Wer da Kenntnisse hat, für den öffnen diese Fächer, die je nach Schulart zumindest in Deutschland unterschiedlich angeboten werden, vielleicht nicht grade Horizonte, aber doch immerhin Möglichkeiten. Ob man die nun nutzt oder nicht, muss jeder für sich selbst beantworten.

  • Zitat

    Original von magali
    Alexx,
    ein
    Staat
    kann sich alles leisten,
    was er sich leisten will. ;-)


    Nee, Magali, glaub ich nicht...ein Studierter mit 30 fertig, steigt ins Berufsleben ein, und steigt mit 50 wieder aus? Wie soll das gehen


    Auf 100 Architektutstudenten kommen 20 Maurerlehrlinge?


    Natürlcih soll ein Staat ALLEN Bürgern ermöglichen ALLES zu lernen, das tut er m. E. auch....Dazu gehört aber auch ne Menge Eigeninitative..eine Schule kann einem Menchen nicht alles beibringen..dazu müsste er ein lebenlang auf der Schulbank verbringen.


    Gerade auf dem Gym. hast du doch die Wahl..in welche Richtung will ich mich entwisckeln...Perseus will aber dass ALLE in der gleichen Richtung gebildet sind..was soll das.

  • Zitat

    Gerade auf dem Gym. hast du doch die Wahl..in welche Richtung will ich mich entwisckeln...Perseus will aber dass ALLE in der gleichen Richtung gebildet sind..was soll das.


    Quatsch!


    Ich bin für eine einheitliche Ganztagsschule mit gleichem Fundament, aber mit vielen verschiedenen Zweigen.


    In Finnland geht das auch - warum nicht auch bei uns?


    Ich bleibe dabei: Geisteswissenschaften gehören wieder neben den Naturwissenschaften in den FIXEN Stundenplan.


    Gruß

    Die Geschichte lehrt die Menschen, daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt.


    Mahatma Gandhi, indischer Freiheitskämpfer

  • Hiho,


    Zitat

    Original von Idgie
    Deshalb bin ich auch eher der Meinung, man sollte weiterhin soviel Wissen, wie möglich anbieten und dabei das Hauptaugenmerk auf ein solides Grundwissen im sprachlichen und mathematischen Bereich legen. Wer nie gelernt hat, sich korrekt und fehlerfrei auszudrücken, dem wird auch Latein und Philosophie, oder Kunst und Musik nicht aus der Patsche helfen. Wer da Kenntnisse hat, für den öffnen diese Fächer, die je nach Schulart zumindest in Deutschland unterschiedlich angeboten werden, vielleicht nicht grade Horizonte, aber doch immerhin Möglichkeiten. Ob man die nun nutzt oder nicht, muss jeder für sich selbst beantworten.

    #


    Latein ist dabei allerdings ein Fach, das gerade die Grundkompetenzen (Textverständnis/ analyse, Sprachverständnis etc.) vermittelt - und zwar weit über das hinausgehend, was im Deutschunterricht möglich ist/ getan wird. Gerade das Kleinschrittige biete die Möglichkeit, Texte en detail zu betrachten, rhetorische Kunstgriffe zu erkennen, zu verstehen und dieses Verständnis auf deutschsprachige Texte zu übertragen (wunderbar an dieser Stelle - Rhetorik und Propaganda, ein ausgesprochen zeitloses Thema, immer wieder aktuell :grin).
    Ganz abgesehen davon transportiert der Lateinunterricht einen Großteil der Allgemeinbildung, die vor 30 Jahren noch allgemein bekannt verbreitet war, heute im Lehrplan anderen Themen weichen muss (und daher sonst den Schülern vorbehalten bleibt, deren Eltern über entsprechendes Wissen verfügen): Mythologie, Sagen und andere Grundlagen unserer Kultur, ohne die unsere Sprache, unsere Literatur, unsere Kunst und nicht zuletzt unsere tagtägliches Gespräche arm aussehen würden. Wer kann noch etwas mit der in Karikaturen gerne verwendeten Frau auf dem Stier anzufangen, wenn niemand mehr weiß, was es mit dem Europa-Mythos auf sich hat (wie bei 95% eines Pädagogikseminars, das ich die Freude hatte zu besuchen). Oder - um noch banaler zu werden - wer versteht die BILD-Schlagzeile vom letzten Freitag, wenn man Caesar gemeinhin für ein Hundefutter hält, bzw. höchsten noch den Asterix-Caesar vor Augen hat?


    Viele Grüße :wave
    Heike


    (angehende Lateinlehrerin)

    Der Bernsteinbund - Historischer Roman - Juni 2010 im Aufbau-Verlag
    Die Tote im Nebel - Historischer Kriminalroman - März 2013 im Gmeiner-Verlag

    Rabenerbe/ Rabenbund - DSA-Fantasyromane - 2017/2018 bei Ulisses

  • Zitat

    Original von Perseus


    Ich bin für eine einheitliche Ganztagsschule mit gleichem Fundament, aber mit vielen verschiedenen Zweigen.


    Wenns funktioniert, wäre das großartig..aber was machen die Finnen mit den Kindern, die nicht so schnell oder nicht so schlau sind?

  • Zitat

    Wenns funktioniert, wäre das großartig..aber was machen die Finnen mit den Kindern, die nicht so schnell oder nicht so schlau sind?


    Das ist es ja!


    Die lassen KEIN EINZIGES Kind hängen.


    Es gibt in Finnland massive Fördermaßnahmen für Kinder, die sich eben schwerer tun.
    Dafür werden die Schwächen verbessert, und die Stärken gefördert.


    Jedes Kind ist in Finnland besonders.


    Das liegt aber auch daran, dass Finnland im Gegensatz zu Deutschland und Österreich extrem bildungs- und kinderfreundlich ist ... :-(

    Die Geschichte lehrt die Menschen, daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt.


    Mahatma Gandhi, indischer Freiheitskämpfer

  • Hiho,


    der Unterschied besteht vor allem darin, dass die Förderung in Finnland von staatlicher Seite aus erfolgt, während bei uns Nachhilfe Privatsache ist. Das führt dazu, dass sich das nur Eltern mit entsprechendem Geldbeutel leisten können, bzw. solche, die überhaupt erst einmal Interesse daran haben, dass das Kind was lernt (ist ja auch nicht immer gegeben :-(). Dazu kommt, dass bei uns, wenn man die Fächervielfalt einschränkt, bzw. "Unwichtiges" draußen lässt, viele Bereiche der Allgemeinbildung unter den Tisch fallen und ebenfalls nur auf dem privaten Weg zu erlernen sind. In der 50er und 60er Jahren war es noch möglich, dass man in der Schule die Bildung erlangen konnte, die zu Hause nicht zu vermitteln war - und dass man als Naturwissenschaftler auch etwas über Kunst, Literatur und Geschichte sagen konnte. Heute sieht das leider etwas anders aus. Entweder hat man Glück und wohlhabende/ gebildete/ bildungsoffene Eltern oder gute Lehrer, die sich um die Schüler bemühen, oder zeigt selbst genug Eigeninitiative, um das Fehlen eben jener Faktoren auszugleichen, oder man bleibt bei einer Schmalspurbildung.


    Und was lange Ausbildungszeiten angeht - Deutschland hat keine Ressourcen außer gut ausgebildeten Fachkräften. Auf das Studium zu schimpfen, weil es zu teuer sei, ist hochgradig kontraproduktiv. Ich bin jedenfalls froh über jedes Jahr, das ich an der Uni verbracht habe - denn sonst könnte ich meinen Schülern auch nur ein Schmalspurwissen, gerade auf die Prüfungsanforderungen abgepasst, bieten.


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Der Bernsteinbund - Historischer Roman - Juni 2010 im Aufbau-Verlag
    Die Tote im Nebel - Historischer Kriminalroman - März 2013 im Gmeiner-Verlag

    Rabenerbe/ Rabenbund - DSA-Fantasyromane - 2017/2018 bei Ulisses

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Heike ()