Gina Mayer: Ballet School. Der Tanz deines Lebens (ab 11 J.), Hamburg 2022, Dragonfly Verlag in der Verlagsgruppe Harper Collins, ISBN 978-3-7488-0187-0, Hardcover mit Schutzumschlag, 191 Seiten, Format: 15,1 x 2,4 x 21,4 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 9,99. Auch als Hörbuch lieferbar.
„Schon in der ersten Woche dämmerte mir, wie bescheuert die Vorstellung war, dass ich meiner Mum in der Royal Ballet School näherkommen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Sie verwandelt sich immer mehr in das Schwarz-Weiß-Bild, das unten in der Eingangshalle hängt: Lara O’Neill als Giselle auf der Bühne, die Arme über den Kopf gehoben, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Ein Mythos.“ (Seiten 112/113)
Vorab: Von Ballett habe ich keine Ahnung. Dass ich das Buch trotzdem völlig fasziniert und in einem Rutsch gelesen habe, zeigt, dass man es nicht nur begeisterten jungen Tänzer:innen in die Hand drücken kann, sondern dass hier völlig tanzunabhängig eine fesselnde Geschichte erzählt wird.
Die elfjährige Britin April O’Neill wächst bei ihren Großeltern mütterlicherseits auf. Ihre Mutter, die berühmte Primaballerina Lara O’Neill, ist gestorben, als April gerade mal ein Jahr alt war. Zu ihrem Vater hat sie keinen Kontakt.
Auf keinen Fall soll April tanzen
Das Thema „Ballett“ ist bei April daheim tabu. Ihre Großmutter ist felsenfest davon überzeugt, dass ihre Tochter Lara noch leben würde, wenn sie keine Tänzerin gewesen wäre, und hat dies auch ihrer Enkelin eingeredet.
Im Grunde ist das Quatsch: Lara ist tödlich verunglückt, als sie beruflich unterwegs war. Das hätte ihr auch passieren können, wenn sie Bauingenieurin oder Krankenschwester gewesen wäre. Mit dem Tanzen selbst hat das nichts zu tun. Trotzdem sitzt bei April die Abneigung gegen das Tanzen inzwischen tief.
Sie bringt es nicht einmal fertig, sich die Aufführungen anzusehen, an denen ihre beste Freundin Mimi mitwirkt. Die tanzt Ballett, seit sie vier Jahre alt war.
Dann verliert April eine alberne Wette gegen ihre Freundin und „muss“ an einer Ballett-Probestunde teilnehmen. Und, wer hätte das gedacht? Die ehemalige Kunstturnerin ist hingerissen und erweist sich als Naturtalent.
Die Ballettlehrerin, die genau weiß, wen sie vor sich hat, gibt April ein Vertragsformular für Ballettstunden mit. Nur widerwillig unterschreibt die Großmutter für einen Probemonat.
Natürlich bleibt April auch nach diesem Monat beim Tanzen und macht große Fortschritte. Dass sie erst mit 11 Jahren mit dem Ballett angefangen hat und nicht schon im Kindergartenalter wie die anderen, ist natürlich ein Nachteil.
Unter falscher Flagge zur Ballet School
Zwei Jahre später: Neidlos freut sich April mit ihrer Freundin Mimi, die sich bei der Ballettakademie, der renommierten London Ballet School, beworben hat und tatsächlich zum Vortanzen eingeladen wurde. Doch je näher der Tag der Aufnahmeprüfung rückt, desto weniger hat Mimi Lust dazu. Sie hat inzwischen einen Freund und möchte seinetwegen nicht mehr aus ihrem Heimatort weg. Wegen des Tanzens in die Hauptstadt zu ziehen kommt für sie nicht mehr in Frage. Statt den Termin abzusagen, überlässt sie ihn April. Die lässt sich nicht zweimal bitten, fährt heimlich mit Freundin Amanda nach London und tanzt unter dem Namen Mimi Swift an der Akademie vor.
Sämtliche Intrigen und Sabotageakte der Großmutter waren also für die Katz: April tanzt, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Natürlich erkennen die Profis in London, dass April zwar Talent aber erschreckend wenig Erfahrung hat. Einigen fällt auch die Ähnlichkeit der angeblichen Mimi mit der verstorbenen Primaballerina Lara O’Neill auf.
Probezeit
Nach einigem hin und her heißt es für April wieder einmal: „Hm, vielleicht“. Nach drei Monaten Probezeit wird sie noch einmal vortanzen müssen, dann erst fällt die endgültige Entscheidung.
- Kann unter diesen Umständen überhaupt etwas aus ihrer Ballettausbildung werden?
- Ist April den Anforderungen der Akademie gewachsen?
- Kommt sie damit klar, dass manche Lehrer:innen zwar fachlich kompetent, menschlich und pädagogisch aber unter aller S*u sind?
- Geben ihre Großeltern ihren Widerstand gegen Aprils Tanzleidenschaft irgendwann auf?
- Und wie geht es dem Mädchen damit, ständig mit der Mutter verglichen zu werden, die es ja gar nicht gekannt hat?
Was April nicht weiß: Nicht jede:r an der Akademie ist ihr wohlgesonnen – und das aus Gründen, die gar nichts mit ihr persönlich zu tun haben, sondern weit in der Vergangenheit liegen. Das wird ihr erst klar, als es für sie um die alles entscheidende Frage geht: darf sie bleiben oder muss sie gehen? Wem kann sie jetzt noch trauen?
Hilfe kommt von gänzlich unerwarteter Seite. Aber ist denn überhaupt noch etwas zu retten?
Gegen alle Widerstände
Geschichten von Menschen, die wild entschlossen ihren Weg gehen, nicht aufgeben und gegen alle Widerstände ihre Träume verwirklichen, sind so gut wie immer spannend und inspirierend. So auch hier. Es ist toll zu sehen, wie April sich durchsetzt. Dass sie als Tänzerin gegen den inneren Schweinehund, den eigenen Körper sowie mit Schmerz und Konkurrenzdruck zu kämpfen hat, ist nicht überraschend. Dass sie es auch noch mit Menschen zu tun bekommt, die besser vor Jahren schon eine Psychotherapie begonnen hätten, statt ihre Wut, Ängste oder Schuldgefühle an wehrlosen Kindern auszulassen, fand ich als erwachsene Leserin hart. Da rennen ein paar Personen rum, die ich lieber nicht erziehend oder unterrichtend in der Nähe von Kindern sähe. Aber sowas kommt nun mal vor.
Mit erfreulicher Selbstverständlichkeit gehen die Schüler:innen und das Kollegium mit der Vermutung um, dass zwei der männlichen Tanzschüler ein Paar sein könnten. Allerdings fürchte ich, dass die Ballettwelt nicht in allen Bereichen so fortschrittlich denkt. Wenn’s um Hautfarbe geht, dürfte schnell Schluss sein mit der Diversität. Ich gehe davon aus, dass das Aprils Klassenkameradin Shasa noch zu spüren bekommen wird.
Erster von drei Bänden
Wenn dem so ist, werden wir davon erfahren, denn der vorliegende Band ist der erste Teil einer Trilogie. Wir werden also noch einiges zu lesen bekommen über die Mädels und Jungs von der Royal Ballet School in London – über Tanz und Freundschaft, Talent und Glück, darüber, was man mit extremer Willenskraft alles erreichen kann und wo die Grenzen sind. Denn selbst die größten Künstler:innen sind nur Menschen.
PS: Keine Abbildung wird dem Cover gerecht, das in dezenten Metallicfarben schillert.
Die Autorin
Gina Mayer, geb. 1965, studierte Grafikdesign und arbeitete danach als freie Werbetexterin, bevor sie Schriftstellerin wurde. Seit 2006 hat sie eine Vielzahl an Romanen für Kinder, Jugendliche sowie einige Erwachsenenromane veröffentlicht. Ihre Werke standen auf der Spiegel-Bestsellerliste und wurden in viele Sprachen übersetzt. Gina Mayer lebt mit ihrem Mann in Düsseldorf.
ASIN/ISBN: 3748801874 |