Rebekka Endler: Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt, Köln 2022, DuMont Buchverlag, ISBN 978-3-8321-8136-9, Hardcover, mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 333 Seiten mit s/w Illustrationen, Format: 14,2 x 3,5 x 21,3 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 15,99.
„Es ist ein Buch darüber, warum die Welt so ist, wie sie ist, und warum vielen Menschen das nicht passt. Und darüber, was wir tun können, um sie zu verändern. [...] Es geht um völlig sinnlos gegendertes Design [...] Es geht aber auch um sinnlos ungegendertes Design, das Frauen daran hindert, ihr Potential auszuschöpfen, sei es Leistung zu erbringen oder schlicht zu überleben.“ (Seite 17)
Wenn jemand etwas entwickelt und gestaltet oder über Entwicklung und Gestaltung entscheidet, fließen dabei – vermutlich unbewusst – eigene Bedürfnisse und Vorlieben mit ein. Dass das „Erzeugnis“, um das es hier geht, für andere Personengruppen nicht optimal passt und sie eine Variante davon bräuchten, hat man dabei nicht unbedingt auf dem Schirm. Das muss keine Absicht sein, das passiert einfach.
One size fits all? – Nein!
Wenn die Gestaltung und Entscheidungshoheit hauptsächlich bei weißen Männern liegt, ist es keine große Überraschung, dass sie die Anforderungen, die Frauen und/oder PoC an die Dinge haben, nicht automatisch mitdenken. Wenn überwiegend schwarze Frauen auf dieser Welt das Sagen hätten, wäre das andersrum bestimmt genauso. Dann würden weiße Männer feststellen, dass vieles für sie suboptimal gestaltet ist.
Anders als manche andere Leser und Rezensenten – und hier gendere ich bewusst NICHT! – halte ich dieses Buch nicht für feministisches Mimimi, sondern für eine Bestandsaufnahme: „He, Leute, hier liegt etwas im Argen, hier ist Handlungsbedarf, Verbesserungspotential und möglicherweise eine Marktlücke!“
Das Buch ist locker und launig geschrieben, erschlägt einen nicht mit Statistik und ich empfehle, die Fußnoten mitzulesen!
Sichtbarkeit und Status
Natürlich geht es hier auch um Sprache und darum, was sie sichtbar oder unsichtbar macht. Warum gibt’s zum Beispiel Darwins Evolutionstheorie und Schrödingers Katze, nicht aber die Curie’sche Radioaktivität, die Meitner’sche Kernspaltung oder die Fanklin’sche Doppelhelix-DNA? Rosalind Franklin entdeckte als erste die Doppelhelix der DNA und hielt sie fotografisch fest. Trotzdem ist ihr Name außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Sichtbarkeit geht mit hohem Status einher, und für Frauen scheint es nicht so leicht zu sein, sich einen Namen zu machen. Und komme mir bitte niemand mit irgendwelchen Dschungelcamp-Insassinnen!
Wem gehört der öffentliche Raum?
Und für wen wurde eigentlich der öffentliche Raum gestaltet? Für Autos und Autofahrende, sollte man meinen. Sicher nicht für Fußgänger:innen, schon gar nicht, wenn sie mit Kinderwagen oder Rollator unterwegs sind. Und auch nicht für Menschen mit Behinderung. Den Beispielen, die die Autorin anführt, könnte ich, genau wie jede andere Leserin, noch eine Menge Fälle aus dem eigenen Umfeld hinzufügen. Die Hindernisse und Beschränkungen sind nicht immer harmlos-lästig. Natürlich kann man nicht alle Gefahren ausschließen. Manche aber schon – wenn man sich ihrer bewusst wäre und entsprechend planen würde.
Ach ja: Auch öffentliche Toiletten gehören zu diesem Themenkreis. Gibt’s welche und wenn ja, für wen? Was der Niederländerin Geerte Piening in diesem Zusammenhang passiert ist, ist der Hammer!
Pink it, shrink it
Dass es nicht genügt, technische Produkte für Frauen zu verkleinern, pink einzufärben, mit weniger Funktionen auszustatten als das Original und dafür teurer zu verkaufen, hat sich noch nicht flächendeckend herumgesprochen. Die Erkenntnis, dass Uniformen und Sicherheitskleidung Polizistinnen, Soldatinnen und Feuerwehrfrauen oft nicht richtig passen, weil sie einen anderen Körperbau haben als Männer, setzt sich nur langsam durch.
Dass es keine weiblichen Crashtest-Dummies gibt, um damit Autounfälle mit Frauen zu simulieren, ist nicht neu. Ja, es gibt schon eine Variante des klassischen „Sierra-Sam“, doch „auf die Eigenheit des cis weiblichen Körpers – wie die Anatomie, die unterschiedliche Verteilung von Fett, der unterschiedliche Abstand der Wirbel, die Knochendichte – nimmt diese Dummy keine Rücksicht. Sie ist einfach nur ein kleinerer Typ [...].“ (Seite 144) Das heißt, dass Frauen bei einem Unfall ein signifikant höheres Verletzungsrisiko haben.
Es gibt für Frauen keine passenden Fußballschuhe und keine adäquaten Fahrradsättel? Warum? Weil das kein Markt ist? Weil zu wenige Frauen Fußball spielen und mit dem (Renn-)Rad fahren? Warum? Vielleicht, weil ihnen dabei alles weh tut? – Jetzt liegt es auf der Hand zu sagen, dann sollen sie sich ihre Schuhe und Sättel doch selber designen und nicht jammern. Ja. Wenn die, die das stört, auch die Fähigkeiten, die Finanzen und die Macht haben, das zu ändern, könnte das möglicherweise funktionieren. Was unter Umständen passiert, wenn frau etwas erfindet, das allein Frauen zugute kommt, kann man am Beispiel von Laura Haddock, ihrem Team und ihrem Produkt Osé sehen. (Seite 111 ff.)
Kleider machen Leute
Warum Frauenklamotten keine oder unpraktische Taschen haben, wieso bei Richterinnen die Roben nicht sitzen, was geschieht, wenn eine Politikerin ein Blümchenkleid trägt, wie Kinderkleidung Gender-Stereotype verfestigt und wie sich das in Schuluniformen fortsetzt, erfahren wir hier ebenfalls.
Schaffen Männer Literatur und Frauen nur Unterhaltung? Was hat es mit dem „Male Gaze“ auf sich? Werden Künstlerinnen genauso gefördert wie Künstler? Warum werden Nobelpreisträgerinnen bei Wikipedia für nicht relevant gehalten, Models, Sängerinnen und Schauspielerinnen dagegen schon?
Dass die Medizin – bis auf die Gynäkologie – vom Mann als Norm ausgeht und Medikamente kaum an Frauen getestet werden, hört man inzwischen öfter. So nachvollziehbar einige Gründe sind: Es führt dazu, dass manche Erkrankungen bei Frauen nicht (rechtzeitig) diagnostiziert werden, weil sie andere Symptome zeigen als Männer. Auch die Dosierung von Medikamenten ist für Frauen oft nicht passend. Das kann dramatische Folgen haben.
Patriarchales Design erkennen
Der Beispiele sind viele und sie stammen aus allen Lebensbereichen. Nur, wenn uns bewusst ist, wo es klemmt, können wir gegebenenfalls etwas daran ändern. Die Autorin wünscht sich, dass mehr Menschen patriarchales Design als unpassend erkennen und dieses auch ansprechen. Sie verlangt nicht, dass wir alle unsere eigenen Lösungen designen. Das dürfte in den meisten Fällen nur Expert:innen möglich sein.
Auch wenn mir jetzt nicht alles neu war, weil ich schon einiges zum Thema gelesen habe: Ich finde, Rebekka Endler hat dieses wichtige, wenngleich trockene Thema sehr informativ und unterhaltsam aufbereitet und beschert uns so manches erhellende Aha-Erlebnis. Und, wie gesagt, die Fußnoten sollte man mitlesen. Die stehen nicht nur da, weil seriöse Sachbuchautor:innen eben Fußnoten machen. Da verstecken sich mitunter die eigentlichen Klopper: „Sandberg ist Geschäftsführerin bei Facebook, hat mit ihrem Buch ‚Lean in. Frauen und der Wille zum Erfolg’ [...] das Manifest des neo-liberalen Feminismus geschrieben und ist eine Person, die mir auf die Nerven geht.“ (Seite 186)
Die Autorin
Rebekka Endler arbeitet als freie Autorin, Journalistin und Podcasterin. ›Das Patriarchat der Dinge‹ ist ihr erstes Buch.
ASIN/ISBN: 3832181369 |